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Das Corona-Gesicht

Von Alexandra Grass

Wissen
© alexanderuhrin - stock.adobe.com

Gesichtleser Eric Standop über neue Möglichkeiten der Kommunikation und digitale Gesichtserkennung.


Die Maske ist im Zuge der Corona-Pandemie zum Alltag geworden. Für die Kommunikation mit anderen bedeutet das Einschnitte. Wie wichtig Mimik ist und was unser Gesicht über uns preisgibt, weiß Eric Standop. Er ist Experte für Face Reading. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" zeigt er auf, welche Informationen durch die Maske verloren gehen, und spricht über neue Möglichkeiten der Kommunikation und die Herausforderungen in Sachen digitale Gesichtserkennung.



"Wiener Zeitung":Ein Gesicht spricht Bände. Die Augen sind das Tor zur Seele. Heißt es. Was sagen uns Augen und Mund tatsächlich?Eric Standop: Augen und Mund sind die Merkmale, die sich am schnellsten verändern. Eine Vielfalt an Gesichtsmuskeln sind um sie sortiert. Damit können wir viel schneller mitteilen, wie es uns geht, was wir denken, was wir fühlen, welche Erwartungshaltung wir haben. Da können Ohren, Nase, Kinn nicht mithalten. Augen offenbaren auch, ob jemand krank ist, zu wenig geschlafen, zu viel getrunken hat, traurig oder frisch verliebt ist. Die Augen sind also das Tor zu unserem Gefühlsleben, zu unserer Gedankenwelt und zu unserem Gesundheitszustand. Der Mund ist der kleine Bruder der Augen. Auch er kann sich schnell verändern - etwa beim Sprechen.

Sie betrachten zwar das Äußere. Doch, wie Sie in Ihrem Buch schreiben, geht es nicht um Äußerlichkeiten. Also kein Widerspruch in sich?

Genau. Wir müssen einfach anerkennen, dass wir mitverantwortlich sind, wie wir uns körperlich entwickeln. Es geht nicht nur um das Hüftgold. Unser Gesicht ist die Antwort darauf, wie wir leben. Ob wir etwa 20 Jahre lang depressiv oder glücklich sind. Das sieht man im Gesicht.

Das Gesicht ist demnach das innere Spiegelbild. Was ist bei Menschen, die ihr Gesicht verändern - chirurgisch oder mit Botox?

Ich sehe nicht mehr das Original. Von daher ist das Lesen eines Menschen nach plastischer Chirurgie herausfordernd. Etwas Forschung gibt es beim Thema Botox. Das ist erschreckend. Botox vermindert die Muskelbewegung. Diese Menschen können somit die Emotionen und die Gedankenwelt ihres Gegenübers nicht mehr nachspüren, nachspiegeln. Das vermindert die Empathie.

Inwieweit kann ein Computer Gesichter lesen? Man weiß ja von digitaler Gesichtserkennung, dass sie fehlerbehaftet ist. Können Algorithmen jemals korrekt sein?

Ich hoffe nicht. Die Gesichtserkennung will eben nicht nur wissen, ob das Lieschen Mayer ist. Sondern: Das ist Lieschen Mayer, heute ist sie glücklich, gestern war sie es nicht. Ich sehe, sie hat nicht gut geschlafen und sie hat übrigens einen Herzfehler. Heute ist die Software noch ein Ford T. Dass irgendwann ein Tesla der Gesichtserkennung herumfährt, ist zu befürchten. Die Fehler rühren daher, dass noch immens viele Daten fehlen. Und man braucht ein helles Gesichtsbild. Je dunkler, umso weniger sind Feinheiten erkennbar. Wir sind zudem viel zu individuell. Daher egal, welche Software kommt, sie wird generalisieren. Am Ende wird man herunterreduziert. Die Frage ist, ob das jeder möchte.

China scheint der absolute Vorreiter zu sein. Hingegen hat sich Apple davon distanziert.

