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Bis zu elf Prozent mehr Krebstote

Von Alexandra Grass

Wissen
Krebs und Covid-19 sind eine teuflische Mischung.
© adobe stock / Kirill Gorlov

Die Vernachlässigung von Vorsorgeuntersuchungen in der Pandemie führt in fünf Jahren zu einem Mortalitätsanstieg.


Die Covid-19-Pandemie hat massive Einbrüche bei der Zahl an Krebs-Früherkennungsuntersuchungen hervorgebracht. "Das werden wir in fünf Jahren an der Mortalitätskurve sehen", erklärte der Präsident der Österreichischen Krebshilfe, Paul Sevelda, am Dienstag im Rahmen eines Pressegesprächs zu den Herausforderungen in der Krebsbehandlung während der vergangenen eineinhalb Jahre.

Der Rückgang an Untersuchungen hatte im ersten Lockdown ein Ausmaß von 50 bis 60 Prozent. Der Experte rechnet mit fünf bis elf Prozent mehr Todesfällen in naher Zukunft. Die Vakzinologin Ursula Wiedermann-Schmidt, auch Vorsitzende des österreichischen Impfgremiums, forderte die Aufnahme von Impfungen in das Behandlungskonzept von Krebspatienten. Mit Blick auf Covid-19 empfiehlt sie eine zweite Auffrischungsimpfung für Betroffene.

Sevelda rief angesichts der Zahlen zu Vorsorgeuntersuchungen auf. Andernfalls könnte Covid-19 wegen zu später Diagnosestellungen die enormen Fortschritte der Krebsmedizin der vergangenen Jahre zumindest zum Teil wieder zunichtemachen. Diese Weiterentwicklungen in der Onkologie hob Christoph Zielinski hervor. "Mit der modernen Immuntherapie sind bestimmte Lungenkrebspatienten nach fünf Jahren noch zu 40 Prozent am Leben. Das ist ein unglaublicher Schritt vorwärts. Das Ergebnis ist, dass wir von Jahr zu Jahr um drei Prozent weniger Krebssterblichkeit haben. Von 2016 auf 2017 waren es im Schnitt um 2,6 Prozent weniger."

Hochrisikogruppe

Corona habe nicht nur eine epidemiologische und virale Bedeutung, sondern auch eine gesellschaftliche, so Zielinski. Die Früherkennung von Tumoren sei wieder zu forcieren. Bei Operationen und Therapien sei es zu keinem Einbruch gekommen. "Durch die Maßnahmen in den Spitälern (Anm: vor allem in Wien) unter größter Vorsicht konnten die Therapien fortgesetzt werden", erklärte der Onkologe. Dies treffe allerdings nicht auf alle Regionen Österreichs zu.

Krebspatienten zählen hinsichtlich des Coronavirus zur Hochrisikogruppe. Die Therapien führen großteils zu einer Immunsuppression. Die Todesrate bei Covid-19 liege um 20 Prozent höher als bei der Normalbevölkerung. Deshalb konnte für Krebspatienten auch eine Vorreihung in der Impfkaskade erreicht werden. Viele von ihnen seien schon vollimmunisiert.

Aus einer derzeit laufenden Studie lasse sich bereits herauslesen, dass es bei Patienten mit soliden Tumoren, wie etwa Brustkrebs oder Lungenkrebs, im Vergleich zu Patienten mit Blutkrebsarten große Unterschiede in der Wirksamkeit der Impfung beziehungsweise an der Entwicklung von Antikörpern gibt. Betroffene mit soliden Tumoren hätten bereits mit der zweiten Vakzingabe gut Antikörper gebildet. Hingegen kam es bei 15 Prozent der hämatologischen Patienten auch nach zweimaliger Impfung zu keinem Schutz, so Wiedermann-Schmidt.

Die Expertin plädiert nun für den dritten Stich, und zwar nicht nur für alle Krebspatienten, sondern auch für bereits Durchgeimpfte ab 65 Jahren, Risikopersonen mit chronischen Erkrankungen sowie für Auffrischungsimpfungen für alle Angehörigen der Gesundheitsberufe. "Die ersten dieser dritten Impfungen sollten mit September beginnen", erklärte die Vakzinologin.

Angst und Isolation

Impfungen und Krebs seien allerdings nicht erst seit Covid-19 ein Thema. "Seit vielen Jahren versuchen wir, Impfungen in das Behandlungskonzept und in die Köpfe der Menschen, Ärzte und die Umgebung von Krebspatienten hineinzubekommen", betont Wiedermann-Schmidt.

In Verhandlungen mit den Krankenkassen sei es bereits gelungen, den Patienten Impfungen als vorgreifende Heilbehandlung gratis zur Verfügung zu stellen. Nicht nur eine Corona-Impfung, sondern auch ein Schutz gegen Herpes-Zoster oder Pneumokokken "kann unter Umständen lebensrettend sein".

"Die Pandemie hat besonders Krebspatienten viel abverlangt", betonte Gabriela Kornek, ärztliche Direktorin des Wiener AKH und Präsidentin der von Christoph Zielinski gegründeten "Leben-mit-Krebs"-Initiative. "So konnten sie zum Beispiel nicht mit Begleitpersonen in die Ambulanzen kommen. Speziell im Wiener AKH galt aber auch in den Lockdown-Phasen immer die Order, dass herzchirurgische und onkologische Patienten unbedingt behandelt werden müssen."

Auch Angst und Isolation seien Faktoren, die sich auf Krebspatienten massiv ausgewirkt haben, betonte Zielinski. Mehrere Publikationen zum Thema würden aufzeigen, dass der Angstindex bei den Betroffenen signifikant zugenommen habe. Die Isolation habe vor allem bei Krebspatienten, deren Überlebensdauer deutlich limitiert ist, "zu menschlichen Tragödien" geführt. Bei Bauspeicheldrüsenkrebs beträgt die durchschnittliche Überlebensdauer derzeit zehn Monate. Stellt man diese Zeit eineinhalb Jahren Pandemie mit maßgeblichen Besuchsbeschränkungen gegenüber, wird deutlich, mit welchen Katastrophen manche Menschen zeitgleich konfrontiert waren.

Beim diesjährigen Wiener Krebstag, der am 6. September im Wiener Rathaus stattfindet, werden den Besuchern viele dieser Themen nähergebracht.