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Vom Shampoo in die Nahrungskette

Von Cathren Landsgesell

Wissen

Einmal in der Umwelt, verändern Nanomaterialien ihre Größe und ihre Form. Sie verbreiten sich im Organismus und lagern sich überall an. Bevorzugt im Gehirn.


Titandioxid macht Käse und Shampoo hell, lässt Lippenstifte, Lidschatten und Schokolade glänzen und gilt als toxisch, insbesondere, wenn es als Nanomaterial eingesetzt wird, was zum Beispiel bei Sonnencreme oft der Fall ist. In der EU darf zugesetztes Titandioxid, E171, seit Anfang dieses Jahres nur noch zur Hälfte aus Nanopartikeln bestehen.

Nanomaterialen wie Titandioxid sind überall im Einsatz: In Medikamenten, in Lebensmitteln, in Kosmetik. Viele gelten als zellschädigend. Regulierende Behörden, die verhindern wollen, dass Nanomaterialien in die Nahrungskette und den menschlichen Körper gelangen, tappen allerdings im Dunkeln: Weder weiß man, welche Nanomaterialien im Umlauf sind, noch, wie man die Partikel detektiert, nachverfolgt und zählt. "Sobald Nanopartikel in die Umwelt und schließlich in einen Organismus gelangen, verändern sie ihre Form, ihre Größe und somit ihre Eigenschaften", sagt Fazel Abdolahpur Monikh. Dem Umweltwissenschafter der University of Eastern Finland (UEF) ist es gemeinsam mit einer Forschungsgruppe zum ersten Mal gelungen, nachzubilden, wie Nanoabfall seinen Weg von Mikroorganismen in das Gewebe von höheren Organismen, in dem Fall Fischen, findet und sich dort anlagert, erschreckender Weise bevorzugt im Gehirn.

Nanomaterialien: Giftige Gestaltwandler

Nanopartikel sind etwa so groß wie das Hundertstel eines Haares. Es gibt Nanomaterialien auf Metallbasis und solche auf Kohlenstoffbasis. Synthetisch hergestellte Nanopartikel können rund, dreieckig, viereckig, schlauchförmig, stabförmig, hohl oder nicht hohl, groß oder klein sein. Ihre Form und Größe wird je nach Anwendungsgebiet eigens designt, denn Größe und Form bestimmen die Eigenschaften des Nanomaterials, darunter auch ihre Toxidität. Und da beginnt das Problem: "Chemikalien lösen sich auf", sagt Monikh. "Man kann ihre Konzentration festlegen und Grenzwerte bestimmen, die nicht überschritten werden sollen." Bei Nanomaterialien geht das nicht. Um sagen zu können, ob sie sicher sind und keinen Schaden anrichten, müsste man ihre Menge kennen. Dafür müsste man sie zählen. Und dafür müsste man sie finden.

Um den Weg von Nanopartikeln aus der Umwelt in das Gewebe von Organismen nachzuvollziehen, stellte das Forschungsteam unter der Leitung von Monikh eine aquatische Nahrungskette nach, wie man sie auch im Meer finden würde, wo sich immer mehr Nanomüll ansammelt.

Der Weg der Nanopartikel durch die Gewebe von Organismen beginnt bei kleinen Algen, an die sich Nanopartikel fest anheften können. In Versuchen mit Goldbasierten Nanopartikeln zeigte sich dass Daphnien, kleine Krebstiere, die als Zooplankton relativ am Anfang der Nahrungskette stehen, die Nanopartikel mit den Mikroalgen aufnehmen und in ihrem Darm ansammeln.

Bereits bei ihrem Anheften an die Außenhülle der Algen machen die Partikel erste Transformationen durch. "Die Mikroalgen sind so etwas wie Torwächter", meint Monikh. "Ihre Oberfläche entscheidet, welcher Typ von Nanopartikel sich in welcher Menge an sie anheften kann."

Gefährlicher als Chemikalien

In den Daphnien ändern die Partikel schließlich ihre Größe und ihre Form. Gelangen sie mit den Daphnien in die Fische, ist es ihnen möglich, in Zellen einzudringen und Körperzellen zu zerstören. Die Nanopartikel verankern sich tief im Gewebe, sie können sich anhäufen, und sie können offenbar bis in das Hirngewebe vordringen. Dies hat die Forscher überrascht. "Nanopartikel sind gefährlicher als Chemikalien", meint Monikh, der Nanomaterialien ansonsten eigentlich für eine großartige Entwicklung hält. Zur Zeit werden Nanomaterialien auch für die Impfstoffentwicklung gegen Covid-19 getestet. "Nanomaterialen bieten viele Möglichkeiten, die wir nicht einfach ignorieren können", sagt er.

Die Materialien sind nach Jahren des Einsatzes bereits überall, vor allem im Meer, von wo aus sie ihren Weg durch die verschiedenen Organismen gehen können. Die Möglichkeiten, sie zu detektieren sind begrenzt. Um die kleinen Einheiten zu identifizieren, sind Rasterelektronenmikroskope notwendig und ein komplexer Laboraufbau. Für die aktuelle Studie haben die Forscher eine neue Methode entwickelt, um zumindest zu zeigen, dass die Nanopartikel Größe und Form verändern, wenn sie die Umwelt gelangen und verschiedene Gewebe passieren.

Firmen, die Nanopartikel einsetzen, müssen angeben, dass sie das tun und was das Ausgangsmaterial ist. Sie sind aber nicht verpflichtet, auch transparent zu machen, welchen Typ von Nanopartikel sie verwenden: ein Dreieck; eine Kugel?

Die Partikel werden im Labor unter kontrollierten Bedingungen hergestellt. Dort kann man sie markieren und ihre Wege verfolgen. Einmal in einem Produkt und im Umweltkreislauf steht den Partikeln die ganze Welt offen. Sie können überall sein. Selbst wenn man wüsste, wie sie im Original aussahen: Sie wären schnell nicht wiederzuerkennen. "Wir müssten erforschen, wie die Nanopartikel mit der Umwelt interagieren, das ist noch weitestgehend ein Forschungsdesiderat", sagt Monikh. Je nach Form können sich nämlich auch mehr oder weniger Partikel an einen Mikroorganismus heften. Und nachdem Nanopartikel Materialien sind, reicht es eben vollkommen aus, sich anzuheften, um neue Gefilde zu erschließen. Anders als Chemikalien müssen sie nicht von Organismen aufgenommen werden. "Einmal in der Umwelt, wird das Material zu etwas anderem."