Zum Hauptinhalt springen

Die Ambivalenz des Frauseins

Von Eva Stanzl

Wissen

Der weibliche Körper und Psychosomatik stehen im Zentrum der Tagung "Frauenkörper und ihre Geschichten" in Wien.


Vor der Hitze gibt es kein Entrinnen. Ohne Vorwarnung steigt sie in ihr auf, bahnt sich hoch, breitet sich aus, kommt zum Siedepunkt und schiebt sich durch alle Poren. Dann entlädt sie sich, indem sie den ganzen Körper durchnässt. Der Körper trocknet, Erleichterung. Sie fühlt sich fast wieder wie die Alte, bis das Ganze von vorne losgeht. Auf diese Weise hatte sie sich den Wechsel nicht vorgestellt, sagt die 50-jährige Roswitha B. "Ich hatte nie Regelschmerzen, war eigentlich immer energiegeladen. Aber jetzt ist es anstrengend. Die Hitzewallungen sind wie ein inneres Gefängnis, ich kann nicht aus. Nach einigen Schüben bin ich ganz erschöpft und unkonzentriert, muss aber so präzise arbeiten wie früher. Das hätte ich mir so gar nicht ausmalen können."

Nicht alle Frauen spüren die Menopause gleich intensiv. Dennoch markiert sie bei ihnen allen eine Zäsur. Zweifelsohne wird das Leben der Frau stärker von zyklischen Veränderungen bestimmt als jenes des Mannes. Von der Geschlechtsreife, die mit der ersten Monatsblutung überrascht, über die Schwangerschaft bis hin zum Wechsel geht jedes Stadium mit sicht- und spürbaren körperlichen Veränderungen einher.

Weibliche Leben sind von Zyklen bestimmt

Mit dem ersten Eisprung und der ersten Regel beginnt nicht nur die Fruchtbarkeit, sondern auch eine Zeit neuer Anforderungen an Hygiene, Sexualität und Verhütung, sowie bei vielen Mädchen ein Leben mit regelmäßig eintretenden Bauchkrämpfen. In der Schwangerschaft wiederum erfährt die Frau enorme Veränderungen in sehr kurzer Zeit. Etwas wächst im Inneren. Sowohl der Körper der Mutter als auch ihre Bindung an das Baby wachsen mit. Die Geburt ist aufregend und für viele ein Wunder, das Baby erstmals in Händen zu halten eines der größten Gefühle des Menschseins. Gleichermaßen ist die Entbindung auch eine Trennung. Das Kind kommt zur Welt, die Mutter stillt es. Und stillt es ab.

Der Eintritt der Menopause zieht einen Strich unter die weibliche Fortpflanzung. Das Ende der Regel markiert den Anfang der Unfruchtbarkeit. Die Bauchkrämpfe, aber auch der Glanz der Haare, die straffe Haut und die passable Figur sind weg, dafür lässt es sich wieder mehr für sich selbst leben. Der Mann darf an der Illusion der ewigen Zeugungsfähigkeit länger festhalten. Obwohl seine Fruchtbarkeit ebenfalls abnimmt, tut sie dies ohne Zäsur.

"Der weibliche Körper ist stärker mit Einschnitten konfrontiert als der männliche. Sie dienen der Fortpflanzungsfunktion, sind aber auf der psychischen Ebene durch Bindung und Entbindung charakterisiert, womit Frauen umgehen müssen", sagt Katharina Leithner-Dziubas, Leiterin der Psychosomatischen Frauenambulanz der Medizinischen Universität Wien. Weil der Mensch denkt, ist es ihm möglich, seine Gefühle zu erkennen. Das kann große Freude bereiten, aber auch Verwirrung auslösen. "Weibliche Körpererfahrungen erfordern ständige Anpassungsleistungen an körperlich-seelische Veränderungen. Diese Anpassungsleistungen können die Entstehung psychosomatischer Störungen beeinflussen", erklärt Leithner-Dziubas. Beispiel: Der Wechsel allein verursache zwar keine Depression, könne aber bei so Veranlagten eine solche auslösen. "Erst wenn man den weiblichen Körper in seinen Lebensphasen und die damit verbundenen psychischen Vorstellungen berücksichtigt, wird ein differenziertes Verständnis psychosomatischer Störungen der Frau möglich", erklärt die Psychiaterin.