Dass Apple sich davon verabschiedet, liegt auch an der Politik in Kalifornien und San Francisco, wo Gesichtserkennungssoftware nicht eingesetzt werden darf. Darum ist es für Apple auch völlig unattraktiv weiterzumachen Sie kaufen lieber am Ende ein fertiges Modul ein. Da ist die chinesische Software ist extrem weit.Das wird die Vorgabe sein. Reist man nach China, wird sofort das Gesicht erfasst, dann wird man registriert und ergänzt um den Namen und die Lebensgeschichte, die irgendwo im Internet zu finden ist. Zudem wird man sofort optisch untersucht nach möglichen Erkrankungen, emotionalen Schwierigkeiten oder als Gefahr für das System gelten könnte.

Augen und Mund sind die zentralen Merkmale. Was geht bei der Maske verloren?

Auf jeden Fall die Hälfte der Information. Damit schleichen sich mehr Fehler ein.

Was bedeutet das für die Kommunikation zwischen den Menschen?

Wir sind aufgefordert, in einem klaren Tonfall auszusprechen, was wir denken und meinen. Zudem sollten wir mehr Gestik nutzen und vor allem mehr auf Augen und Stirn des Gegenübers achten. Dadurch wird die Empathie geschult. Es ist auf jeden Fall eine Zeit der Verwirrung und Angst.

Angst ist der Corona-Zeit zum Alltag geworden. Haben sich die Gesichter verändert?

Ja, und zwar in der Mimik. Viele Menschen runzeln die Stirn und richten den Blick nach unten. Angst lähmt und Hoffnung treibt an. Deswegen wäre die Politik auch gut beraten, mehr auf Hoffnung zu setzen als auf Angst. Ich verstehe manchmal nicht, warum diese ganz banalen menschlichen Spielregeln vergessen werden. Sei es drum.

Erkrankungen sind im Gesicht zu erkennen. Gibt es das Corona-Gesicht?

Mit dieser Frage habe ich mich intensiv beschäftigt. Das Virus kann sich im Körper überall festsetzen und damit kann man es im Gesicht auch nicht mehr klar zuordnen. Man kann Merkmale finden, die Corona verursacht, aber es gibt keine Merkmale, die nur Corona verursacht.

Das Corona-Gesicht gibt es also nicht.

Nein, außer das Gesicht mit Maske.

Hat es ein Gesichtleser leichter, Menschen in Freund und Feind einzuteilen?

Wenn er die Möglichkeit hat, aus sich heraus zu gehen und sich als Rolle zu sehen, dann hat er es leichter. Dennoch ist man vor Enttäuschungen nicht gefeit, denn Menschen verändern sich. Das hat allerdings mehr mit Charakter zu tun und weniger mit der Persönlichkeit des Menschen.

In der Krise zeigt der Mensch sein wahres Gesicht. Inwieweit verändern Umwelteinflüsse?

Der Gesichtleser geht davon aus, dass wir alle mit einer Persönlichkeit auf die Welt kommen. Was dann geformt wird, ist der Charakter. Ist dieser mit der Persönlichkeit deckungsgleich, dann ist man authentisch. Das sind allerdings die wenigsten. Je mehr Dysbalancen umso weniger Authentizität. Das kann durch Umwelteinflüsse verursacht werden.

Wir leben in einer Zeit der Maske, einer Zeit der Angst und einer Zeit, in der digitale Gesichtserkennung zum Alltag geworden ist. Welches Bild sehen Sie für die Zukunft?

Ich bin ja Optimist. Und ich weiß, dass nach jedem Sturm ein Regenbogen kommt. Was mich eher frustriert, ist, dass der Mensch sich in den letzten hundert Jahren in Sachen Intelligenz sehr weiterentwickelt hat. Leider kann man das nicht von der Moral oder den Werten der Menschen sagen. Da braucht man sich nur aktuelle Präsidentschaftsdebatten ansehen. Trotzdem glaube ich, dass wir Möglichkeiten haben werden, den Menschen etwas umfassender zu sehen und uns nicht nur auf einzelne Themen spezialisieren. Darin liegt die große Chance. Am Ende kommt was Gutes raus. Die Frage ist nur, wie lange geht der Sturm noch weiter.

Zur Person~