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Die heiße Spur im Abwasser

Von Alexandra Grass

Wissen

Proben zeigen nicht nur das Corona-Pandemiegeschehen, sondern lassen auch Prognosen über Spitalsbelegungen zu.


Parallel zu PCR- und Antigentestungen hat sich im Laufe der Corona-Pandemie die Abwassertestung etabliert. Die Überwachung von Abwässern auf die Konzentration von Sars-CoV-2 hat sich auch bewährt: Sich anbahnende Krankheitswellen können sichtbar gemacht werden - nämlich auf "sehr demokratische Art und Weise", wie es der Mikrobiologe Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie (Imba) gegenüber der "Wiener Zeitung" formuliert. Denn jeder geht auf die Toilette, aber nicht jeder testet selbst. In einer Studie haben heimische Wissenschafter nun festgestellt, dass die Abwassertestung den Krankenhäusern bei einer Covid-19-Welle zumindest eine mehr als einwöchige Vorwarnzeit ermöglicht.

Sie sei eine "sehr gute und wertvolle Methode, um den Durchschnitt der Bevölkerung zu ermitteln", so Elling. Und soll aufrechterhalten werden, wie Gesundheitsminister Johannes Rauch am Montag im Rahmen einer Pressekonferenz betonte. Obwohl mit 30. Juni die letzten Corona-Maßnahmen Geschichte sein werden, hält man am Covid-Abwassermonitoring fest. Das Monitoring, das sich seit Anfang 2023 aus 48 bundesweiten Kläranlagen bedient, sei zudem bis zum Jahr 2025 ausfinanziert.

Überwachung seit 2020

"Abwasser-basierte Epidemiologie wird in Österreich seit April 2020 verwendet, um die Entwicklung der Sars-CoV-2-Pandemie zu überwachen. Das erfolgt mit einer ständig wachsenden Anzahl von Kläranlagen. Bis zum August 2022 waren bereits 123 solcher Anlagen beteiligt. Dies deckte rund 70 Prozent der Bevölkerung von rund neun Millionen Menschen ab", schreiben Wissenschafter um den Umwelttechniker Wolfgang Rauch von der Universität Innsbruck im Fachblatt "Science of The Total Environment".

Der wissenschaftliche Leiter des Projekts am Institut für Gerichtliche Medizin der Medizin-Uni Innsbruck, Herbert Oberacher, sieht sich mit seinem Team die Gesamtbelastung genauso an, wie die Mutationen und die Veränderungen. Die Ergebnisse der Untersuchungen würden an Corona-Kommissionen weitergegeben und weiterhin auf Dashboards sichtbar gemacht.

"Ausgangspunkt ist das Abwasser der Kläranlagen, das in gekühlten Probeboxen zu uns kommt", so Oberacher. Nach mehreren Prozessen wird eine PCR-Reaktion durchgeführt. Die Auswertung gehe rasch. In zehn Minuten sind 36 Proben machbar.

Die Abwassertestung hat allerdings auch Nachteile, betont Elling. Die Schnipsel vom Sequenzieren lassen sich nicht immer genau zuordnen. "Man weiß nicht, welcher Schnipsel zu welchem gehört." Der Mikrobiologe vergleicht dies mit einem Puzzlespiel. "Es ist schon aufwendig genug, ein Puzzle zusammenzusetzen. Schüttet man tausend Puzzles zusammen, weiß man nicht mehr, was zusammengehört." Dennoch lassen sie ungefähr Varianten herauslesen. Schon ab einem Prozent Anteil könne man zuordnen.

Elling sieht auch einen weiteren Nachteil: Denn es gebe keinerlei Verknüpfung mit Krankheitsverläufen oder dem Impfstatus - also keine personenbezogenen Daten. Dennoch sei es eine gute Methode, relativ reproduzierbar Infektionszahlen zu ermitteln. Zu Anfang der Pandemie habe sich gezeigt, dass die Abwasserwerte und die Auswertungen der herkömmlichen Tests sehr ähnliche verliefen. Mittlerweile sind die Abwasserwerte weitaus höher als die Zahl der offiziell gemeldeten Infizierten. Was auf das veränderte Testverhalten der Bevölkerung zurückzuführen ist.

Bis zu 14 Tage Vorwarnzeit

Bei der Abwassertestung werden "alle Verhaltensvariablen der Menschen herausgebündelt. Deswegen ist sie sehr wertvoll", betont Elling.

"Der zeitliche Vorlauf der auf Abwässern basierenden Epidemiologie zum Belag der Spitäler erlaubt das Erstellen von Prognosemodellen", betonen die Studienautoren der aktuellen Arbeit. Die Resultate zeigen ein Vorhersagepotenzial der Virusbelastung im Abwasser, wobei der durchschnittliche Vorlauf für die Auslastung von Normalstationen zwischen 8,6 und 11,6 Tagen beträgt, für die Betten auf Intensivstationen 14,8 bis 17,7 Tage, heißt es in der Publikation.

Damit könnte man in Zukunft die Inanspruchnahme des öffentlichen Gesundheitswesens relativ kurzfristig vorhersagen. Die Genauigkeit wächst mit der flächenmäßigen Verbreitung eines solchen Systems. "Die Ergebnisse zeigten eine Zunahme der Vorhersagegenauigkeit mit der wachsenden Anzahl an Abwasseranlagen, welche überwacht wurden", stellten die Wissenschafter fest. Das System könne aber auch an das Auftauchen von neuen Virusvarianten und die Entwicklung der Immunität in der Bevölkerung durch überstandene Erkrankungen und/oder Impfungen angepasst werden.

Im Bereich Abwasser-Monitoring hat Österreich international eine Vorreiter-Rolle eingenommen. Theoretisch könnte die Methode auch auf andere Krankheiten ausgeweitet werden.