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Die Jagd nach Covid-19-Immunen

Von Eva Stanzl und Petra Tempfer

Wissen
Abwehrkämpfer in Aktion: B-Lymphozyt setzt Antikörper gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 frei, die es verschlingen und zerstören.
© Juan Gärtner - stock.adobe.com

Das Robert-Koch-Institut hat deutschlandweite Antikörperstudien gestartet - in Österreich steht man knapp davor.


Alle Menschen, bei denen eine Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 mild oder sogar unbemerkt verlaufen ist, sind enorm wichtig. Genau diese Personen wurden in der Regel noch nicht mit dem Virus in Verbindung gebracht. Sie könnten aber Aufschluss über dessen tatsächliche Verbreitung geben und die Frage klären, ob es so etwas wie Herdenimmunität tatsächlich gibt - wir also damit rechnen können, dass Genesene immun werden und bei ausreichender Zahl das Virus so zurückdrängen, dass es niemanden mehr anstecken kann. Dann wären wir auch ohne Impfung aus der Geiselhaft, die uns ein Dickicht von komplexen Maßnahmen auferlegt, entlassen. Mit steigender Herdenimmunität könnten wir uns nach und nach freier bewegen.

Das Robert-Koch-Institut (RKI), die deutsche Oberbehörde für Infektionskrankheiten, geht dieser Frage auf den Grund. Es hat deutschlandweite Antikörperstudien an Blutspendern und Menschen in einigen Covid-19-Ausbruchsgebieten gestartet. "Die Ergebnisse sind von großer Bedeutung, um den Verlauf und die Schwere der Pandemie genauer abschätzen und die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen besser bewerten zu können", sagte RKI-Präsident Lothar Wieler. Die offiziell gemeldeten, an Covid-19 erkrankten Personen würden lediglich einen Teil der tatsächlich Infizierten widerspiegeln. Ein vollständiges Zahlenwerk mit Immunen könnte für die Strategien der Maßnahmenlockerungen entscheidend sein.

Größere Studie geplant

In der Laboranalytik arbeitet das RKI mit dem von Christian Drosten geleiteten Institut für Virologie an der Berliner Charité zusammen. Diesem zufolge kommen Elisa-Tests (Enzyme-linked Immunosorbent Assay) zum Einsatz, mithilfe derer man feststellt, ob im Blut Antikörper gegen Sars-CoV-2 vorhanden sind, heißt es auf Nachfrage der "Wiener Zeitung".

Einerseits werden nun in Zusammenarbeit mit den Blutspendediensten Blutproben von Erwachsenen aus ganz Deutschland auf Antikörper untersucht. Alle 14 Tage sollen rund 5000 Blutproben analysiert werden. Andererseits werden in Orten mit besonders vielen Infizierten je 2000 Probanden ab 18 Jahre untersucht und auch zu Vorerkrankungen, Gesundheitsverhalten und Lebensumständen befragt. Erste Ergebnisse der Tests sowohl aus den Blutproben als auch in den Hotspots werden Anfang Mai erwartet. Im Anschluss sei eine größere, repräsentative Studie geplant, deren Ergebnisse im Juni vorliegen sollen, heißt es vom RKI.

Und wie funktioniert das alles? Diese Frage stellt sich auch in Österreich spätestens seit der Ankündigung der Bundesregierung Ende März, mit Hilfe von "Schnelltests" herausfinden zu wollen, wie viele Personen bereits immun gegen Covid-19 sind. Anders als in Deutschland, wo die Testreihen seit dem ersten Ausbruch des ersten Sars-Coronavirus 2002/03 entwickelt werden, sind eigene Studiendesigns hierzulande noch in Arbeit. In den kommenden Monaten sollen sie jedoch ebenfalls an den Start gehen.

Beim Kontakt mit Sars-CoV-2 bildet der Körper spezifische Antikörper, die im Blut messbar sind. Große Mengen an Antikörpern können Schnelltests, die ähnlich wie Schwangerschaftstests funktionieren, entdecken. "Das Problem bei vielen Schnelltests ist jedoch, dass sie auch Antikörper erfassen, die sich nicht spezifisch gegen das Virus richten, womit sie falsch positive Resultate liefern", erklärt Immunologin Ursula Wiedermann-Schmidt von der MedUni Wien. Das wäre verheerend. Denn wenn Betroffene sich auf der Basis der Ergebnisse unwissend falsch verhalten, breitet sich das Virus weiter aus. Umgekehrt könnten die Schnelltests nur hohe Antikörpermengen im Blut nachweisen, etwa nach schwachen Krankheitsverläufen. "Dann haben wir falsch negative Resultate."

Neutralisationstests am besten

Neutralisationstests gelten als "Goldstandard" für den Nachweis schützender Antikörper. Sie können Antikörper nachweisen, die spezifisch gegen einen Erreger in den Krieg ziehen, um ihren Abwehrkampf zu führen. "Eine genesene Person ist immun gegen einen Erreger, wenn Virus-spezifische Antikörper im Test aufscheinen, die den Erreger neutralisieren. Nur eine bestimmte Gruppierung von Antikörpern ist dazu befähigt, ein Virus so zu blockieren, dass es nicht mehr in die Zelle eindringen kann", so die Immunologin. Neutralisationstests existieren für verschiedenste Viren, können jedoch nur von Labors mit Virus-spezifischen Einrichtungen durchgeführt werden. Da sie sehr aufwendig sind, eignen sie sich laut Experten nicht, um eine breite Bevölkerung auf Immunität zu testen.

