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Die Krise als Generalprobe für die Krise

Von Edwin Baumgartner

Wissen
© WZ-Illustration / ham; Bildmaterial: stock.adobe.com / Yannick

Wie man aus den Corona-Maßnahmen lernen kann, der Umweltzerstörung und der Klimaerwärmung gegenzusteuern.


Sehenden Auges der Katastrophe entgegen: Wenn nur die Hälfte davon eintritt, was die Experten in Sachen Klimaerwärmung und Umweltzerstörung voraussagen, werden wir uns die Corona-Krise zurückwünschen. Da konnte man dem Virus wenigstens mit Lockdowns begegnen. Doch Lockdowns nützen nichts gegen einen steigenden Meeresspiegel, gegen Dürren, Unwetter und Temperaturextreme.

Wer klug ist, kann freilich die Corona-Krise als Generalprobe für die Umweltkrise verstehen, aus ihr lernen und Schlüsse ziehen, welche Vorgehensweisen wirken, welche verpuffen und welche kontraproduktiv sind.

Die Parallelen

Auf einen ersten Blick scheint eine von einem Virus verursachte Pandemie nichts mit einer vom Menschen verursachten Umweltkrise zu tun zu haben. Aber die Parallelen liegen auf der Hand:

- In beiden Fällen ist die gesamte Welt betroffen.

- In beiden Fällen spürt jeder Einzelne Auswirkungen, ihnen kann sich niemand entziehen.

- In beiden Fällen müssen seitens der Politik umfangreiche Maßnahmen getroffen werden, die auch das Privatleben berühren.

- In beiden Fällen kommt es durch die Maßnahmen zu wirtschaftlichen Einschnitten.

- In beiden Fällen ist vorausschauendes Handeln notwendig.

- In beiden Fällen müssen Verschwörungstheorien und sogenannte alternative Fakten rechtzeitig entkräftet werden, damit die zu den Maßnahmen zwangsläufig entstehende Gegenbewegung eingedämmt werden kann.

- In beiden Fällen müssen die Maßnahmen im Idealfall überparteilich beschlossen werden.

Um mit dem letzten Punkt zu beginnen: Sobald Maßnahmen als Parteipolitik verstanden werden, formiert sich eine Gegnerschaft, in der sich politische Kontrahenten mit Maßnahmen-Skeptikern ohne unmittelbare politische Interessen verbinden.

Als der damalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz die Bekämpfung der Corona-Pandemie de facto zur Chefsache machte, unterliefen zahlreiche Menschen die Maßnahmen, um ihre Gegnerschaft zu Kurz auszudrücken. Das mag zwar unvernünftig sein, aber der Mechanismus ist menschlich: Politische Befindlichkeiten im "Volk" sind zu einem großen Teil emotional gesteuert. Je mehr ein im Prinzip wissenschaftliches Thema politisiert wird, desto mehr wird es der vernunftgesteuerten Entscheidung entzogen. Man reagiert aus dem Bauch heraus und setzt die Maske nicht auf, "um dem Kurz eins auszuwischen".

Je mehr also die Entscheidungen, die getroffen werden müssen, um der Klima- und Umweltkrise zu begegnen, parteipolitisch zuordenbar sind, in desto größerem Umfang werden sie umgangen und sogar bekämpft werden.

Dass jeder Einzelne seinen Beitrag zum Umweltschutz leisten soll, hört und liest man mittlerweile nahezu täglich. In der Corona-Krise war das dafür verwendete Wort "Eigenverantwortung".

Wirklich funktioniert hat das nicht. Das lag weniger an den unvermeidlichen Ego-Trips ("mir ist Corona egal, ich lasse mir in meine Freizeitgestaltung nichts dreinreden"), sondern an einem falschen Verständnis von Eigenverantwortung. Tatsächlich bedeutet Eigenverantwortung nämlich nicht, nur sich selbst zu schützen, Eigenverantwortung bedeutet, Verantwortung für den gesamten eigenen Bereich zu übernehmen, also nicht nur, Schaden für die eigene Person abzuwenden, sondern auch, selbst keinen Schaden zuzufügen.

