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Sars-CoV-2 kann auch andere Organe befallen

Von Eva Stanzl

Wissen

Der Genetiker und Immunologe Josef Penninger warnt davor, das neuartige Coronavirus zu unterschätzen.


Herr Penninger, haben Sie Angst vor dem Coronavirus? "Nein. Wenn es kommt, dann kommt es", sagt der Leiter des Life Sciences Institute der University of British Columbia in Toronto, Kanada, und Gründer des Wiener Instituts für Molekulare Biotechnologie. Und: "Ich glaube, es ist o.k., wenn wir hier jetzt keinen Mundschutz tragen."

Penninger lehnt sich im ockerfarbenen Klubsessel zurück. Seit einer Woche reist er quer durch die Welt. Auch in der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft in der Wiener Innenstadt macht der in Oberösterreich geborene Forscher halt. Das Thema seines Vortrags ist sein Therapieansatz gegen das Coronavirus Sars-CoV-2. Der Immunologe und Genetiker hat einen Rezeptor entdeckt, der die Lunge schützt, jedoch zugleich dem neuartigen Coronavirus Tür und Tor in die Lungenzellen öffnet, sowie eine Substanz, die dies verhindert. Wenn sie marktfähig wird, könnte sie die weltweit grassierende Krankheit Covid-19 heilen.

Der Rezeptor ACE-2 (Angiotensin Converting Enzyme) ist ein Eiweiß, das an der Oberfläche von Zellen sitzt. Er kann Signale von außen empfangen und diese über eine Biomembran ins Zellinnere schleusen. ACE-2 hat die Aufgabe, vor Lungenversagen zu schützen. Zugleich macht es dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 den Weg ins Zellinnere frei. Das Virus dockt an den Rezeptor an und tritt gemeinsam mit ihm ein, um sich im Inneren zu vermehren und dort sein Unwesen zu treiben. Im äußersten Fall versagt die Lungenfunktion. Penningers Gegenmittel ist ein biotechnologisch hergestelltes Protein, das wie ein Schwamm die Spur verwischt. Es sieht genau so aus wie der Rezeptor, öffnet aber die Tore nicht. Das Virus steht davor - und stirbt.

In einer Studie der Phase 1 an gesunden und der Phase 2 an einer kleinen Gruppe von lungenkranken Personen hat sich eine Substanz auf dieser Basis als sicher und wirksam erwiesen. Nun wartet der Forscher auf die Zusage der chinesischen Behörden für eine klinische, Placebo-kontrollierte Studie der Phase 3 mit zahlreichen Probanden. "Wir müssen es an Covid-19-Patienten testen", sagte Penninger zur "Wiener Zeitung" kurz vor seinem Vortrag am Montagabend.

Das Virus aus der Lunge aussperren

Die Idee zu dem Wirkstoff, der einen Hoffnungsschimmer in der gegenwärtigen Epidemie darstellt, wurde bereits vor 15 Jahren geboren und führt nach Upper Manhattan in New York. "Damals war das Membran-Protein ACE-2 ganz neu", erzählt der Wiener Mediziner Christoph Österreicher. Im Rahmen seines Postdoc-Trainings an der renommierten Columbia University arbeitete er mit Penninger zusammen. Der Genetiker hatte im Labor Mäuse geschaffen, denen der Rezeptor fehlte. Die Abwesenheit von ACE-2 sollte Aufschluss über dessen Funktion in einem Regelkreislauf geben, der Blutdruck, Natrium- und Harnausscheidung, Gewebeumbau nach einem Herzinfarkt und Perfusion der Nieren kontrolliert. "Mäuse, denen der Rezeptor fehlte, bekamen etwa Herzerkrankungen oder Lungenschäden", berichtet Österreicher.

"Ursprünglich interessierte uns ja die Herzfunktion von Fliegen", blickt Penninger noch weiter zurück. Wir haben uns angeschaut, welche Gene die Entstehung von Fliegenherzen kontrollieren, und fanden deren zwei, ACE und ACE-2." ACE-2 entpuppte sich später als Andockstelle für manche Coronaviren. Zusammen mit japanischen Kollegen entdeckten wir, dass ACE-2 vor Lungenversagen schützt."

