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"Von wegen Herbstwelle vorbei"

Von Eva Stanzl

Wissen

Neue Subtypen der Omikron-Variante haben mit dem Original-Coronavirus wenig gemeinsam.


Wenn man einer neuen Umfrage Glauben schenkt, interessiert die Corona-Pandemie derzeit wenig. Angesichts rückläufiger Infektionszahlen bereiten 1.000 vom Integral-Institut befragten Personen steigende Kosten, der Krieg in der Ukraine oder Korruption in der Politik größeres Kopfzerbrechen. Unter 14 Sorgenfaktoren steht das Coronavirus an letzter Stelle.

Das könnte sich ändern, sobald die Wetterlage von sonnig-trocken auf feuchtkalt umschlägt. "Je kühler es ist, desto leichter überträgt sich Sars-CoV-2", sagt Komplexitätsforscher Peter Klimek vom Complexity Science Hub Wien. Konkret steige die Ausbreitungsfähigkeit mit jedem Grad Celsius, um das die Temperatur sinkt, um zwei Prozent. Es ist also auch heuer mit einer herbstlichen Corona-Welle zu rechnen.

Klimek geht davon aus, dass zudem die tatsächlichen Fallzahlen mehr als drei Mal so hoch sein könnten wie die Zahl der Positivtests laut Epidemiologischem Melderegister. Ein Vergleich mit der im Abwasser gemessenen Virenfracht zeige, dass im Jahresverlauf die Dunkelziffer deutlich angestiegen sei, heißt es in einem Bericht der Gesamtstaatlichen Covid-Krisenkoordination (Gecko). Gecko warnt vor einem neuerlichen Anstieg und empfiehlt, weiter Masken zu tragen und sich impfen zu lassen.

Da das Virus allerdings laufend mutiert, stellt sich die Frage, wie effektiv welche Impfung ist. "Wir sehen laufend neue Varianten mit verschiedener Kombinatorik", sagt Ulrich Elling, der am Institut für Molekulare Biotechnologie Sars-CoV-2 sequenziert, zur "Wiener Zeitung": "Von wegen Herbstwelle vorbei: Wir bemerken keine Spur davon." Die neuesten Mutationen von Omikron seien viel weiter weg vom Original-Virus, das sich Anfang 2020 rund um den Globus verbreitete, als das Original-Virus von Sars-1. Die Lungenerkrankung Sars-1, die 2002/03 ausbrach, aber später wieder verschwand, ist mit dem Coronavirus zwar verwandt, geht aber mit weitaus schwereren Symptomen einher und verläuft in zehn Prozent der Fälle tödlich.

"Impfungen auf der Basis des Original-Erregers, mit denen viele Menschen mittlerweile drei Mal geimpft sind, schützen wenig gegen neue Varianten, die im Herbst eine Welle auslösen werden", warnt Elling. Er verweist auf eine chinesische Studie, in der die Wirkung von Impfungen auf verschiedene Varianten getestet wurde. Bei der Arbeit kamen Pseudo-Viren in Gewebe-Kulturen im Labor zum Einsatz. Untersucht wurde die Bildung von neutralisierenden Antikörpern, die Sars-CoV-2 unschädlich machen. Fazit: Einzig die seit kurzem erhältliche, angepasste Impfung gegen die Omikron-Version BA.5 weise einen guten Schutz gegen neueste Subtypen von Omikron auf, erklärt Elling. Die Studie würde von der Weltgesundheitsorganisation geprüft.

Seit dem Original-Virus ist Sars-CoV-2 rund 70 Mal mutiert und vollzog dabei stets so etwas wie einen bewussten Schritt, um die Immunabwehr noch geschickter zu umgehen. Während der Original-Typ und Sars-1 zufällig entstanden sind, verfolgt Sars-CoV-2 mittlerweile eine selektionstechnische Strategie. "Besonders beschäftigen uns derzeit die Subvarianten XBB, BA.2.75.2 und BQ.1.1. Sie können den Immunschutz so gut umgehen, dass man sich fragen muss, wie stark selbst die angepasste Impfung vor schwerer Krankheit schützt", so Elling, und: "Die steigenden Zahlen während des untypisch kühlen Septembers waren, fürchte ich, nur so etwas wie der Gruß aus der Küche. Jetzt steht ein schwerer Herbst bevor."

"Gruß aus der Küche"

Die hochgradig immuninvasive XBB-Variante wurde bisher in 26 Ländern identifiziert. Obwohl die Bevölkerung weitgehend geimpft und geboostert ist, grassiert sie derzeit in Singapur, ebenso wie in Bangladesch, den USA, Australien oder Dänemark. XBB ist eine Kombination aus zwei Stämmen von Omikron. Sie konkurriert mit der Version BQ.1.1 um den Titel der bisher immunschädlichsten Variante und übertrifft damit den gemeinsamen Vorfahren BA.5, der im Sommer das Pandemiegeschehen beherrschte. Ob XBB schwerere Verläufe hervorruft, ist bisher wenig untersucht.

BA.2.75.2 breitete sich zunächst vor allem in Indien und den USA aus, dort allerdings schnell. Experten vermuten, dass sie ein Subtyp von BA.2 ist, und dass nun eine Welle droht. Erste Erkenntnisse legen nahe, dass die Symptome eher intensiver ausfallen.

Womit müssen wir also rechnen? "Auf absehbare Zeit werden regelmäßig neue Wellen kommen, wobei Impfungen und Infektionen schützen", sagt Klimek: "Das Virus müsste sich komplett neu erfinden, damit dem Gesundheitssystem die Überlastung droht." Elling hingegen ist sicher: "Wer BA.2 und BA.5-Vorläufer hatte oder sich mit der angepassten Impfung immunisieren lässt, ist geschützt. Wir brauchen vermutlich eine neue Kombinationsimpfung."