Zum Hauptinhalt springen

"Es wird bei einer Variantensuppe bleiben"

Von Alexandra Grass

Wissen

Molekularbiologe Ulrich Elling: XBB.1.5 für Österreich kaum Gefahr, da Virenkonkurrenz groß.


Das Coronavirus Sars-CoV-2 mutiert munter weiter. Mittlerweile werden mehr als 500 verschiedene Linien gezählt. Derzeit im Fokus der Öffentlichkeit steht XBB.1.5. Der Subtyp ist eine Weiterentwicklung eines Omikron-Nachkommen. Das Problem dabei: Er ist wesentlich fitter als so manch anderer, schildert der Molekularbiologe Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". XBB.1.5 umgeht den Immunschutz und besitzt eine gute Infektiosität. Die Mutante verbreitet sich aktuell in den USA sehr schnell. In Österreich trifft sie allerdings auf starke Konkurrenz. Daher "wird es bei uns bei der Variantensuppe bleiben", lautet die Prognose des Forschers.

Schon Mitte September 2022 war XBB.1.5 erstmals in Österreich detektiert worden. Seither ist die Variante langsam angewachsen und liegt nun bei einer Verbreitung von lediglich zwei Prozent. Sie hat sich aus dem Omikron-Nachkommen XBB herausentwickelt. XBB wiederum hat extrem viele Mutationen im Spike-Protein und daher eine sehr gute Immunschutzumgehung. Für diesen Vorteil hat das Virus "allerdings einen Preis zahlen müssen", erklärt Elling. Es bindet schlechter an die Zellen, wodurch es im Zuge der weiteren Mutation zu einer verringerten Infektiosität gekommen war. XBB war daher "nicht wirklich durchsetzungseffizient".

Noch zu wenige Daten

Gänzlich anders verhält es sich nun mit XBB.1.5. "Diese Unterlinie hat das Problem der schlechten Bindung an unsere Zellen gelöst." Die USA zählen derzeit jede Woche 85 Prozent mehr Patienten als in der Woche davor. Doch hätten die Amerikaner relativ wenig andere Linien im Land, was für eine schnelle Ausbreitung von Relevanz ist.

In Österreich dominieren derzeit vor allem die Subtypen CH.1.1 und BQ.1.1.20. Und diese besitzen gegenüber XBB.1.5 einen erheblichen Vorsprung, betont der Forscher. Erstere verbreitet sich den aktuellen Daten zufolge wöchentlich um 50 Prozent, zweitere gar um etwa 60 Prozent. "Es ist nicht damit zu rechnen, dass die neue Variante auf einmal aus dem Nichts heraus auftaucht."

Daten zu XBB.1.5 gebe es derzeit noch zu wenige. Weltweit wurden bisher rund 4.500 Fälle sequenziert, betont Elling. Die WHO sieht die Mutante in Europa aber auf dem Vormarsch. Jüngste Daten aus einigen Ländern der Region fingen an, auf eine zunehmende Präsenz hinzudeuten, betonte der Direktor des WHO-Regionalbüros Europa, Hans Kluge, am Dienstag bei einer Online-Pressekonferenz in Kopenhagen. Die Fälle würden in kleiner, aber wachsender Zahl entdeckt. Man arbeite daran, die potenziellen Auswirkungen davon zu bewerten, hieß es.

In Österreich gab es in der Kalenderwoche 50 des Vorjahres insgesamt elf Fälle von XBB.1.5, in Kalenderwoche 51 waren es 18 Fälle und eine Woche später acht offizielle Infizierte, listet Elling auf. Insgesamt stecke die Variante hierzulande also noch in den Kinderschuhen.

Die Zahlen werden ihm zufolge, "zumindest im Abwasser", in den nächsten Wochen ähnlich der BA5-Welle im Sommer 2022 insgesamt wieder steigen. Es sei davon auszugehen, dass das Coronavirus in den Weihnachtsferien eine Pause eingelegt hat. Vorherrschend waren zuletzt etwa RSV und Influenza-Infektionen - sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen. Die nächste Covid-Welle ist vermutlich schon im Anrauschen. Besonders tückisch für Österreich scheint die Variante CH.1.1 zu sein, die in Vorarlberg entstanden ist. Sie zeichnet sich durch eine starke Verschmelzung von Zellen aus und kann, ähnlich wie Delta, vermehrt zu Lungeninfektionen führen, erklärt der Forscher.

Xenophobie und Hype

In China sei die Situation wieder eine gänzlich andere. Dort sind "lauter Varianten unterwegs, die wir schon gehabt haben". Daher sieht Elling eher gelassen gen Osten. Die Chinesen hätten eine schlechte Immunität und auch keine Omikron-Infektionen, daher sei der Ausbruch auch so großflächig. Der Mikrobiologe fordert für China auf jeden Fall ein besseres Monitoring. Dem Westen attestiert er "Xenophobie und eine Urangst vor chinesischen Viren". "Xenophobie in einer Pandemie ist absurd. Das halte ich für Aktionismus." Den "Medienzirkus" - vor allem auf Social-Media-Kanälen - findet der Forscher "eher als tendenziell gehypt und übertrieben". Dieser komme daher, weil die Varianten in den USA relevant sind. So steigen die Hospitalisierungsraten in Nordostamerika stark an, weil die Menschen wieder krank werden. "Aber bei uns ist es noch nicht wichtig."

Anders sehe es aus, wenn XBB.1.5 in zwei Monaten dominant wird. Dann müsse man darüber reden. Im Moment sei es aber schwierig, seriöse Abschätzungen zu geben. Es scheine, dass XBB.1.5 "im Moment die fitteste Variante ist - doch in zwei Monaten kann es auch wieder eine ganz neue Linie geben", gibt Elling zu bedenken.