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Die Pest prägte das Immunsystem

Von Eva Stanzl

Wissen
Alte DNA, neu untersucht: Ausgrabung britischer Pestopfer in East Smithfield.
© Mola

Seit langem wird spekuliert, ob der Schwarze Tod die Selektion beeinflusst hat. Die Antwort ist ja.


Der Schwarze Tod war eine der verheerendsten Pandemien der Geschichte. Zwischen 1346 und 1353 starben etwa 25 Millionen Menschen oder rund ein Drittel der europäischen Bevölkerung. Seit langem wird spekuliert, ob die Pest die genetische Selektion beeinflusst hat. Ein US-Forschungsteam konnte nachweisen, dass dem tatsächlich so ist.

Insbesondere die Beulenpest habe das Immunsystem und damit die Krankheitsanfälligkeit nachhaltig beeinflusst. Das berichten die Universität Chicago, die McMaster University in Hamilton, Kanada und das Institut Pasteur in Paris im Fachmagazin "Nature".

Die Forschenden konnten belegen, dass diese dunkelste Periode der Menschheitsgeschichte einen derartigen Selektionsdruck ausgeübt hat, dass bestimmte, immunbezogene genetische Varianten zunehmend häufiger aufzutauchen begannen. Insbesondere die durch das Bakterium Yersinia pestis ausgelöste Beulenpest hatte nachhaltige Auswirkungen auf das Genom des Menschheit.

In der Studie analysierten die Wissenschafter alte DNA-Proben aus Knochen von über 200 Personen aus London und Dänemark, die vor, während und nach der Pest gestorben waren, mit Hilfe von neuen Sequenzierungsmethoden. Es wurden insgesamt 300 immunbezogene Gene untersucht und deren vier ausgemacht, die - je nach Variante - entweder vor dem Bakterium Yersinia pestis schützten oder die Anfälligkeit für die Beulenpest erhöhten. "Dies war ein sehr direkter Weg, um die Auswirkungen eines einzigen Krankheitserregers auf die menschliche Evolution festzumachen", wird Studienautor Luis Barreiro, Professor für Genetische Medizin an der Universität Chicago, in einer Aussendung zitiert.

Im Allgemeinen ist es schwierig, solche Zusammenhänge zu beweisen, wenn man moderne Populationen betrachtet, da die Menschen damals einem anderen Selektionsdruck ausgesetzt waren. "Die einzige Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, ist, indem man das Zeitfenster der Betrachtung verkleinert", erklärt Barreiro.

Ein Balanceakt der Evolution

"Dies ist meines Wissens der erste Nachweis, dass der Schwarze Tod tatsächlich einen wichtigen Selektionsdruck auf die Evolution des menschlichen Immunsystems ausübte", sagt der Genetiker. Mit seinem Team konzentrierte er sich auf ein Gen namens ERAP2, dessen Protein dem Immunsystem hilft, Infektionen zu erkennen.

Personen, die zwei Kopien einer Variante mit der Bezeichnung rs2549794 besaßen, konnten Kopien des ERAP2-Transkripts in voller Länge eines funktionellen Proteins im Körper erzeugen. Eine anderen Variante des Gens führte hingegen zu einer verkürzten, nicht funktionellen Version des Transkripts.

Wenn eine Fresszelle (Makrophage) des Immunsystems auf ein Bakterium stößt, zerkleinert sie es, um die Stücke anderen Antikörpern zu präsentieren und ihnen so zu signalisieren, dass eine Infektion vorliegt. "Der Besitz der funktionellen Version des Gens ERAP2 scheint einen Vorteil zu schaffen, wahrscheinlich weil es die Fähigkeit, Eindringlinge zu erkennen, verbessert", sagt Barreiro. Der Besitz von zwei Kopien der Gen-Variante rs2549794 hätte die Wahrscheinlichkeit, den Schwarzen Tod zu überleben, um etwa 40 Prozent erhöht - im Vergleich zu Menschen mit zwei Kopien der nicht-funktionalen Variante.

Das Team testete im Labor, wie sich rs2549794 auf die Fähigkeit lebender menschlicher Zellen, die Pest zu bekämpfen, auswirkt. Es zeigte sich, dass Makrophagen mit zwei Kopien den Pesterreger effizienter neutralisieren als solche ohne sie. Allerdings ist die Selektion für rs2549794 ein Teil eines Balanceakts, den die Evolution auferlegt. Denn zum einen schützt ERAP2 vor bakteriellen Infektionen und in seiner Variante rs2549794 vor der Pest. Doch dieselbe Variante wird in modernen Populationen mit einer erhöhten Anfälligkeit für Autoimmunkrankheiten in Verbindung gebracht, einschließlich der Rolle eines bekannten Risikofaktors für Morbus Crohn.

"Dies ist ein erster Blick darauf, wie Pandemien unsere Genome verändern können", sagt Studienautor Anthropologe Hendrik Poinar von der McMaster University. Was während der Pestepidemien vor Hunderten Jahren einen enormen Schutz bot, erweist sich heute aber auch als gefährlich. "Ein hyperaktives Immunsystem mag in der Vergangenheit großartig gewesen sein, ist aber unter heutigen Bedingungen vielleicht nicht mehr so hilfreich", so Poinar.