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Wie Island seine Bevölkerung testet und was wir daraus lernen

Von Simon Rosner

Wissen
Ein Thermalfreibad in Grindavik, Island.
© Reuters/Hannah McKay

Die Erkenntnisse sind für die ganze Welt relevant und gaben Hoffnung. Sind wirklich die Hälfte der Infizierten ohne Symptome? Eine Nachfrage.


Die isländische Biopharmaziefirma "deCODE genetics", eine Tochter des US-Unternehmen Amgen, hat sich weltweit einen Namen in der Erforschung des Humangenoms gemacht auf Basis von breit angelegten Untersuchungen der isländischen Bevölkerung. Seit Wochen unterstützt "deCODE" die isländischen Behörden bei Tests auf Covid-19. Mit rund 2700 Tests pro 100.000 Einwohnern ist Island mit großem Abstand weltweit führend. Niemand testet mehr. Deshalb sind die daraus gewonnenen Erkenntnisse, etwa puncto Dunkelziffer und Krankheitsverläufen, auch für andere Länder relevant. Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem CEO von "deCODE", Kári Stefánsson, der vor Gründung seines Unternehmens 1996 unter anderem Professor für Neurologie in Harvard war und am Beth Israel Hospital in Boston arbeitete.

"Wiener Zeitung:" Wenige Tage nach Auftreten der ersten Covid-19-Fälle in Island haben Sie angeboten, die gesamte Bevölkerung zu testen. Warum?

Kári Stefánsson: Es ging nicht darum, die gesamte Bevölkerung zu testen, sondern einen Durchschnitt. Die Grundidee ist aber gleich, nämlich einen großen, repräsentativen Teil der Bevölkerung zu testen. Wenn man die Containment-Maßnahmen entwirft, muss man wissen, wie weit das Virus verbreitet ist. Wir arbeiten mit dem Gesundheitssystem in Island eng zusammen, damit die Behörden vernünftig planen können.

Diese Tests haben am 14. März begonnen, wurde davor auch getestet?

Die Gesundheitsbehörden haben Personen aus Hochrisikogruppen getestet, und zwar seit Anfang Februar. Es wurden auch bereits 65 Personen getestet, bevor der erste Fall gefunden wurde. Wir waren vielleicht das erste Land, das vor dem ersten Fall mit einem Screening begonnen hat.

Betrafen die ersten Fälle die Reisegruppe, die in Tirol Skifahren war?

Ja, unter den ersten Positiven waren Personen, die in Österreich waren. Die Behörden in Island haben auch die Behörden in Österreich gewarnt, das wurde aber ignoriert.

Wie viele Tests gab es bisher?

Unsere Firma hat bisher circa zwei Prozent der Bevölkerung Islands (360.000, Anm.) getestet. Wenn man die Tests der Gesundheitsbehörden dazuzählt, kommen wir auf drei bis vier Prozent der Bevölkerung.

Wer wurde getestet? Mussten die Personen Symptome aufweisen? Oder waren es randomisierte Tests?

Nein, randomisiert waren sie nicht. Das ist in dieser Zeit sehr schwer. Wir haben allen, die wollten und nicht die klassischen Symptome von Covid-19 zeigten, angeboten, sich testen zu lassen. Wir konnten aber nur einen kleinen Teil bisher testen, da uns die Abstrichstäbchen, mit denen wir die Proben nehmen, ausgegangen sind. Wir erwarten aber noch diese Woche 10.000 solcher Stäbchen und nächste Woche noch einmal 50.000. Allerdings müssen wir sie erst einmal erhalten.

Das Testprogramm Islands ist der umfassendste Test-Ansatz in Europa, auch um die Dunkelziffer schätzen zu können. Welche Erkenntnisse gibt es bisher darüber?

Unsere Einschätzung ist, dass ein bisschen weniger als ein Prozent der Bevölkerung tatsächlich infiziert ist. Nur ein kleiner Teil davon, etwa 650 Fälle, wurden in Island aber diagnostiziert. Das bedeutet, dass wir eine signifikante Anzahl an Personen haben, die herumlaufen und andere infizieren können. Es ist daher sehr wichtig für uns, weiter zu screenen, die Infizierten zu finden und sie in Quarantäne zu nehmen.

Wie groß ist der Anteil der Personen, die infiziert sind, aber keinerlei Symptome haben?

Das ist wirklich schwer zu sagen. Meine Vermutung ist, dass man ganz am Anfang asymptomatisch ist. Bei unserem Bevölkerungs-Screening waren das rund 40 Prozent - zum Zeitpunkt der Tests. Wenn man die Gruppe heranzieht, die im Spital getestet wurde, hatten 82 Prozent Symptome und nur 18 Prozent waren asymptomatisch. Es hängt also davon ab, zu welchem Zeitpunkt des Verlaufs der Erkrankung man testet.

Das heißt, ein Teil der 40 Prozent der Getesteten, die in Ihrem Screening keine Symptome zeigten, hätten bei einer Kontrolle einige Tage später sehr wohl Symptome haben können?

Ja, das ist aber nur eine Hypothese, aber ich denke, eine begründete. Wenn es nicht so wäre, wäre ich sehr überrascht. Eine andere Sache ist, dass wir auch das Herkunftsland des Virus testen können, mit dem die Menschen in Island infiziert sind. Es gibt eine spezifische Mutation für Österreich, für England, Italien, China oder die Westküste der USA. Und ich kann bestätigen, dass die Infektionen in Island aus vielen Ländern stammen, nicht nur aus Österreich oder Italien. Es kommt von überall her.

Es gibt zwar wenige, aber doch einige schwere Verläufe bei jungen Personen. Gibt es Hinweise, dass das mit verschiedenen Virensträngen zu tun hat?

Es gibt sehr wenige Anhaltspunkte dafür, dass sich verschiedene Stränge von Viren unterschiedlich verhalten. Es ist eher wahrscheinlich, dass es Unterschiede bei den Wirten der Viren gibt, die zu den unterschiedlichen Ausprägungen der Krankheit führt. Aber es kann sein, dass wir später herausfinden, dass diese Annahme falsch ist. Aber im Moment gibt es dafür keine Beweise.

Wichtig ist nicht nur die Zahl der Fälle, sondern auch der Anteil der schweren Erkrankungen und Todesfälle. Haben die Daten aus Island dafür bereits Aussagekraft?

Wir haben derzeit nicht viele schwere Erkrankungen. Im Moment sind nur 17 Fälle in Island in Spitalsbehandlung und eine Person muss beatmet werden (Stand: Mittwoch, Anm.). Wir können noch keine Rückschlüsse ziehen, es ist noch zu früh im Verlauf der Epidemie. Vielleicht wissen wir in zehn Tagen mehr.

Gibt es Erkenntnisse über Risikofaktoren, die bisher noch nicht bekannt waren?

Ein bisschen etwas wissen wir. Zum Beispiel, dass Kinder, die infiziert werden, kaum ernsthaft erkranken. Und wir wissen auch, dass sich Kinder überhaupt seltener infizieren. Und dass sich mehr Männer anstecken als Frauen und auch öfter schwerer erkranken. Aber wir haben noch nichts darüber hinaus gefunden, das überzeugend ist, wenn es um die Wahrscheinlichkeit geht, schwerer zu erkranken.