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"Niemand will eine unnötige Zeitreise"

Von Eva Stanzl

Wissen
"Die Organe reisen langsamer als das Gehirn", sagt Chronobiologe Young über Jetlag.
© images/Spencer Platt

Nobelpreisträger Michael Young würde die Schüler länger schlafen lassen und die Zeitumstellung abschaffen.


Michael Young ist einer der weltweit führenden Forscher im Fachgebiet der Chronobiologie. Er konnte klären, welche Gene an der Einhaltung des Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt sind. Die "Wiener Zeitung" und der "Standard" haben ihn in seinem Forschungsinstitut an der Rockefeller University in New York City besucht.

"Wiener Zeitung": Hier in New York ist Nachmittag, in Wien, wo wir gerade herkommen, bald Schlafenszeit. Trotzdem werden wir noch eine Weile wach sein. Was passiert dabei im Körper?Michael Young: Wir sollten anfangen, bevor Sie einschlafen. Bei einer langen Flugreise muss sich die innere Uhr laufend an die durchquerten Zeitzonen anpassen. Dabei geraten der Schlaf- und Tagesrhythmus sowie die inneren Uhren in allen Organen aus dem Tritt. Forscher versorgten nachtaktive Mäuse täglich mittags mit Nahrung. Die Tiere unterbrachen den Schlaf zum Fressen, waren aber trotzdem nachts im Laufrad unterwegs. Ihr Nucleus suprachiasmaticus (Hauptschalter der inneren Uhr im Gehirn) steuerte weiterhin die Tag-Nacht-Aktivität, doch die anderen Uhren, die dem Taktstock der Nahrungsaufnahme folgen, verschoben sich. Die Tiere standen nicht im Einklang mit sich.

Stören Reisen durch die Zeitzonen die Harmonie im Körper?

Das kann man so sagen, wobei wir dabei auch weniger schlafen. Alle Tiere haben einen Mechanismus im homöostatischen System, der spürt, wie viel Schlaf der Körper braucht. Zu wenig Schlaf sucht er auszugleichen. Im zirkadianen System wiederum passt sich das Gehirn schneller an veränderte Tagesrhythmen an als die anderen Körperuhren in Niere, Leber oder Verdauung. Schon in den kommenden Stunden werden Sie merken, dass Sie Ihre Organe irgendwo auf dem Atlantik zurückgelassen haben. Die Organe kommen langsam nach, wenn Sie sich nach der Ortszeit richten, in ein paar Tagen re-synchronisiert sich alles. Sie sollten also bald Abendessen, denn nicht nur das Licht, sondern auch das Essen ist ein mächtiger Zeitgeber.



Wann ist die beste Zeit, zu essen?

Jedes Tier sollte fressen, wenn es aktiv ist, und nicht fressen, wenn es ruht, denn die inneren Uhren der Organe arbeiten synchron mit dem Tageslicht. Energiezufuhr kurz vor dem Einschlafen signalisiert nicht "Ruhe", sondern "Aktivität", es ist eine Invasion auf die Prozesse des Körpers.

Hält Dinner-Cancelling jung?

Generell sollte man nicht zu spät abendessen und die Nahrungsaufnahme so einteilen, dass der Zeitraum zwischen den beiden Endpunkten weniger als zwölf Stunden ausmacht. Studien zeigen, dass dies die Gewichtskontrolle erleichtert und sogar die Chancen auf ein längeres Leben erhöht. Da die Nahrungsverarbeitung vom zirkadianen Rhythmus abhängt, wiegt eine Kalorie zu verschiedenen Tageszeiten unterschiedlich viel. Ich frühstücke um zehn oder elf Uhr und esse um 19 oder 20 Uhr zu Abend.

Wie funktioniert der Hauptschalter Nucleus suprachiasmaticus (SCN)?

Der SCN im Hypothalamus folgt metabolischen Zyklen. In den 1970er Jahren wurde die metabolische Aktivität des Gehirns gemessen und entdeckt, dass diese Region robust schwingt. Als die Forscher den SCN operativ entfernten, pendelten sich die Körperfunktionen von Versuchstieren auf einen Rhythmus von mehr oder weniger 24 Stunden ein, denn es fehlte das Signal für Licht und Dunkel. Der SCN informiert den Körper über die Tageszeit und ermöglicht, einen Takt von exakt 24-Stunden einzuhalten. Täglich machen wir eine Mini-Reise durch die Zeitzonen, stellen die inneren Uhren neu. Jedoch ist das zu kurz, um es als Jet Lag zu empfinden.

Wie viele innere Uhren richten sich nach diesem Hauptschalter?

Wir haben Uhren in jedem Organ und wahrscheinlich in jeder Zelle, die von der Zentraluhr synchronisiert werden. Ohne sie würde es zugehen wie in einem Raum voller Kuckucksuhren, Wanduhren und Wecker, die anders ticken und läuten. Der SCN gleicht die Zeiger mit diffusionsfähigen Substanzen ab, die dem Körper signalisieren, wie spät es ist. Dadurch halten alle inneren Uhren einen Zyklus im Einklang mit der Umwelt.

Für die Aufklärung der molekularen Mechanismen hinter dem zirkadianen Rhythmus erhielten Sie zusammen mit Jeffrey Hall und Michael Rosbash 2017 den Nobelreis für Medizin. Beteiligt sind Proteine namens "Period" oder "Timeless". Wie arbeiten sie zusammen?