Sars war einfacher zu kontrollieren

Und dann kam Sars. Der ältere Bruder von Sars-CoV-2 infizierte von November 2002 bis Juni 2003 weltweit 8000 und tötete 776 Menschen. Die schwere Lungenerkrankung betritt die Lunge durch dieselbe Türe wie das neue Coronavirus. Die Forschenden entwickelten damals eine erste Version des Wirkstoffs. Labormäuse gesundeten. "Alles, was wir damals gemacht haben, lässt sich heute anwenden", betont Penninger. Allerdings sei es "vergleichsweise einfach" gewesen, Sars unter Kontrolle zu bekommen. Patienten mussten sichtbar krank sein, um andere anstecken zu können. Das neuartige Coronavirus verbreitet sich hingegen schon dann, wenn noch keine oder nur leichte Symptome vorhanden sind. Seit Dezember wurden weltweit 116.152 infizierte Personen registriert, von denen 4088 gestorben sind (Stand: Dienstag, 16 Uhr).

Das neue Virus gibt der Menschheit Rätsel auf. Wie viele Stämme gibt es? Kann man sich mehrmals infizieren? Befällt es nur die Lunge oder auch andere Organe und wenn ja, was tut es dort? Penninger rät dazu, Sars-CoV-2 nicht zu unterschätzen. Er kann erklären, warum.

Zwei Stämme - der eine leichter, der andere aggressiver

Der Immunologe bestätigt eine in "National Science Review" publizierte Studie aus China, wonach mindestens zwei Stämme mit unterschiedlichen Krankheitsverläufen existieren. Der ältere und aggressivere Stamm heißt demnach L, der jüngere, mit leichteren Symptomen einhergehende und sich zunehmend durchsetzende, heißt S. "Ich arbeite mit Forschern in Stockholm, die in einem Hochsicherheitslabor für Virusinfektionen tätig sind. Wir schreiben eine Studie über den weniger pathogenen Stamm, der in der Evolution wohl größere Chancen hat. Wenn ein Virus weniger tödlich ist, gibt es mehr Menschen, die es streuen können." Dennoch ist das kein Grund zum Aufatmen. "Leider sehe ich Möglichkeiten, dass noch weitere Stämme entstehen oder bereits existieren", sagt der Genetiker. Fledermäuse tragen 50 bis 60 Coronaviren. Laut einer in "Nature" erschienenen Arbeit nutzen etwa 20 von ihnen ACE-2 als Eintrittstür. "Das wird nicht das letzte Coronavirus, gewesen sein, das uns infiziert", sagt Penninger.

Ob es jemals eine Impfung geben wird, ist ebenfalls unklar. Das Virus könnte permanent die Runde machen. Der Fall einer Frau aus Japan, die nach ihrer Genesung erneut positiv getestet wurde, sei nicht der einzige. "In den letzten Wochen wurden etliche Fälle bekannt, bei denen es ebenso ist. Was mich als Immunologe schreckt, ist, dass wir zu wenig über den Umgang des Immunsystems mit Coronaviren verstehen."

Ziemlich klar ist aus heutiger Sicht, dass Personen mit kardiovaskulären Erkrankungen stärker betroffen sind als andere. Für Penninger liegt dies auf der Hand, "denn ACE-2 sitzt im Herz". Bei Vorerkrankungen des Herzens hat das Coronavirus ein leichtes Spiel. Man kann das Virus auch im Stuhl finden, denn ACE-2 sitzt im Darm, wo es sich "wunderbar vermehrt". Man kann es im Urin nachweisen, denn ACE-2 sitzt in den Nieren. "Wenn es aus der Lunge streut, hat es Türen in die Niere, in den Darm, in das Herz." Der Worst Case wäre Multi-Organ-Versagen. "Ich bin mir absolut sicher, dass Sars-CoV-2 auch andere Organe befällt. Wir haben menschliches Organgewebe gezüchtet und können es mit dem Virus infizieren", berichtet er aus einer noch nicht veröffentlichten Arbeit. Wie gefährlich das ist, müsse noch erforscht werden.

Wann kommt also das Medikament auf den Markt? "Es ist ein biotechnologisches Produkt. Viel Zeit und Geld sind nötig, um es herzustellen. Aber wenn es funktioniert, dann werden wir das schaffen", sagt Penninger.

Christoph Österreicher, der heute als Lektor und Autor tätig ist, würde seinem Kollegen jedenfalls gratulieren, wenn es gelingt. Anders als dessen Forschungsarbeiten zur Lunge fanden seine Anwendungen in der Leber zwar keine finanziellen Unterstützer. "Aber die Zeit an der Columbia war eine der interessantesten in meinem Leben. Ich würde das nicht missen wollen."