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Faulheit muss man sich leisten können

Von Mathias Ziegler

Wissen
Chefredakteur Walter Hämmerle im Gespräch mit Nassima Sahraoui, Virgil Widrich und Walter Krahl.
© S. Rainsborough

Podiumsdiskussion: Im Advent suchen eine Philosophin, ein Filmemacher und ein Tourismusmanager "Inseln der Stille".


Effizient entschleunigen - unter diesem (bewusst widersprüchlichen) Motto hat die "Wiener Zeitung" am Dienstagabend im Rahmen der Gesprächsrunde "future
ethics" im Wiener Albert Schweitzer Haus den Filmemacher Virgil Widrich, die Philosophin Nassima Sahraoui und den Verkehrsbüro-Ruefa-Geschäftsführer Walter Krahl zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Gesucht wurden - passend zum Advent - "Inseln der Stille", und gemeinsam mit "Wiener Zeitung"-Chefredakteur Walter Hämmerle gingen die drei auch der Frage nach dem Wesen des Menschen nach: Muss er im Schweiße seines Angesichts arbeiten oder ist er nicht doch zum Müßiggang geboren? Und was bedeutet die zunehmende Automatisierung für die Zukunft von Arbeit und Freizeit?

Filmemacher Widrich stellt dazu fest: "Der Stress beginnt schon bei der Geburt, die möglichst rasch vorbei sein soll. Und schon im Kindergartenalter lernen die Kinder: Da draußen sind ganz viele Leute, die böse werden, wenn ich nicht mittue und zum Beispiel in der Früh trödle." Aber könnten wir dem Hamsterrad überhaupt entkommen? "Ich würde es mir wünschen", meint Sahraoui, aber allzu optimistisch ist die Philosophin nicht. Sie warnt vor Entfremdung durch Leistungsdruck und Selbstoptimierung. Zum Thema Freizeitindustrie sagt sie: "Wir kaufen uns Momente der Freiheit und kommen nie zu dem Punkt, wo wir uns dessen entheben können." Wenn man sich diese Momente überhaupt erkaufen kann, denn Widrich weist darauf hin, dass eine große Zahl von Arbeitnehmern im Prekariat sich diesen Luxus gar nicht leisten kann: "Die bekommen gerade genug, dass sie damit über die Runden kommen und keine Revolution ausbricht. Aber die Frage nach Faulheit stellt sich für sie gar nicht."

Womit die durchaus kontrovers geführte Diskussion, die sich auch um die Frage nach gesellschaftlicher Akzeptanz von Faulheit gedreht hat - Widrich: "Wenn ich einen Auftrag aus Zeitmangel ablehne, wird das akzeptiert; aber wenn ich erkläre, dass ich einfach zu faul bin, kommt das sicher nicht so gut an" -, beim Thema Arbeitsmarkt angekommen ist. Hier taucht auch die Frage auf, ob in Zeiten der Roboterisierung der Tourismus für Österreich ein Jobmotor sein kann. Krahl stellt dazu fest: "Der Tourismusgrad hat bereits die 100 Prozent fast erreicht. Jetzt geht es darum, Nischen zu füllen." Qualität statt Quantität sei gefragt.

Home Office: Fluch oder Segen?

Trotz vergleichsweise geringer Wochenarbeitszeit leisten die Österreicher immer mehr Überstunden und wollen die verbleibende Freizeit möglichst sinnhaft ausfüllen. Hierzu entbrennt eine Debatte zwischen Sahraoui und Krahl über das Home Office. Während der Ruefa-Chef damit seinen Mitarbeiterinnen ("80 Prozent der Belegschaft weiblich") entgegenkommen will, sieht es die Philosophin nicht unbedingt positiv, wenn die Arbeit auch noch freiwillig mit nach Hause genommen wird.

Ironischerweise hat übrigens Sahraoui selbst eine Anthologie über die Faulheit geschrieben, an der sie "Tage und Nächte hindurch gearbeitet" hat. Sie unterscheidet zwischen Trägheit (im Extremfall Verfaulen) und Regeneration, die auch eine aktive Komponente habe. Übrigens hat auch Spitzenmanager Krahl, "durchaus Vormittage, wo ich mich erhole, indem ich stundenlang einfach daheim herumsitze und in die Luft schaue".

Sahraoui findet jedenfalls gesellschaftlich vorgegebene Zeiten der Stille wie etwa den Advent wichtig. Ob sie tatsächlich eingehalten werden, steht freilich auf einem anderen Blatt. Wir leben jedenfalls in einer Gesellschaft von (auch selbstgemachtem) Stress und Zwang zur Selbstoptimierung. Aber gäbe es eine Gesellschaft auf der Welt, die es besser macht? Während Widrich passen muss, nennt Krahl Bhutan und das Bruttonationalglück. "Dort geben nur 8 Prozent an, unglücklich zu sein."