Falsche Eigenverantwortung

Der größte Pferdefuß der Eigenverantwortung ist dabei, dass die meisten Angehörigen westlicher Konsumgesellschaften sie, wenn überhaupt, erst wahrnehmen, wenn sie selbst oder ihr engstes Umfeld unmittelbar betroffen sind. Wenn das schon bei einer sich schnell ausbreitenden Pandemie dermaßen zäh bis überhaupt nicht gelingt, dann darf man in einer wesentlich langsamer fortschreitenden Krise schon gar nicht darauf setzen.

Übertragen also auf die Klimakrise: Bananen, Mangos und Avocados werden so lange weiter konsumiert werden, bis die klimatischen Bedingungen deren Transport um die halbe Welt unmöglich machen oder die Preise in unerschwingliche Höhen schrauben.

Der Teufel der Klima- und Umweltzerstörung liegt im oft unbeachteten Detail. Selbst der Bio-Markt bietet keine Sicherheit: So mag die dort angebotene Banane biologisch angebaut, der Kaffee und die Schokolade fair gehandelt sein: Ihr Transport freilich müsste auf Segelschiffen erfolgen, um klimaneutral zu sein. "Gesegelter Kaffee" wird zwar angeboten, aber sein Preis lässt ebenso verzweifeln wie in vielen Fällen sein Aroma.

Es bedürfte im eigenen privaten Bereich eines Umdenkens nicht nur beim Lebensmitteleinkauf, sondern auch bei zahlreichen Kleinigkeiten: Das komfortable Stand-by der elektronischen Geräte etwa gehört ebenso dazu wie die Dichtungen von Fenstern und Türen.

In etlichen Altbauwohnungen sind aus früheren Sicherheitsgründen die Stromleitungen so verlegt, dass sie in großer Entfernung zu Wasserleitungen liegen: In solchen Wohnungen kommt der Umstieg von Gas- auf Stromheizungen oder von gasbetriebenen auf strombetriebene Thermen einem Wohnungsumbau gleich. Zumindest massive Förderungen müsste der Staat in solchen Fällen andenken - wie eventuell auch Fördermodelle für abgaslosen Individualverkehr.

Dass nämlich Druck und Bestrafung kein grundlegendes Umdenken bewirken, weiß man durch die diversen umgangenen oder gebrochenen Corona-Vorschriften.

Und noch etwas ist in der Corona-Krise klar geworden: Ein Wechselspiel von eingeleiteten und wieder zurückgenommenen sinnvollen Maßnahmen (als eines der Stichwörter: Impfpflicht), wird nicht als Maßnahmenkorrektur verstanden, sondern als Eingeständnis, dass das Ausmaß der Krise überbewertet wurde. Agiert man in Sachen Umwelt- und Klimaschutz aber so wie in der Omikronwelle, wird man über kurz oder lang für einen Venedig- oder London-Trip eine Taucherausrüstung brauchen.

Krisenmüdigkeit

Dass es für die Klimakrise eines zwar überparteilichen, wohl aber eines Handelns seitens der Politik bedarf, steht fest. Denn das Entstehen einer relevant breiten Klimaschutzbewegung ist nach derzeitigem Stand nicht anzunehmen, zumal auch "Fridays for Future" gegen ein Glaubwürdigkeitsdefizit ankämpfen muss: Geht es da nicht doch um das Lukrieren eines verlängerten Wochenendes? Erholt sich das Klima in den Ferien so gut, dass es keiner Freizeit-Aktionen bedarf?

Selbst grüne Parteien engagierten sich zuletzt wesentlich stärker in Fragen von Diversität und Gendergerechtigkeit als im Klima- und Umweltschutz.

Naturgemäß sind wir alle krisenmüde: Erst Corona, jetzt die Ukraine - und das Klima sollen wir auch noch bewältigen? Doch ab und zu gibt es tatsächlich keine Alternative. In Sachen Klima ist es fünf nach zwölf.

Was es bedeutet, wenn man einer Krise hinterherhechelt, wissen wir ebenfalls seit Corona. Jetzt muss das Vorausdenken stattfinden: für den Corona-Herbst und -Winter ebenso wie in Sachen Klima und Umwelt. Wenn sich die Zeiger der Uhr schon nicht zurückdrehen lassen: Vielleicht kann man sie wenigstens ein paar Minuten anhalten.