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"Müssten ganze Landstriche testen"

Von Eva Stanzl

Wissen
© reuters/Fabrizio Bensch

Komplexitätsforscher unterbreiten Pooling-Methode, die die Zahl der Tests für Covid-19 steigert.


Ein Plus von 15 Prozent bei Neuinfektionen mit Covid-19: Das ist die Bilanz von Woche eins mit Ausgangsbeschränkungen wegen des Coronavirus in Österreich. Auch der Wochen-Durchschnitt von 20,9 Prozent sei im Vergleich zu anderen Ländern eher gering, betonte das Gesundheitsministerium am Montag.

Das Ergebnis kann auch dahingehend als positiv gewertet werden, als dass hierzulande immer mehr Menschen getestet werden. Am Montag lag Österreich bei 21.000 getesteten Personen.

Die Bundesregierung will diese Zahl nun weiter erhöhen. Eine innovative Methode, dies zu tun, ohne die Ressourcen zu sprengen, unterbreitet der Complexity Science Hub (CSH) in Wien. Laut den Forschern könnten mit derzeit verfügbaren Tests deutlich mehr Personen auf das Coronavirus Sars-CoV-2 untersucht werden, wenn mehrere Proben in einem Test zusammengeführt würden. "Pooling-Strategien zum Testen von möglicherweise Infizierten sind eine praktisch kostenlose Möglichkeit, die Effizienz der vorhandenen Tests zu vervielfachen, vor allem solange der Infektionsgrad noch gering ist", heißt es in einem auf der Homepage des CSH veröffentlichten "Policy Brief".

20 Personen mit nur einem Test

Konkret sollen die Proben von mehreren Personen in zwei Hälften aufgeteilt werden. Die erste Hälfte wird mit einem einzigen Test gemeinsam überprüft. Ist dieser negativ, sind alle gemessenen Personen negativ. Ist der Test aber positiv, wird die zweite Hälfte der Proben jeder Person einzeln getestet. "Mit einem Schlag wüssten wir, dass 20 oder in einem frühen Infektionsstadium einer Region sogar 50 bis 60 Personen Covid-19 negativ sind", betont CSH-Chef Stefan Thurner.

Unter der Annahme, dass es derzeit in Österreich 10.000 tatsächlich infizierte Personen gibt (die Zahl der bestätigten Infektionen lag am Montag bei rund 3600), ist den Forschern zufolge die optimale Pooling-Größe 20 Proben pro Test. In diesem Fall können mit 3000 täglich verfügbaren Tests die Proben von 45.000 Menschen analysiert werden. Sollten 100.000 Personen infiziert sein, liegt die optimale Pooling-Größe bei elf Proben pro Tests. Mit 3000 Tests könnten also 15.000 Personen täglich getestet werden. "Pooling könnte dabei helfen, Engpässe bei den Tests deutlich zu entschärfen", betonen die Wissenschafter, die zugleich einschränken, dass ihrem Vorschlag konkrete, aber bewältigbare Probleme in Labors und Teststellen entgegenstehen könnten.

Rätselhafte Dunkelziffer

Weltweit suchen Forschungsteams nach einer Antwort auf das zentrale Rätsel der Epidemie: Wie viele infizierte Menschen mit milden bis keinen Symptomen stecken andere an? Immer mehr Ansteckungen sind nicht mehr auf direkte Kontakte zu Patienten oder Reisen in die Hotspots der Epidemie zurückzuführen.

"Es ist wirklich wichtig, die Dunkelziffer zu kennen, wenn wir die Epidemie in den Griff bekommen wollen", sagt der US-Forscher Michael Osterholm, Direktor des Zentrums für Infektionskrankheiten der University of Minnesota im Fachmagazin "Nature". Sie könnte erklären, wie sich das Virus in der chinesischen Provinz Hubei, mit der Stadt Wuhan der Ursprungsort der Krankheit, so schnell verbreiten konnte.

Ein US-chinesisches Team hat anhand der klinischen Daten von 26.000 bestätigten Fällen berechnet, dass es per 18. Februar in Wuhan weitere 37.400 Infizierte gegeben haben müsse, die den Behörden nicht bekannt waren. "Unsere konservativste Schätzung ist, dass 59 Prozent der Infizierten zunächst einfach auf den Straßen unterwegs waren, ohne getestet worden zu sein," sagt Studienleiter Wu Tangchun von der Huazhong-Universität in Wuhan.

Auch Menschen ohne Symptome testen

Das Modell berücksichtige allerdings nicht, dass nicht alle Menschen gleich viele Menschen sehen. "In Wirklichkeit ist die Ansteckungsrate geringer, speziell bei restriktiven Maßnahmen, wie sie nun in vielen Ländern eingeführt wurden", sagt Mathematiker Gerardo Chowell von der Georgia State University in Atlanta.

"Es ist extrem schwierig, die Anzahl der Infizierten ohne einen vernünftigen, bevölkerungsweiten Test herauszufinden", hebt Stefan Thurner hervor. "Um ein Gefühl für die Dunkelziffer zu bekommen, müssten wir Landstriche österreichweit testen." Das würde bedeuten, auch Menschen ohne Symptome zu überprüfen. "Um dabei nicht an die Kapazitätsgrenzen zu stoßen, benötigen wir das Pooling", so Thurner.