Zum Hauptinhalt springen

Frühling erhellt nicht jeden

Von Alexandra Grass

Wissen
Erste Blüten nach dem Winter erzeugen Frühlingsgefühle.
© © © Roderick Chen/All Canada Photos/Corbis

Abhilfe schaffen Lichttherapie im Winter und viel Bewegung im Freien.


Wien. Die Sonnenstunden werden mehr, die Quecksilbersäule steigt von Tag zu Tag. Die ersten Schmetterlinge lassen sich blicken, und die Natur beginnt zu sprießen. Während die meisten Menschen in dieser Jahreszeit Frühlingsgefühle entwickeln und sich an der erwachenden Umgebung erfreuen, gibt es andererseits auch jene, die infolge ihrer Herbst- und Winterdepression zu Frühlingsbeginn nicht aus ihrem Tief herauskommen. Im schlimmsten Fall endet dies im Suizid.

Eine Studie der Medizinischen Universität Wien hat gezeigt, dass die Selbstmordrate in den sonnigen Monaten März bis Mai höher liegt als zwischen November und Jänner. Liegt die Zahl der in Österreich erfolgenden Selbsttötungen im Februar um die 95 Fälle, so schnellt sie dann steil nach oben, um im März bei etwas über 115 Fällen anzukommen. Das liege vor allem daran, dass sich die Batterien bei depressiven, inaktiven Menschen über den Winter entleert haben, diese also antriebslos in den Frühling starten, erklärt Siegfried Kasper, Leiter der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Wiener AKH.

Serotonin und Dopamin

Mit der steigenden Lichtintensität werden vermehrt die sogenannten Glückshormone Serotonin und Dopamin im Gehirn ausgeschüttet. Diese sorgen für ein allgemein besseres Befinden und bewirken eine leichte Euphorie. Besteht allerdings ein Mangel an dem Botenstoff Serotonin, kann es zu Depressionen, Angst und impulsiven Aggressionen kommen. "Das ist ja das Paradoxon. Der Depressive fragt sich, warum es ihm im Frühjahr noch schlechter geht", betont Kasper. Ein Serotoninmangel kann mit bildgebenden Verfahren wie etwa der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) festgestellt werden.

Der Mensch mache es sich grundsätzlich schwer, positive Gefühle im Frühling entwickeln zu können. Denn die Menschen begeben sich im Winter zumeist in dunkle, warme Umgebung - das ist laut Kasper die ungünstigste Kombination. Des Rätsels Lösung scheint im Licht zu liegen. Die Netzhaut des menschlichen Auges ist ein vorgelagerter Teil des Gehirns. Dort wird das Licht aufgenommen und über den Sehnerv direkt in den Hypothalamus geleitet, das wohl wichtigste Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems.

Lichttherapie hilfreich

Abhängig von der Lichtstärke werden verschiedene Neurotransmitter, wie eben das Serotonin, aktiviert, die neben Wachsein und Müdigkeit auch Funktionen wie Temperatur, Libido, Appetit, Magen-Darm-Aktivität, Zuckerhaushalt und Wachstum regeln. Die Temperatur spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Denn auch kalt und sonnig ist gut für das Gemüt.

Depressive Menschen können hingegen nicht mit den glücklichen Menschen mitziehen. Der Antrieb steigt zwar, aber die Stimmung kann dem Antrieb nicht folgen. Die Suizidgefahr steigt an.

Im Wiener AKH gibt es eine eigene Ambulanz für Herbst- und Winterdepression. Jährlich werden dort rund 200 Menschen unter anderem mit Lichttherapie behandelt, wie Kasper betont. Das sei eine der kostengünstigsten und effektivsten Therapien überhaupt.

Partner als Lichtquelle

Hilfreich ist es auch, sich im Winter viel im Freien zu bewegen. Depressive vergraben sich jedoch oft zu Hause, damit kommt das System zum Erliegen. Depressionen äußern sich in einem verminderten Antrieb und Schwung, in vermindertem sozialen Kontakt sowie vermehrtem Essen und Alkohol. "Die Spirale dreht sich damit nach unten."

Positiv wirken laut Kasper auch intakte soziale und Liebesbeziehungen. "Der Partner fungiert auch wie eine Lichtquelle. Wenn er aus irgendeinem Grund verloren geht und man sich dann in einen dunklen, warmen Raum zurückzieht, ist das die schlimmste Kombination für das seelische Wohlbefinden."