Wir wollten mit Genmutationen identifizieren, wie die Fruchtfliege die Fähigkeit verliert, ihre innere Uhr an die Umwelt anzupassen. Dabei haben wir ein Gen entdeckt, das ein Eiweiß nur nachts erzeugt. Wir schlossen auf eine zeitgebende Funktion und nannten es "Period". Bald fanden wir ein Partner-Eiweiß für "Period", das wir "Timeless" nannten. Alles, was wir danach entdeckten, war eine Artikulation der inneren Uhr. "Period" wird vom Protein "Double Time" abgebaut, aber von "Timeless" gebunden und stabilisiert. "Timeless" wiederum wird vom Fotorezeptor "Cryptochrom" abgebaut, bewegt sich jedoch mit "Period" hin zum Zellkern. Nach einigen Stunden zerfallen sie dort, damit der Zyklus wieder von vorne beginnen kann. Die Fliege eröffnete den Blick auf all diese biologischen Uhren. Wir waren dabei sehr glücklich, weil die Gene, die in der Fliege zuständig waren, auch in uns, in allen Tieren zu finden sind. In unseren Zellen passieren ganz ähnliche Dinge, die über Mechanismen hinter Schlafstörungen Aufschluss gab.

Manche Menschen wachen zeitig auf, andere sind Langschläfer. Sind die Gene schuld?

Kann sein. Es gibt jedenfalls mehr Nachteulen als Morgenmenschen. Untersucht wurden bisher nur Extremfälle. Die University of California hat Familien beobachtet, deren zirkadiane Rhythmen aus dem Gleichgewicht gerieten: Eine Familie stand morgens extrem früh auf, ging aber auch sehr früh zu Bett. Sie hatte eine Mutation des Period-Gens. Wir selbst haben eine Mutation von "Cryptochrom" bei einer New Yorker Familie entdeckt, die nicht vor drei Uhr schlafen ging und morgens bis zehn Uhr im Bett lag.

Seit langem gibt es Diskussionen darüber, warum die Schule schon um acht Uhr beginnt, wo die Kinder noch nicht leistungsfähig seien. Sollte die Schule also später beginnen?

Es gibt genug Evidenz, dass nicht alle Kinder um diese Uhrzeit so leistungsfähig sind, wie man sich das vielleicht wünschen würde. Ich sehe absolut keinen Grund, warum Kinder gar so früh in der Schule sein müssen, und ich denke, dass die Schulen ihre Unterrichtszeiten an die Bedürfnisse der Altersgruppe anpassen sollten. Bekannt ist, dass sich Schlafgewohnheiten im Laufe des Lebens ändern. Ältere Menschen gehen eher früh zu Bett und stehen zeitig auf. Von Jüngeren wissen wir: Das Hirn entwickelt sich und braucht seine Ruhephasen. Und es hat keinen Sinn, wenn die Lehrer sich bemühen, den Stoff zu erklären, die Kids aber immer noch schlafen. Sie plagen sich, aufzustehen, kriegen aber nichts mit. Wozu?

In den USA werden die Uhren am 3. November auf Winterzeit umgestellt, in Europa schon am 27. Oktober. Einer Umfrage zufolge wollen die Europäer das nicht mehr mitmachen und die Sommerzeit das ganze Jahr haben. Wie stehen Sie dazu?

Niemand will eine unnötige Zeitreise machen. Mit der Zeitumstellung produziert man nur einen Massen-Jetlag rund um den Erdball. Egal, ob wir die Zeit vor- oder zurückdrehen, ist es so, als würden wir die Erdbevölkerung in ein Flugzeug setzen und um eine Stunde in der Zeit versetzen. Man braucht wirklich gute Argumente, um das zu tun, denn es gibt eine biologische Dissonanz. Wiederum wäre die Idee, die Sommerzeit zu behalten, wie eine geografische Umstellung - also so, als würde man Österreich eine Stunde weiter von New York entfernen. Allerdings wäre eine Adaptierung pro Leben nicht gravierend, wir würden uns daran gewöhnen. Die Sonne geht ja immer in New York früher auf als in Dallas, sie geht aber auch früher unter, daran ändert sich nichts.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie vom Nobelpreis erfuhren?

Ich hab den Anruf nicht gehört, weil wir kein Telefon im Schlafzimmer haben. Erst als ich die Nummern am Handy zurückrief, sagte man mir: Du hast ihn gewonnen. Das war schon ein unglaublicher Moment. Sensationell war auch unser Flug nach Stockholm, das Nobel-Komitee ist sogar an Bord des Flugzeugs gekommen. Michael Rosbash hat bei der Wiedereinreise in die USA einen amüsanten Zwischenfall erlebt: Beim Zoll fragte man ihn, auf die Nobel-Medaille deutend, welches Geld das sei. Er klärte die Situation auf und hörte zur Antwort: "Dann wünsch’ ich ihnen viel Glück."

Michael W. Young geboren am 28. März 1949 in Miami, Florida, ist Chronobiologe und Professor an der Rockefeller University in New York City. Young gehört zu den Vorreitern der Erforschung der Molekularbiologie und der Genetik biologischer Rhythmen. 2017 wurde ihm gemeinsam mit Jeffrey Hall und Michael Rosbash der Nobelpreis für Medizin zuerkannt. Derzeit erforscht Young molekulare Störungen, die zu Schlafstörungen führen. Die "Wiener Zeitung" besuchte ihn am Rande des "Austrian Research and Innovation Talk" auf Einladung von Wissenschaftsministerium und Forschungsrat.