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Warnsignale bei Epilepsie gesucht

Von Alexandra Grass

Wissen

Forscher müssen sich eingestehen, dass die Vorhersage von Anfällen noch nicht funktioniert.


Häufig trifft es einen wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Manches Mal auch mit deutlichen Vorzeichen. Doch sind diese meist so subtil und vor allem von extrem kurzer Dauer, dass ein selbständiges Handeln vor einem epileptischen Anfall kaum noch möglich ist. Eine Vorhersage wäre deshalb für viele Menschen eine Erleichterung ihrer Lebenssituation. Doch dürfte es trotz intensiver Forschungen seit vielen Jahren nicht möglich sein, ein eindeutig erfassbares Signal auszumachen, das als Initialzündung gewertet werden kann. Zu verschieden sind nicht nur die Gehirne, sondern auch die Anfälle selbst, betont der deutsche Epileptologe Klaus Lehnertz vom Uniklinikum Bonn und theoretische Physiker im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Eine Studie, die er gemeinsam mit Kollegen durchgeführt hat, zeigt nun, dass es noch schwieriger sein dürfte, ein Anfallsgeschehen vorherzusagen, als bisher gedacht.

Beim Klima oder im Ozean ist immer wieder vom sogenannten Kipppunkt die Rede. Das ist jener Punkt, an dem geradlinige Entwicklungen durch Ereignisse oder Rückkoppelungen abrupt verändert werden. Bisher war man davon ausgegangen, dass es einen solchen auch im Gehirn gibt. "Es hat aber noch nie jemand gezeigt, dass das tatsächlich so ist", so Lehnertz. Mit der im Fachblatt "Chaos" publizierten Studie könne dies nun ausgeschlossen werden. "Dieses Modell mit Kipppunkten funktioniert beim epileptischen Hirn nicht."

Viel zu trivial für das Gehirn

Dieser Aussage liegt eine Untersuchung von 28 Patienten zugrunde, die mittels implantierter Elektroden überwacht wurden. Dabei konnte keine Verlangsamung des Systems - ein sogenannter "critical slowing down"-Effekt - beobachtet werden, der üblicherweise vor dem Kipppunkt eintritt, erklärt der Mediziner. Hingegen seien permanent andere Veränderungen zu sehen gewesen, die gar nichts mit einem Anfall zu tun hätten. "Das dabei angewendete mathematische Modell ist einfach viel zu trivial für ein menschliches Gehirn. Und für die Epilepsie sowieso", urteilt Lehnertz.

Derzeitige Bemühungen um Verfahren zur Vorhersage von Anfällen befinden sich noch in Testphasen. So zeigt eine australische Studie zumindest die Machbarkeit. Ob damit tatsächlich Anfälle frühzeitig erkannt und davor gewarnt werden kann? Dieser Frage wird noch nachgegangen.

Die Entstehung eines epileptischen Anfalls hängt von vielen Faktoren ab, die individueller kaum sein können. "Wir müssten eine eierlegende Wollmilchsau erschaffen, damit wir so etwas überhaupt messen können", dämpft der Forscher frühzeitige Erwartungen. Und Implantate im Gehirn seien zwar schon vielversprechend, aber erst der Beginn der Reise.

Die Forscher sind dabei, unterschiedliche Systeme in Erwägung zu ziehen. Vielleicht ist es gar nicht nötig, Hirnströme zu messen, sondern möglich, Veränderungen auch am Herzschlag oder an der Atmung zu erkennen. Möglicherweise könnten in ferner Zukunft Daten von Gesundheitstrackern, wie wir sie am Handy nutzen, als Grundlage dienen. Übergeordnetes Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität für die Betroffenen.