Eine neue Methode zur Schätzung der bisher mit dem Sars-CoV-2-Virus infizierten Personen in einem Land stellen Wiener Demografen im Fachmagazin "PLOS One" vor. Ihre Rechnungen ergaben, dass selbst in den Corona-Hotspots, wie den US-amerikanischen Bundesstaaten New York und New Jersey, vermutlich erst unter 20 Prozent der Bevölkerung infiziert waren. Damit ist man noch weit von einer Herdenimmunität entfernt. In Österreich kommen die Forscher auf eine Durchseuchung von rund sieben Prozent.
In der Studie zeigen die Wissenschafter auch, was die Altersstruktur und die Sterbezahlen über die tatsächliche Virusausbreitung aussagen und warum bisherige Teststrategien nur einen Teil der infizierten Personen entdecken können.
Die indirekte Schätzmethode des Forscherteams um Wissenschafter vom Institut für Demografie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sowie der Technischen Universität (TU) Wien berücksichtigt die Altersstruktur der Bevölkerung, die allgemeine Sterberate in Bezug auf das Alter, die mit der Lungenerkrankung Covid-19 in Verbindung stehenden Sterbefälle sowie die Covid-19-Sterbefälle in Bezug auf die dokumentierte Zahlen an Infizierten (Fall-Sterblichkeit). Anhand mathematischer Modelle schätzten die Forscher auch, wie viele der tatsächlichen Fälle mittels Tests in etwa erkannt wurden, heißt es in einer Aussendung der ÖAW.
Nur 60 Prozent erkannt
Die Analysen von Miguel Sánchez-Romero und Vanessa Di Lego und Kollegen ergaben Hinweise, dass in den meisten Ländern durch die bisherigen Teststrategien lediglich um die 60 Prozent der Fälle auch erkannt wurden. Dieser Wert gelte auch für Österreich, wie Sánchez-Romero erklärte. "Bisher gibt es kaum Studien, die untersucht haben, wie effizient die Teststrategie ist. Unterschiedliche Testverfahren, asymptomatische Personen und die begrenzte Verfügbarkeit von Tests in großem Maßstab verringern die Chancen, wirklich alle Fälle zu erkennen", so der Erstautor der Arbeit.
Herdenimmunität weit weg
Die Wissenschafter leiteten mittels eines statistischen Verfahrens auch Informationen zur Dunkelziffer ab. "Wir können mit unserem Modell für eine beliebige Population schätzen, wie viele Menschen jemals mit Covid-19 infiziert waren", erklärte Vanessa Di Lego.
In seiner Arbeit konzentrierte sich das österreichische Wissenschafterteam auf die USA - also jenes Land, in dem bisher die höchsten Covid-19-Todeszahlen registriert wurden. Selbst für die Bundesstaaten New York und New Jersey sei mit den derart geschätzten rund 20 Prozent Durchseuchung eine Herdenimmunität, für die laut Experten um die 60 Prozent der Bevölkerung geschützt sein müssten, noch weit entfernt.
"Unsere Methode zeigt, dass Herdenimmunität hier keine geeignete Strategie ist", betont die Co-Studienautorin Di Lego. Das gelte umso mehr für Österreich, "wo wir noch immer weit entfernt von einem Level sind, das der Virusausbreitung Einhalt gebietet", erklärte auch Erstautor Sánchez-Romero.
Die Forschenden verweisen in ihrer Studie auch darauf, dass ihre Schätzungen für verschiedene Länder sehr gut mit den Ergebnissen von Seroprävalenzstudien übereinstimmen, bei denen die Zahl der bereits Infizierten anhand von vorhandenen Antikörpern im Blut in einer Stichprobe erhoben und dann auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet wird.
Neue Anwendungsbereiche
Solche Untersuchungen seien aber aufwendig und teuer. Die Wissenschafter sehen ihre Methode daher als Möglichkeit zur Ergänzung. "Unser Modell ist ein Werkzeug, das für den weltweiten Einsatz geeignet ist - ohne jedes länderspezifische Detail kennen zu müssen", betonte Sánchez-Romero, der den Ansatz auch als Werkzeug dafür sieht, zu überprüfen, "ob die Impfstoffstrategie tatsächlich funktioniert und inwiefern die Impfstoffe tatsächlich Todesfälle verhindern". Damit geben die Forschenden auch einen Ausblick auf zukünftige Anwendungsbereiche ihres neuen Modells.