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Für Routine und Massentestungen empfehlen sich eher die vom RKI verwendeten Elisa-Tests. Sie weisen mit Hilfe einer enzymvermittelten Reaktion die Wechselwirkung von Antigen (Krankheitserreger) und Antikörper (Immunglobuline) nach. Über eine Farbreaktion wird die Menge an spezifischen Antikörpern, die Sars-CoV-2 bekämpfen, in Blutseren gemessen. Je stärker die Mediziner das Serum verdünnen, desto schwächer die Farbe, und je mehr Antikörper im Serum, desto stärker ist es verdünnbar. Die Ergebnisse müssen dann mit dem "Goldstandard" verglichen werden.

Der britische Premier Boris Johnson bezeichnete Antikörpertests als "bahnbrechenden" Faktor, der "die Spielregeln umdreht". Dutzende Biotech-Firmen erzeugen oder arbeiten an solchen Systemen in jeder der genannten Ausführungen. Regierungen kaufen Millionen von Testkits in der Hoffnung, dass die Ergebnisse richtungsweisend sein könnten. Aus Italien gibt es sogar den Vorschlag, dass die Testergebnisse einen "Immunitätsausweis" darstellen könnten, der ihren Besitzern einen Freibrief für die Rückkehr in das gesellschaftliche Leben erteilt.

Manche Forscher teilen den Enthusiasmus. So stellt zum Beispiel der klinische Virologe David Smith von der University of Western Australia in Perth im Fachmagazin "Nature" in Aussicht, dass man auf diese Weise sogar erforschen könnte, ob Impfstoff-Kandidaten tatsächlich die gewünschte Wirkung erzielen. Allerdings müsse bis dahin noch eine Menge Entwicklungsarbeit geleistet werden, sagt Smith.

Ähnlich wie bei anderen neuen Technologien gibt es auch hier Anzeichen, dass bei Covid-19-Antikörper-Tests zu viel versprochen und die Herausforderungen unterschätzt wurden. Testkits strömen in den Markt, aber viele sind zu ungenau, um Immunität zu bestätigen. "Anfang März haben wir diese Schnelltests noch angeboten. Aber dann erhielten wir die behördliche Weisung, den Verkauf einzustellen, mit der Begründung, die Tests seien nicht präzise genug. Jetzt bieten wir sie nicht mehr an", berichtet eine Apothekerin in der Wiener Innenstadt.

"Die Testung darf niemals auf Kosten der Qualität gehen. Es muss in Zeiten wie jetzt, wo wir so wenig über das Virus und die Erkrankung wissen und tagtäglich neu dazu lernen, eine qualitative, evidenzbasierte Linie die oberste Priorität sein", betont Wiedermann-Schmidt. Nach geltenden Richtlinien der Immunologie müssen Antikörper-Tests zu mindestens 99 Prozent verlässlich sein. Schon nur 95 Prozent wären bei der derzeitigen Pandemie fahrlässig, weil sich dann Hunderttausende, wenn nicht sogar Millionen Menschen falsch verhalten würden.

"Das Virus ist zu neu"

Auch ob der Anteil jener Menschen, die Antikörper gebildet haben, mit einer langfristigen Herdenimmunität gleichgesetzt werden kann, ist mehr als ungewiss. "Das Virus ist zu neu, um das mit 100-prozentiger Sicherheit vorhersagen zu können", erklärt Monika Redlberger-Fritz vom Zentrum für Virologie an der MedUni Wien. "Antikörper werden mit Sicherheit vor Neuinfektionen schützen. Von Coronaviren wie 229E oder NL63 wissen wir aber, dass man sich nach ein, zwei Jahren wieder damit anstecken kann." Danach gebe es keine schützende Immunität mehr, und man könne das Virus auch wieder übertragen.

Von einer effektiven Herdenimmunität spricht man grundsätzlich dann, wenn das Ausmaß der Immunität in einer Bevölkerung ausreicht, um weitere Neuinfektionen zu verhindern. Je höher die Herdenimmunität, desto schwächer das pandemische Geschehen. Bei Masern, die sich leichter verbreiten als Covid-19, liegt diese bei 95 Prozent. Aus heutiger Sicht müssen bei Sars-CoV-2 60 Prozent immun sein, damit alle geschützt sind. Aus einer Studie des RKI im stark betroffenen Gebiet Heinsberg nahe Köln ist bekannt, dass 15 Prozent Antikörper im Blut hatten. In Österreich gibt es bisher lediglich eine Dunkelziffer-Studie des Sozialforschungsinstituts Sora von Anfang April. Der wahrscheinlichste Wert lag bei 28.500 Infizierten, was 0,33 Prozent der Bevölkerung entspricht und mehr als drei Mal so hoch war wie die damals rund 8600 behördlich bekannten Fälle. Allerdings wurde die Sora-Studie mit PCR-Tests durchgeführt, die nur das Vorhandensein des Virus nachweisen, woraus sich nicht verlässlich auf Immunität schließen lässt.