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Zweiter harter Corona-Winter steht bevor

Wissen

Experte spricht in Pandemie von "Notfallsituation", Wissenschafter suchen nach neuen Ansatzpunkten für Vakzine.


Zahllose Menschen haben sich monatelang angestrengt und trotzdem kann man den Eindruck gewinnen, dass wir in der Corona-Pandemiebekämpfung nicht weiterkommen: Der deutsche Virologe Christian Drosten erwartet "einen sehr anstrengenden Winter" und hält neue Kontaktbeschränkungen für denkbar. "Wir haben jetzt im Moment eine echte Notfallsituation", sagte der Leiter der Virologie in der Berliner Charité angesichts der Lage auf Intensivstationen im NDR-Podcast "Das Coronavirus-Update". "Wir müssen jetzt sofort etwas machen."

Dabei müsse man auch Maßnahmen diskutieren, "die wir eigentlich hofften, hinter uns zu haben", sagte Drosten. "Wir müssen also jetzt die Infektionstätigkeit durch Kontaktmaßnahmen wahrscheinlich wieder kontrollieren - nicht wahrscheinlich, sondern sicher." Er schränkte aber ein, dass es juristisch schwer sein könnte, breite allgemeine Kontaktmaßnahmen durchzusetzen. "Statt auf Kontaktbegrenzungen könnte man auf die Boosterimpfungen setzen", sagte Drosten.

Am Mittwoch erreichte Österreich mit 11.398 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden ein neues Allzeit-Hoch, obwohl viele Menschen beide Impfungen bereits bekommen haben. Auf den heimischen Intensivstationen lagen am Mittwoch 413 Patientinnen und Patienten mit Covid-19. Experten führten den drastischen Anstieg kürzlich in der "Wiener Zeitung" auf Entwicklungen zurück, die gegeneinander wirken. Drei Dinge gehen klar hervor: Im letzten halben Jahr gab es wegen des Eindrucks niedriger Inzidenzen viel Bewegungsfreiheit, während die Impfquote nicht ausreichend stieg. Indes hat die Delta-Variante, speziell in ihrer neuen Unterart, die Karten neu gemischt. Da sie doppelt so ansteckend ist wie die ursprüngliche Version von Sars-CoV-2, können auch Geimpfte sie leichter übertragen. Hinzu kommt der saisonale Effekt, dass Erkrankungen des Respirationstrakts sich bei winterlichen Temperatoren leichter verbreiten als bei sommerlichen, weil die Viren-Partikel länger in der Luft verbleiben.

Wer steckt wen an?

Wer steckt also wen an? Ein zahlenmäßiger Überblick, wie viele Geimpfte wie viele Geimpfte respektive Ungeimpfte, beziehungsweise wie viele Ungeimpfte wie viele Ungeimpfte respektive Geimpfte anstecken, war bis Redaktionsschluss nicht zu bekommen. So viel von Drosten: "Die Geimpften bewegen sich sehr frei in der Gesellschaft, übetragen dabei aber auch das Virus." Allerdings würden sie dies nicht im selben Ausmaß tun wie Personen, die nicht gegen Covid-19 immunisiert sind.

Das deutsche Robert Koch-Institut beruft sich in ihrer Einschätzung der Lage auf Zulassungs- und Beobachtungsstudien, wonach derzeit zur Anwendung kommende Covid-19-Impfstoffe Infektionen in erheblichem Maße verhindern. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person trotz vollständiger Impfung PCR-positiv wird, sei "signifikant vermindert. Darüber hinaus ist die Virusausscheidung bei Personen, die trotz Impfung eine Sars-CoV-2-Infektion haben, kürzer als bei ungeimpften Personen mit Sars-CoV-2-Infektionen. In welchem Maß die Impfung die Übertragung des Virus reduziert, kann derzeit nicht genau quantifiziert werden", heißt es. In Summe sei jedoch das Risiko, dass Menschen trotz Impfung PCR-positiv werden und das Virus übertragen, "auch unter der Delta-Variante deutlich vermindert".

Wissenschafter suchen indes nach neuen Ansatzpunkten für Vakzine. Etwa berichtet ein britisches Team des University College London (UCL) im Fachmagazin "Nature", dass eine neue Impfstoff-Generation darauf abzielen müsse, eine Immunantwort gegen die Replikationsproteine von Sars-CoV-2 auszulösen. Das Ziel müsse sein, dass sich das Virus von Anfang an nicht im Körper vermehren kann.

Neue Ansätze für Impfungen

Derzeitige Impfungen triggern Immunantworten gegen das Spike-Protein, mit dem Sars-CoV-2 sich den Weg in die Zellen bahnt, um sich darin zu vermehren. Das UCL-Team um den Infektiologen Mala Maini arbeitet an einem Impfansatz, der die Gedächtniszellen des Körpers, auch T-Zellen genannt, auf den Plan ruft. Sie sollen infizierte Körperzellen, die Replikationsproteine des Virus enthalten, erkennen, angreifen und außer Gefecht setzen. "Alle Coronaviren benötigen Replikationsproteine, sobald sie die Zelle gekapert haben. Sie verändern sich wenig und mutieren nicht. Impfungen auf dieser Basis könnten die Aktivität aller Coronaviren sofort unterbinden und zusätzlich zu den gegenwärtigen Vakzinen zum Einsatz kommen", wird Maini in einer Aussendung zur Studie zitiert.

Drosten zufolge müsse man jetzt die Ältesten zum dritten Mal impfen, um Todesfälle zu verhindern. Bei jüngeren Menschen sei der Booster "ein Rettungsanker für den Übertragungsschutz". Langfristig müsse das "ideelle Ziel" sein: "eine dreifach komplett durchgeimpfte Bevölkerung".

In Österreich folgt als dritte Impfung ein mRNA-Impfstoff. Das Nationale Impfgremium empfiehlt, das Vakzin von Moderna erst bei Personen ab 30 Jahren anzuwenden aufgrund von Signalen, dass diese Impfung bei Jüngeren häufiger als bei Pfizer/Biontech zu Fällen von einer akuten Herzmuskel-Entzündung führen kann. Der Schutz wirke allerdings laut Zulassung bei beiden Impfungen gleich gut. Analysen zum Vorhandensein neutralisierender Antikörper würden dies bestätigen.

Die EU-Kommission billigte am Mittwoch einen Vertrag über 27 Millionen Dosen des möglichen "Totimpfstoffs" des österreichisch-französischen Unternehmens Valneva. Die EU kann somit 2022 bis zu 60 Millionen Dosen kaufen. Weitere 33 Millionen Dosen des "Totimpfstoffs" können auf Wunsch 2023 gekauft werden. EU-Staaten stehen damit Bezugsrechte für den Impfstoff zu, sobald dieser eine Zulassung bekommt.

Valneva rechnet eigenen Angaben nach damit, dass die Auslieferung im April 2022 beginnen kann. Voraussetzung sei die Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur. Der Impfstoff ist ein Impfstoff mit inaktivierten Viren. Es handelt sich laut EU-Kommission "um eine klassische, seit 70 Jahren eingesetzte Technologie mit bewährten Verfahren und sehr hoher Sicherheit".(est)