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"Handhygiene ist ein Menschenrecht"

Von Eva Stanzl

Wissen

Zu Beginn der Pandemie wuschen Menschen intensiv die Hände, mittlerweile ist der Eifer etwas verflogen. Bernhard Küenburg, Chef der Semmelweis Gesellschaft , über Hygiene zum Internationalen Händewaschtag am 15. Oktober.


"Wiener Zeitung": "Händewaschen rettet Leben" heißt es auf der Homepage der Semmelweis Gesellschaft. Wie macht es das?Bernhard Küenburg: Das ist etwas verkürzt. Händewaschen kannten schon die Babylonier, Ignaz Semmelweis aber entdeckte 1846/47 Infektionen, die passierten, obwohl Spitalspersonal sich die Hände wusch. So wichtig Händewaschen im Alltag ist, so wichtig ist es in Gesundheitseinrichtungen, die Hände auch mit Alkohol zu desinfizieren, weil sich dort gefährliche, tödliche Keime bilden.

Semmelweis hat also nicht, wie landläufig angenommen, das Händewaschen in Spitälern eingeführt, sondern die Desinfektion entdeckt?

So ist es. Obwohl sich die Ärzte die Hände wuschen, starben bis zu 30 Prozent aller Frauen an einer Sepsis bei der Geburt. Alle waren ratlos. Semmelweis bemerkte, dass ein Kollege den gleichen Symptomen erlag, nachdem er sich beim Sezieren verletzt hatte. Er wusste zwar nicht, dass es sich um eine Streptokokken-Infektion handelte, aber er schloss richtig, dass auf den Händen etwas ist, das diese auslöst, und führte die Desinfektion mit Hypochloridlösung ein. Danach starb niemand mehr und Semmelweis hätte der Nobelpreis gebührt, doch er wurde angefeindet. Die Keime konnten später Robert Koch und Louis Pasteur unter dem Mikroskop nachweisen.

Ich habe mir soeben die Hände mit einem ziemlich geschrumpften Stück Seife gewaschen. Was gilt als gründliches Händewaschen?

Grundsätzlich hat warmes Wasser eine bessere Wirkung als kaltes Wasser. Seife hat einen fettlösenden Effekt und entfernt Verunreinigungen und einige Keime von der Hautoberfläche. Wenn Sie vor und nach dem Essen und vor oder nach der Toilette, oder wenn Sie viele Hände geschüttelt haben, diese mit Seife waschen, sind Sie zu 95 Prozent auf der sicheren Seite. Es schadet aber auch im Alltag nicht, Alkohol zu verwenden, insbesondere in Zeiten der Pandemie.

Zu Beginn der Pandemie Anfang 2020 wurde der Stellenwert des Händewaschens hervorgestrichen wie nie. Es gab Waschanleitungen im Internet, in Spitälern, Unternehmen und Schulen. Haben sie gewirkt?

Studien zeigen, dass gerade zu Beginn der Pandemie Händewaschen und Hand-Desinfektion deutlich zugenommen haben. Ein bisschen frustrierend ist, dass wir mittlerweile wieder zum Normalbetrieb übergegangen sind, sowohl im Alltag als auch in Spitälern.



Was bedeutet dieser erneute Mangel an Disziplin bei der Handhygiene für den Pandemieverlauf?

Wenn wir mit der Durchimpfung weiterkommen, wird sich in der Bevölkerung eine Immunresponse aufgebaut haben, die dazu führt, dass die gesunkene Händehygiene für diese Pandemie nicht mehr so eine große Rolle spielt.

Im ersten Lockdown mussten todkranke Menschen ganz alleine im Spital sterben, weil aus Hygienegründen niemand sie besuchen durfte. Sinnvoll oder übertrieben?

Aus meiner Sicht im Nachhinein betrachtet ein wenig übertrieben. Andererseits muss man sich vor Augen halten, dass wir am Anfang der Pandemie gesehen haben, wie in Norditaliens Spitälern unzählige Menschen starben. Kein Politiker wollte das im eigenen Land passieren lassen. Wir haben uns auf Schlimmeres vorbereitet, als tatsächlich eingetreten ist.

Heute gibt es gefährlichere Keime als zu Zeiten von Ignaz Semmelweis. Welche Keime sind das?

Seit den 1940er Jahren gibt es Antibiotika. Wenn man sie wie heute falsch und zu oft einsetzt, sprechen Keime auf Antibiotika nicht mehr an. Laut WHO werden resistente Keime in 20 bis 30 Jahren zu einem der größten Probleme der Menschheit werden und möglicherweise die Todesursache Nummer eins. Wir wären dann wieder in einer Zeit, die vergleichbar ist mit jener vor Antibiotika.

Was können wir tun?

Wir können Antibiotika besser, gezielter und kontrollierter einsetzen, um zu verhindern, dass diese Keime entstehen. Die Verbreitung vorhandener Erreger könnten wir durch Handhygiene weitgehend vermeiden. 50 bis 60 Prozent der Übertragung aller Infektionen findet über die Hände statt.

Wie viele Menschen sterben an multiresistenten Keimen in Spitälern?

Es sterben in Europa jährlich 140.000 Leute direkt und indirekt an solchen nosokomialen Infekten, davon 3.000 bis 4.000 in Österreich. Viele Leute überleben Infektionen, die sie über Wunden oder den Magen-Darm-Trakt erwischen, laborieren aber an Spätfolgen in Intensivstationen. Gesunde kaufen kaum Gefahr, sich mit multiresistenten Keimen zu infizieren, doch Spitalspatienten sind geschwächt und damit anfälliger.

Das geflügelte Wort, wonach man im Spital erst richtig krank würde, ist somit nicht ganz falsch?

Wenn das Spital eine gute Hygiene hat, ist es falsch. Kürzlich hat das Landeskrankenhaus Villach den renommierten "Hands Hygiene Excellence Award" der WHO gewonnen. Es ist übrigens ein Menschenrecht, im Spital von Personen behandelt zu werden, die sich vorher die Hände desinfizieren, und man darf es einfordern.



Der Begriff "Semmelweis-Reflex" steht für die reflexartige Ablehnung neuen Wissens, das unbequem erscheint. Katapultiert uns die Impfskepsis in der Zeit zurück?

Das Argumentieren auf sachlich-faktischer Ebene muss propagiert werden. Wenn jemand mit gefühlten Argumenten kommt, denen die wissenschaftliche Basis fehlt, ist das bedenklich, allerdings gibt es bei den Impfgegnern mehrere Motivationslagen, das ist sozusagen ein komplexerer Semmelweis-Reflex.

Zur Person~