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Unsere Vorfahren waren Frühaufsteher

Von Roland Knauer

Wissen

Schon vor sieben Millionen Jahren gingen die fernen Urahnen des Menschen auf zwei Beinen durch Afrika.


Der Weg bis hin zum modernen Menschen unserer Zeit begann nach Erbgut-Analysen vor sechs bis zehn Millionen Jahren, als sich seine Wege von denen der Schimpansen-Familie trennten. Bereits ganz am Anfang dieser Entwicklung kristallisierte sich ein gravierender Unterschied heraus: Noch heute schwingen sich die Schimpansen geschickt durch das Kronendach des Regenwaldes und sind am Boden auf allen vieren unterwegs.

Der Sahelanthropus tchadensis genannte Vorfahre der Vormenschen richtete sich dagegen bereits vor rund sieben Millionen Jahren auf und lief auf zwei Beinen durch Buschland und lichte Wälder, während er eher vorsichtig und langsam durch die Bäume kletterte. Das schließen Guillaume Daver und Franck Guy von der Universität in Poitiers und ihr Team in der Zeitschrift "Nature" aus der Analyse eines Oberschenkel- und zweier Unterarm-Knochen dieser Art, die bereits 2001 im Norden der heutigen Republik Tschad in der Sahara-Wüste ausgegraben wurden.

Analyse des Schädels

"Diese Analyse passt gut zu einem Schädel der gleichen Art, der zur gleichen Zeit am gleichen Ort gefunden wurde", erklärt Friedemann Schrenk. Der Früh- und Vormenschen-Forscher vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum und von der Goethe Universität in Frankfurt am Main arbeitet ebenfalls in Afrika, vor allem in Malawi und in Tansania, war aber an der Studie des Teams aus Frankreich und der Republik Tschad nicht beteiligt.

Bereits im Jahr 2005 hatten Christoph Zollikofer von der Universität Zürich und sein Team in der Zeitschrift "Nature" eine Computer-Rekonstruktion dieses stark deformierten Schädels vorgestellt. Die Lage des Hinterhauptloches, durch das die Wirbelsäule und damit das Rückenmark mit dem Gehirn verbunden ist, unterscheidet sich stark von Schimpansen und Gorillas, die sich auf vier Beinen am Boden bewegen, ähnelt aber der Situation beim heutigen Menschen, sowie bei Früh- und Vormenschen wie der Australopithecus-Gattung, die allesamt Zweibeiner waren. Allerdings war der Schädel am Hinterhauptloch besonders stark deformiert, was natürlich Zweifel an der Rekonstruktion keimen ließ. Zumal Roberto Macchiarelli von der Universität in Poitiers und sein Team 2020 im Journal of Human Evolution aus dem Knochen des linken Oberschenkels dieser Art zwar eindeutig schlossen, dass Sahelanthropus tchadensis zu der Linie gehört, die zum modernen Menschen führt. Allerdings vermuteten sie in einer nach ihren eigenen Angaben vorläufigen Analyse, dass diese Art nicht auf zwei, sondern auf vier Beinen unterwegs gewesen war.

Aussagekräftige Details

Guillaume Daver und Franck Guy haben sich mit ihrem Team jetzt denselben Oberschenkelknochen und zusätzlich noch zwei 2001 am gleichen Fundort ausgegrabene Unterarm-Knochen detailliert angeschaut - und kommen zu einem anderen Ergebnis. Die Form des Oberschenkelknochens ähnelt nach ihrer Analyse sowohl den Australopitecus-Vormenschen, die vor rund vier bis zwei Millionen Jahren in Afrika lebten, wie auch der Vormenschen-Art Orrorin tugenensis, die vor sechs Millionen Jahren dort zuhause war, wo heute der Westen Kenias ist. Aus den Hauptachsen des Oberschenkelknochens schließt die Gruppe, dass der Nacken dieses Wesens ähnlich wie beim Menschen und dem Australopithecus nach vorne geneigt war. Auch die Ansatzstellen der Muskeln am Oberschenkel entsprechen Orrorin tugenensis, sowie später lebenden Vor- und Frühmenschen, die auf zwei Beinen gingen.

Eine Analyse der Dicke der kompakten und stabilen Knochenwände um das Knochenmark des Oberschenkels zeigt ebenfalls deutliche Ähnlichkeiten mit den gleichen Knochen von modernen Menschen, unterscheidet sich aber klar von den Oberschenkelknochen von Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans. Das Team um Guillaume Daver und Franck Guy ist daher überzeugt davon, dass Sahelanthropus tchadensis ein Zweibeiner war. Aus den Proportionen des Knochens schätzen sie obendrein sehr grob ein Gewicht von rund 43 bis 49 Kilogramm für dieses Wesen. Ähnlich schwer sind die Schimpansen, die sich noch heute durch das Kronendach des afrikanischen Regenwaldes schwingen. Und auch Vormenschen wie Australopithecus und Orrorin tugenensis dürften ein vergleichbares Gewicht auf die Waage gebracht haben.

Zusätzlich hat die Gruppe die rechte und linke Elle untersucht, die vermutlich vom selben Individuum stammen. Diese Knochen des Unterarms passen gut zu einem Wesen, das vorsichtig durch das Geäst klettert, aber keineswegs zu einem Affen, der auf allen vieren über den Boden läuft. Zusammen zeigen diese Eigenschaften, dass sich Sahelanthropus tchadensis kaum so elegant wie heutige Schimpansen durch das Geäst geschwungen hat, aber ein passabler Kletterer war.

Im Baum und auf dem Boden

Vor allem aber scheint sich der Zweibeiner-Gang schon vor rund sieben Millionen Jahren und damit sehr früh auf dem Weg zum Menschen und bald nach der Trennung von der Schimpansen-Linie entwickelt zu haben. "An diesem Alter gibt es kaum Zweifel", erklärt Friedemann Schrenk.

Alles passt zu den starken Veränderungen der Umwelt im damaligen Afrika: "In dieser Zeit kühlte sich das Erdklima ab", schildert der Senckenberg-Forscher die Hintergründe für den massiven Schwund der Regenwälder, die sich vorher von der Küste des Indischen Ozeans im Osten bis zur Atlantikküste im Westen erstreckten. Gleichzeitig öffnete sich damals ein Grabenbruch im östlichen Afrika und veränderte die Niederschläge enorm. "Erstmals entstanden in Afrika Savannen, die zunächst eher Buschland mit Gras am Boden waren", schildert Friedemann Schrenk den damaligen Wandel der Ökosysteme. Die Wiege der Vormenschen stand wohl auf dem Gras unter den Kronen locker stehender Bäume.