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Womit im Corona-Herbst zu rechnen ist

Von Eva Stanzl

Wissen

Experten erwarten neue BA.5-Welle von Omikron, Krankheitsverlauf von Covid-19 aber weiterhin gemäßigt.


Neue Versionen von Omikron mit ähnlich hoher Virulenz, die weitere Erkrankungswellen bringen: Auch in diesem Herbst sei die Pandemie mit dem Coronavirus keineswegs vorbei, sagten Experten am Dienstag vor Journalisten in Wien.

Jedoch gebe es mittlerweile auch Positives zu berichten. Das schlimmstmögliche Szenario, wonach Sars-CoV-2 durch Rekombination mit einem anderen Coronavirus zu einer neuen, hochansteckenden Variante mit schwerem Verlauf von Covid-19 evolvieren könnte, sei nicht eingetreten, sagte der Molekularbiologe Ulrich Elling. Vielmehr stehe die Welt vor einem komplexen, aber was die Schwere der Krankheit betrifft gemäßigten Szenario, hieß es beim ersten "Science Update" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Mit diesen Gesprächen zwischen Fachexperten und Wissenschaftsjournalisten will die ÖAW einen Beitrag zur Verbesserung der Wissenschaftskommunikation in Österreich leisten.

"Varianten wie Schwammerl nach dem Regen"

"Derzeit treten wir in eine neue Phase der Evolution von Sars-CoV-2 ein", sagte Elling, der am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie Sars-CoV-2-Varianten sequenziert und beobachtet, wie das Virus sich verändert und verbreitet. "Bisher war der Erreger durch große Varianten, wie Alpha, Beta, Delta und Omikron, die riesige (genetische, Anm.) Sprünge darstellen, geprägt. Nun hat sich seine Evolution verändert", berichtete er. Zum einen habe die große Omikron-Welle vom vergangenen Winter Gelegenheit zur Mutation geboten. Zum anderen sei Omikron seit seiner Mutation BA.2 "so verändert", dass dem Immunsystem nur wenige Angriffspunkte blieben.

"Varianten entstehen wie Schwammerl nach dem Regen auf der ganzen Welt und mutieren in jenen Regionen von Sars-CoV-2, an die das Immunsystem noch binden kann", sagte Elling: "Was im Oktober unmittelbar in Europa auf uns zukommt, ist ein Nachschlag der BA.5-Welle." Eine Mutation in Omikron-BA.5 an der Position 346 gäbe der kommenden Infektionswelle den Rückenwind.

Andere neue Versionen von Omikron mit komplizierten Namen wie BJ.1, BA.275-2 oder BQ.1.1 würden die Welt wohl erst später beschäftigen. Obwohl nicht zu erwarten sei, dass diese Entwicklungen eine Herausforderung für Intensivstationen in Spitälern darstellen, "werden wir auch heuer unser Sozialverhalten anpassen müssen", meinte der Molekularbiologe. Das bedeutet weiterhin Abstand halten, Maskentragen und Menschenansammlungen meiden, jedoch vorerst wohl keinen harten Lockdown. In Zukunft könne man jedoch weder eine weitere Pandemie noch gefährlichere Corona-Mutationen ausschließen.

Obwohl all dies wie mehr vom Selben klingt, gibt es aber auch an dieser Stelle etwas Positives zu berichten. Die "mysteriöse Lungenkrankheit" Covid-19, deren Existenz erstmals Ende 2019 bekannt wurde, ist heute eine der best untersuchten Infektionen. Wer den Namen der Krankheit in der "PubMed"-Datenbank für medizinische Artikel in den USA eingibt, erhält rund 300.000 Ergebnisse. Bei der Influenza, die weitaus länger existiert, sind es nur derer rund 150.000. Es gibt Impfungen, Medikamente und funktionierende Behandlungsmethoden und auch über den Immunschutz gegen Covid-19, den die Menschheit allmählich aufbaut, ist mittlerweile einiges bekannt.

"Der Körper hat nicht nur neutralisierende Antikörper, die man im Blut nachweisen kann, sondern viele Instrumentarien, um ein Virus zu bekämpfen, seinen Ausbruch zu verhindern oder die Schwere des Verlaufs zurückzudrängen", erklärte die Immunologin Sylvia Knapp von der Medizinischen Universität Wien: "Allerdings lassen sich nicht alle dieser Instrumentarien messen. Nachweislich ist es so, dass eine Immunität, die durch eine Kombination von Infektion und Impfung hervorgerufen wird, die deutlich bessere ist, weil diese auch eine lokale Immunantwort in der Lunge fördert, die man durch eine Impfung allein nicht immer erreichen kann", sagte Knapp.

Zur Eindämmung der Pandemie müsse man "impfen, impfen, impfen", betonte der seit mehr als 50 Jahren in den USA tätige österreichische Virologe Peter Palese von der Icahn School of Medicine am Mount Sinai in New York. Dabei komme es nicht darauf an, welchen, "sondern dass man den Impfstoff verwendet". Allerdings rücke die Pandemie mittlerweile "näher an die Influenza-Situation" mit saisonalen Wellen.

"Checkliste" als "Werkzeug" für Impfentscheidung

Palese und sein Team arbeiten an einem Vakzin gegen das Coronavirus, das als Nasenspray verabreicht werden kann und es somit dort bekämpft, wo es wütetet. Die Technologie wurde gegen das für Menschen ungefährliche, unter Hühnern grassierende Newcastle-Virus entwickelt und kann mit dem Spike-Protein des Coronavirus kombiniert werden. Eine klinische Studie befindet sich in der letzten Phase III.

Angesichts der steigenden Infektionszahlen stellt sich derzeit auch die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für Auffrischungsimpfungen und welche wann am besten wirkt. Da die Situation angesichts unterschiedlicher Empfehlungen von Impfgremien für viele Menschen unübersichtlich geworden ist, könne es eine "Checkliste" als "Werkzeug für die eigene Entscheidung" geben, empfahl Elling. Verwirrung habe etwa das Nationale Impfgremium (NIG) mit der für viele überraschenden allgemeinen Empfehlung zum vierten Stich am Ende des Sommers gestiftet inklusive der Ansage, dass eine kürzlich durchgemachte Infektion nicht als "Booster" anzusehen sei. Immunologin Knapp hielt dazu fest, dass es wissenschaftlich belegt ist, dass eine Auffrischung nicht früher als vier bis sechs Monate nach dem letzten "Event" stattfinden sollte und eine Infektion sehr wohl als solcher anzusehen sei.