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Genveränderungen, die krank machen

Wissen

Vor einem Jahr wurden die ersten genetisch manipulierten Zwillinge geboren, Richtlinien zur Gen-Schere fehlen nach wie vor.


Vor einem Jahr schockierte der chinesische Biophysiker He Jiankui von der Universität Shenzhen mit der Nachricht über die Geburt genetisch manipulierter Zwillinge. He hatte nach eigenen Angaben das Erbgut der mit künstlicher Befruchtung gezeugten Mädchen Lulu und Nana verändert, bevor er die Embryonen in die Gebärmutter der Mutter einbrachte. He, der zuvor an der renommierten Universität Stanford im US-Staat Kalifornien geforscht hatte, hatte die ersten Babys geschaffen, deren Erbgut direkt in der Keimbahn manipuliert worden war.

Der Genetiker hatte die DNA mithilfe der Gen-Schere Crispr/Cas9 so verändert, dass die Kinder sich nicht mit dem Aids-Erreger HIV anstecken können. Das gab er am 25. November 2018 in einem Video und am 27. November bei einer Fachkonferenz bekannt. Genetisch verändert und deaktiviert worden sei das Gen für den Rezeptor CCR5.

Die Versuche lösten Empörung aus. Experten aus aller Welt übten Kritik an dem Forscher und äußerten Zweifel an der Qualität seiner Arbeit. Peking stellte He unter Hausarrest.

"Verbindliche Richtlinien sind dringend nötig"

Die Risiken des Eingriffs seien für aktuelle und künftige Generationen schwer überschaubar, warnte die University of California in einer Studie. Die gleiche Genkonstellation, die die Zwillinge angeblich vor HIV schützen solle, würde Schlaganfallpatienten bei der Regeneration helfen, indem sie das Erinnerungsvermögen verbessere. Ob dies auch Vorteil sei, wenn diese Körperfunktion gar nicht kaputt sei, sei völlig unbekannt.

Unbekannt ist es ein Jahr später auch, wie es Lulu und Nana geht. Chinas staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete lediglich, den Behörden sei die Identität der Kinder bekannt und sie blieben unter medizinischer Beobachtung. Auch He Jiankui ist aus der Öffentlichkeit verschwunden. In einem vorläufigen Untersuchungsbericht der Regierung hieß es im Jänner, He werde "entsprechend der Gesetze und Regularien bestraft". Die Universität Shenzhen, hatte den Biophysiker kurz nach der Bekanntgabe gefeuert. Laut der Deutschen Presse Agentur will die Uni heute nichts über seinen Aufenthaltsort wissen. "Er ist nicht mehr hier", sagte ein Sprecher zu der Nachrichtenagentur.

So mysteriös der Fall bleibt, so intensiv wird in dem Fachgebiet der Gen-Schere Crispr/Cas9 weitergeforscht. In Labors rund um die Welt wird an einer Verbesserung der Technologie gearbeitet, auch mit dem Ziel, ihre Anwendung beim Menschen möglich zu machen. In westlichen Ländern heftig umstritten sind Manipulationen an der Keimbahn wie bei Lulu und Nana, da diese an die nächsten Generationen weitergegeben werden. Obwohl zahlreiche Experten den freiwilligen Verzicht auf derartig nachhaltige genetischen Veränderungen fordern, hat der russische Wissenschafter Denis Rebrikow erst vergangenen Monat angekündigt, mit vorgeburtlicher genetischer Manipulation erblich bedingte Taubheit heilen zu wollen. Im Juni hatte er zudem verkündet, ähnlich wie He Babys so manipulieren zu wollen, dass sie vor einer Ansteckung mit HIV geschützt sind.

Eine breite Auseinandersetzung zur Schaffung international verbindlicher Richtlinien sei dringend geboten, betont der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock. "Das Thema muss aus der fachlichen in die gesellschaftliche Debatte. Das hat eine menschheitsgeschichtliche Dimension", sagte er. Erst im Mai hatte der deutsche Sachverständigenrat in einer Stellungnahme klargestellt, solche Verfahren seien aufgrund der Risiken unzulässig, ethisch jedoch nicht grundsätzlich auszuschließen, wenn schwere Erbkrankheiten auf diese Weise eliminiert werden können. Ein Expertenrat der Weltgesundheitsorganisation soll nun Richtlinien für den Einsatz solcher Techniken erarbeiten und überwachen sowie den gesellschaftlichen Diskurs anregen. Außerdem baut die Behörde für mehr Transparenz ein Register für entsprechende klinische Studien auf.

Eingriffe in die Keimbahn in vielen Ländern verboten

In vielen Ländern, so auch in Österreich, sind Eingriffe in die Keimbahn verboten. Dabrock hält eine internationale Konferenz auf UN-Ebene ähnlich wie bei den UN-Klimakonferenzen für eine denkbare Strategie, um einen breiten Diskurs anzuregen. "Eingriffe in die Keimbahn brauchen eine einzige klare Botschaft", schreibt das Fachblatt "Nature" in einem Leitartikel. "Laufend werden neue Fortschritte in der Genom-Editierung bekannt. Die Geschwindigkeit des Fortschrittes lässt gepaart mit der Entschlossenheit mancher Forscher die Alarmglocken schrillen. Doch die Vorgangsweise, all dies zu regulieren, war bisher suboptimal."

Noch ist die Methodezu wenig präzise

Dass die Debatten dennoch nicht vergebens waren, zeigt sich nach Ansicht von Dabrock an der Reaktion auf die Ankündigungen des russischen Forschers. Die Aufsichtsbehörden in Moskau hätten mit für viele Beobachter "erstaunlicher Klarheit" gesagt, dass sie die Versuche vorerst nicht genehmigen: "Wer weiß, ob das so gekommen wäre, wenn die Debatte nicht schon Fahrt aufgenommen hätte", betont Dabrock. Experten in Russland hatten davor gewarnt, dass Vorstöße wie jener von Rebrikow der Autorität des Landes in der Welt der Wissenschaft schaden könnten. Anders als He will Rebrikow auf eine Erlaubnis des Gesundheitsministeriums warten, bevor er weitermacht.

Rebrikow behauptet, ein Verfahren gefunden zu haben, das sicherer ist als die Genschere Crispr/Cas9, weil die Gefahr, auch außerhalb des Ziels liegende Bereiche im Erbgut zu beeinflussen, geringer sei. Das Risiko solcher Off-Target-Effekte gehört zu den wesentlichsten Hemmnissen für eine Anwendung in der Medizin.

Einen womöglich entscheidenden Fortschritt meldeten kürzlich US-Wissenschafter. Sie stellten in "Nature" ein Prime Editing genanntes Verfahren vor, das zielgerichteter und sicherer sein soll als die herkömmliche Crispr-Methode. 90 Prozent der Genveränderungen, die zu Krankheiten führen, könnten korrigiert werden. Den theoretischen Nachweis wollen die Forscher der Universität Harvard bereits erbracht haben.(est)