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Medikamente als tödlicher Goldesel

Von Ritt Goldstein

Wissen

Die britische Regierung hat Pharmafirmen gezwungen, Resultate unpublizierter Medikamente-Studien preiszugeben. Die getesteten Drogen waren Psychopharmaka, Anti-Depressiva, aber anstatt Jugendliche davon abzuhalten, sich etwas anzutun, zeigten unveröffentlichte Testreihen das Gegenteil. Die Pharmafirmen bemühten sich schnell, die Auswirkungen des Skandals zu minimieren und boten mehr Offenheit an. Das konnte jedoch nicht die Fragen nach der Gefährlichkeit ihrer Produkte abwenden oder den Vorwurf, dass gefährliche Medikamente weithin zugelassen sind und auch verschrieben werden.


"Es besteht bereits ein Gesundheitsrisiko", warnt der britische Wissenschafter und Psychiater David Healy gegenüber der "Wiener Zeitung". "Wenn Pharmafirmen bereit sind, solche Gefahren - also wenn etwa Kinder durch Medikamente suizidal werden könnten - unter den Tisch zu kehren, dann kann niemand, der ein Medikament einnimmt, sich wirklich sicher fühlen", so Healy weiter.

Die April-Ausgabe des britischen Medizin-Journals "The Lancet" gibt ihm Recht. "Es sollte unvorstellbar sein, dass der Einsatz von Medikamenten nur auf selektive Berichterstattung über positive Testergebnisse gestützt ist", schrieb "The Lancet" in einem Editorial. Aber genau das "ist passiert und passiert weiterhin". Deshalb fragt das Journal: "Wie sicher können wir uns sein, dass ähnliche Verfehlungen in Zukunft nicht auch in größerem Umfang geschehen werden?" Abschließend wurde festgestellt, dass die Öffentlichkeit nicht zulassen wird, dass sich Pharmafirmen auf Kosten des Lebens der Kinder bereichern.

Seit den späten 1990er-Jahren ist die Zahl der Medikamente stark angestiegen, die vom US-Markt genommen oder mit einer Warnung, dass sie möglicherweise zum Tod oder zu schweren Schäden führen können, versehen werden mussten, sagt Joel Lexchin, Professor an der Medizinischen Fakultät einer Universität in Toronto, Kanada. "Viele Leute, ich eingeschlossen, glauben, dass das an den schnelleren Zulassungsverfahren der FDA, die in den USA dafür zuständige Behörde, liegt. Das hat dazu geführt, dass einige Medikamente auf den Markt gekommen sind, die nicht auf den Markt hätten kommen sollen", analysiert Lexchin im Gespräch der "Wiener Zeitung".

Wie ernst die Lage ist, verdeutlichte ein Artikel der "Washington Post" Anfang September: "Als Antwort auf die anwachsende Empörung über Pharma-Firmen, die Informationen vorenthalten, wird ein parlamentarischer Unterausschuss führende Firmen zu den Vorwürfen befragen."

Millionen Todesopfer

Die Anwendung neu entwickelter Medikamente ist in der westlichen Welt weit verbreitet. Kritiker der Pharmaindustrie bringen dazu Zahlen, nach denen in den nächsten Jahren die Zahl der Todesopfer durch Medikamente in die Millionen gehen werde. Ähnlich wie beim Enron Skandal, scheine hinter dem derzeitigen Skandal mit verschreibungspflichtigen Medikamenten großflächige Korruption zu stehen. Außerdem liege grobes Versagen der Behörden vor. Anders als bei Enron jedoch ist es durch den Skandal zu Todesfällen gekommen.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete vor kurzem über 195.000 Todesfälle in den USA pro Jahr durch Fehler im Spital - viele davon durch Verschreibung falscher Medikamente.

Psychopharmaka sind die Haupteinnahmequelle für die Pharma Industrie. So hat etwa Eli Lilly's Medikament Zyprexa der Firma im Jahr 2003 Einnahmen von 4,28 Mrd. Dollar gebracht. Das entspricht etwa einem Drittel der weltweiten Gesamteinnahmen des Konzerns. Bereits 2002 hatten jedoch britische und japanische Behörden gewarnt, dass Zyprexa zu Diabetes führen könnte. Ein Jahr später forderte die FDA, dass eine Diabeteswarnung auf den Beipackzettel gedruckt wird. Das Gleiche wurde für das Antidepressivum Risperdal von Janssen Pharmaceutica gefordert.

"Medikamentenhersteller vertuschen Risiken", titelte der "Miami Herald" im Juli. Die Zeitung berichtete, dass Janssen Pharmaceutica zugegeben hat, Ärzte und Anbieter von Medikamenten über die Sicherheit ihrer Produkte getäuscht zu haben.

Am 10. November 2003 schickte Janssen (Eigentümer ist Johnson & Johnson Pharmaceutical) einen Werbebrief an Doktoren. In diesem wurde darauf hingewiesen, dass Risperdal nicht mit einem erhöhten Diabetes-Risiko in Verbindung gebracht werden kann. Im Juli 2004, schickte die Pharma-Firma jedoch ein korrigiertes "Warnschreiben" aus, auf Veranlassung der FDA. Diese hatte der Firma mit rechtlichen Schritten gedroht, wenn auf den Fehler in der Risikowarnung nicht aufmerksam gemacht würde.

Aber auch der FDA Warnbrief erging erst, als die Probleme mit den Pharmafirmen immer mehr an die Öffentlichkeit drangen. "Die FDA drückt bei großen Pharmafirmen oft ein Auge zu und gibt ihnen die Zustimmung, wie sie es für das Antidepressivum Prozac (das Jugendliche ebenfalls zum Suizid getrieben haben soll, Anm.) getan hat", schildert der US-Psychologe Daniel Burston der "Wiener Zeitung". Dieser Ansicht stimmen auch die "Washington Post" und Medizin-Professor Lexchin zu.

Zielgruppe: Fünfjährige

"Spezialisten besorgt über den Einsatz von Medikamenten, um Kinder unter Kontrolle zu halten", war im "Miami Herald" vom 23. Juli zu lesen. "Die Verschreibung von Psychopharmaka an Kinder hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen", so die Zeitung.

"Es besteht ein sehr mächtiger Mythos, dass diese Medikamente nur ganz selten zum Einsatz kommen und nur bei Menschen, die als schizophren diagnostiziert wurden. Aber die Pharmafirmen haben den Markt auf Kinder im Alter zwischen fünf und zehn Jahren ausgedehnt, auf Altersheime ... auf Menschen, deren Diagnose nicht auf Schizophrenie lautet", warnt der US-Psychopharmaka-Experte John Read. Sein sarkastischer Nachsatz: "Warum sollten sie das nicht - der Daseinszweck einer Firma ist es schließlich, für Aktionäre ein gutes Ergebnis zu erzielen."

Übersetzung: Barbara Ottawa