Worum dreht es sich? Manche Frauen werden ohne offensichtlichen Grund nicht schwanger, weil sie sich unbewusst ihrem Partner verweigern. Andere leiden an chronischen Unterleibsschmerzen, weil sie noch nie einen Orgasmus hatten. Wiederum andere erleben Depressionen nach der Geburt, fürchten sich vor einer Schwangerschaft oder verkrampfen sich vor dem Liebesakt. Für derartige Fragen ist die Psychosomatische Frauenambulanz im Allgemeinen Krankenhaus Wien zuständig, die vor 45 Jahren von der Wiener Psychiaterin Marianne Springer-Kremsner und dem Gynäkologen Hugo Husslein gegründet wurde. Anlässlich dieses Jubiläums sowie der 35. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe findet am 15. und 16. November die Fachtagung "Frauenkörper und ihre Geschichten - der andere Blick" an der Medizinuni Wien statt. Man will andere, neue Blicke auf den weiblichen Körper werfen. Zur Diskussion stehen Themen wie die "Pathologisierung des weiblichen Lebenszyklus", die "Kulturgeschichte der Vulva" zwischen Verdrängung und Hype, die Brust zwischen Gesundheit und Lust, Leihmutterschaft, Transsexualität oder die Gebärmutter als besonders wandlungsfähiges Organ.

"In der Ambulanz haben wir einen großen Anteil an Frauen mit Schmerzproblematik im Unterbauch", sagt Leithner-Dziubas. Das reiche von über Jahre bestehenden chronischen Unterleibsschmerzen mit organischen Ursachen wie etwa Endometritis, Regelschmerzen, Infektionen und Schmerzen bei der Sexualität bis hin zu Problemen bei der Fortpflanzung.

Kaum etwas ist schöner, denn als Frau zu reifen

Manche Frauen leiden körperlich selbst ohne organische Gründe. Sexualprobleme, unerfüllter Kinderwunsch, das komplexe Prozedere einer künstlichen Befruchtung mit den damit verbundenen Hoffungen oder Enttäuschungen, Fehlgeburten, Fehlbildungen bei ungeborenen Kindern oder traumatische Geburtserfahrungen können sich auf die Seele schlagen und in Schmerzen äußern. Was kommt zuerst, der physische oder der psychische Schmerz? Diese Grenzen verschwimmen, meint Leithner-Dziubas.

Womit nicht gesagt sein soll, dass Frausein keine Freude macht. Im Gegenteil. Kaum etwas ist schöner, denn ein Kind zu bekommen, als Frau zu reifen und im weiblichen Körper zu leben, der eine unendlich erscheinende Mischung aus Natürlichkeit, Komplexität und Vielfalt bietet. Doch die naturgegebenen Stationen des weiblichen Körpers geben zu denken. Wie sehr sie das tun, zeigen allein die enorme Vielfalt an Literatur zum Thema der weiblichen Existenz und des weiblichen Selbstverständnisses sowie die Tatsache, dass sich eine ganze Generation von Künstlerinnen, von Valie Export über Renate Bertlmann bis Birgit Jürgenssen, der denkenden Existenz im weiblichen Körper widmet. Die Bewertung der Frau durch die Gesellschaft wird der eigenen Erfahrung und Sichtweise gegenüberstellt.

Maria Lassnig, eine der größten zeitgenössischen Künstlerinnen Österreichs wenn nicht sogar Europas, geht dabei sogar so weit, die Waffe gleichzeitig auf sich und ihre Betrachter zu richten. Ihr Gemälde "Du oder ich" aus dem Jahr 2005 zeigt den nackten, bereits welken Körper einer alten Frau - die Beine gespreizt, das Geschlecht entblößt. Die Pose wirkt für alle gefährlich, doch der Gesichtsausdruck zeigt zugleich Entschlossenheit, Aggressivität und Verwunderung. Ein Bildnis der ambivalenten weiblichen Existenz.