Wären die Fettkügelchen nicht, die die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna umhüllen, die ganze Entwicklungsarbeit und die Impfungen wären umsonst: mRNA-Moleküle sind sehr empfindlich – bereits Raumtemperatur macht ihnen bekannterweise zu schaffen.
Die Moleküle würden von unseren körpereigenen Enzymen zersetzt, bevor sie die Körperzellen erreichen und die gewünschte Immunreaktion auslösen können. Die mRNA wird daher in Hüllen aus Lipid-Nanopartikeln "verpackt", um sie zu schützen. "Bei den mRNA-Molekülen kommt hinzu, dass diese Moleküle sehr groß sind und nicht ohne Weiteres in eine Körperzelle gelangen könnten, selbst wenn sie sie erreichen", sagt Lea Ann Dailey, Pharmatechnologin und Biopharmazeutin an der Universität Wien.
Die Formulierung für den mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer stammt von Polymun, einem mittelständischen Unternehmen in Klosterneuburg, das die Lipid-Nanopartikel entwickelt hat und herstellt.
Lipide sind zumeist wasserunlösliche Stoffe, die unter bestimmten Bedingungen entweder mit der mRNA eine Bindung eingehen oder eine Membranhülle um die mRNA ausbilden können, um sie somit zu schützen. Fette und Öle (Triglyzeride) sind eine Untergruppe der Lipide. Im Fall der Impfstoffe bilden Lipid-Nanopartikel den notwendigen Schutz für die mRNA.
Jenseits der Tablette
"Die eigentlichen Wirkstoffe sind nur eine Komponente moderner Arzneien", so Dailey. "Wir haben zusätzlich eine Vielfalt neuer Technologien, die es diesen Wirkstoffen ermöglichen, ihre Wirkung zu entfalten." In der Pharmazeutischen Technologie und Biopharmazie erforscht man eben diese Verpackungen, richtigerweise Formulierungen genannt. "Die heutigen Wirkstoffe werden immer komplexer und sind schwieriger an den Wirkort zu bringen", sagt Dailey.
Wegen der Komplexität der Wirkstoffe bindet man in der Pharmaforschung Expertinnen wie Dailey immer früher in die Entwicklung eines Medikaments mit ein. Es wird geprüft, ob Wirkstoffe, die im Labor vielversprechend sind, auch im Körper ebenso gut funktionieren können. Ist das nicht der Fall, wird repariert: "Bei rein chemischen Arzneien können wir an ihrer Komposition etwas verändern, damit sie besser aufgenommen werden, bei biotechnologischen Produkten, die auf Proteinen basieren, geht das nicht, da müssen wir zum Beispiel bei den Transporttechnologien ansetzen."
Mit dem Fortschritt der Biotechnologie werden auch die Vehikel ausgefeilter: Die sogenannten Antikörper-Wirkstoff-Konjugate etwa sind eine neue Klasse der Biopharmazeutika. Hier wird ein Wirkstoff lose mit einem Antikörper verbunden. Die Antikörper sind dabei die Taxis, mit denen zum Beispiel die Zellgifte einer Chemotherapie gezielt zu Tumorzellen gebracht werden können. Im Herbst 2020 wurde ein Konjugat, Belantamab-Mafodotin, das bei Knochenmarkkrebs (Multiples Myeloma) eingesetzt wird, von der EMA zugelassen. "Antikörper können ein Chemotherapeutikum direkt zum Tumor bringen, um diesen gezielt abzutöten und dabei auch die Nebenwirkungen der Therapie zu senken", so Dailey.
Indem Antikörper-Konjugate den Vorteil haben, dass Chemotherapeutika in geringeren Dosen eingesetzt werden können, zeigen sie exemplarisch, dass der Unterschied zwischen Wirkstoff und zugehöriger Technologie bei modernen Arzneien mehr und mehr verwischt: "In Zukunft werden wir Medikamente und Therapien zielgerichteter und individueller ausführen können. Es ist eine ganz neue Ära der Arzneimittel."