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Jagdlust im Dienste des Krieges

Von Cathren Müller

Wissen

Kindersoldaten töten auch aus archaischer Lust an der Jagd, stellen Psychologen fest.


Die "Soldaten" sind selbst noch Kinder, aber sie quälen und töten andere Kinder, Frauen und Männer auf grausame Weise. Manche sagen, dass das Töten für sie eine Sucht ist und dass sie Spaß daran haben. Die Kindersoldaten, die im Rebellenkrieg im östlichen Teil der Demokratischen Republik Kongo kämpfen, sind meist selbst Opfer von grausamer Gewalt, oft wurden sie verschleppt. In den Provinzen des Kongo und anderen von Rebellenkriegen betroffenen Regionen Afrikas nennt man die schlimmsten Kämpfer "grausame Menschen", denn sie kennen kein Mitleid. Abends erzählen sie einander von Vergewaltigung, Folter und Mord, als handle es sich um Abenteuer.

Woher kommt diese für Menschen aus politisch stabilen Ländern kaum vorstellbare Lust an der Gewalt? Die Psychologen Thomas Elbert und Maggie Schauer, die sich mit dieser Frage beschäftigen, mussten ihr Weltbild auf den Kopf stellen, um zu verstehen, was die ehemaligen Kämpfer, oft Kindersoldaten, ihnen in den Demobilisierungscamps der Vereinten Nationen und den Resozialisierungszentren von Nichtregierungsorganisationen erzählten: Es kann Menschen Spaß machen, zu töten.

Lust am Töten, ohne psychisch krank zu sein

Die beiden Forscher kommen in ihren Arbeiten zur Neuropsychologie dieser Täter zu dem Schluss, dass es eine nichtkrankhafte Lust zu töten gibt, die beim Menschen "natürlich" ist. Diese Lust, so argumentieren sie, entstamme evolutionsgeschichtlich dem Jagdverhalten steinzeitlicher Jäger. "Bei Männern weckt die Jagd als solche Lust", sagt Elbert im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Neuropsychologisch betrachtet belohnten sich Jagd und Mord durch die Ausschüttung von Botenstoffen wie Testosteron, Serotonin und Endorphinen während des Jagens und Tötens. Die Lust zu töten sei demnach - vor allem für Männer - etwas "Natürliches": "Die Bereitschaft zu lustvoller, brutaler Konfrontation ist Teil der männlichen Natur", so Maggie Schauer: "Gesellschaften, die Gewalt ermöglichen, müssen damit rechnen, dass ein bestimmter Prozentsatz der männlichen Bevölkerung diese Natur ausleben wird."

Das Bild vom Menschen als Jäger entstammt der Anthropologie. Man nahm an, dass ein Vorfahre des Homo sapiens, der Australopithecus, ein Jäger gewesen sei, der auch seine Mitmenschen tötete. Der "jagende Mensch" sollte auch die Entstehung von Aggression erklären. Neuere anthropologische Studien problematisieren allerdings diese Erklärung inzwischen. Neurologen wie Joachim Bauer argumentieren im Gegensatz dazu, dass unsere Neuropsychologie auf Kooperation ausgerichtet sei.

Schauer und Elbert beschäftigen sich seit mehr als 15 Jahren mit den Folgen von Traumata, Gewalt und Gewaltprävention. Sie haben mit Söldnern in Ruanda gesprochen, Soldaten in Afghanistan, Rebellen und Kindersoldaten in Uganda und in der Demokratischen Republik Kongo. Für die Opfer und Täter organisierter Gewalt haben sie eine Hilfsorganisation gegründet und Therapiemethoden entwickelt. An ihrem Kompetenzzentrum für Psychotraumatologie der Universität Konstanz werden traumatisierte Flüchtlinge behandelt. Die Erfahrungen im Jahr 2009 im Kongo waren für die beiden Forscher ein Schock: "Diese brutale Gewalt haben wir nicht verstanden. Wir dachten zuerst, es seien Drogen im Spiel", sagt Maggie Schauer.

Doch nicht nur die lustvolle Schilderung der Gräueltaten schockierte die Forscher, sondern auch das offensichtliche Fehlen von posttraumatischen Stress-Symptomen oder psychischen Erkrankungen bei den Kämpfern. In der Analyse von Gesprächen mit über 200 ehemaligen Kämpfern im Kongo stellten Elbert und Schauer fest: Diejenigen, die besonders gerne getötet hatten, waren trotz schrecklicher Erlebnisse weder traumatisiert noch psychisch krank.

Sie schließen sich Mördern an und werden zu Mördern

In der neuropsychologischen Forschung wird in der Regel zwischen reaktiver und instrumenteller Aggression unterschieden: Erstere reagiert auf äußerliche Bedrohungen, während die instrumentelle Aggression aktiv auf Ziele ausgerichtet ist. Der Neurologe und Psychiater Joachim Bauer geht davon aus, dass sie bei Menschen selten vorkommt: "Es handelt sich bei der Aggression um ein reaktives Verhaltensprogramm, dessen biologische Funktion darin besteht, die äußeren Umstände zu bewältigen, die dieses Programm abgerufen haben. Ausnahmen hiervon finden sich nur bei psychisch Kranken und bei Psychopathen."

Es sei "einseitig", nur die reaktive Seite der Aggression zu betrachten, sagen Elbert und Schauer. Die Lust an der Gewalt sei gerade nicht eine pathologische Folge erlebter Traumata, sondern scheine sogar vor psychischer Erkrankung zu schützen: "Die Rate der post-traumatischen Belastungsstörungen unter den ehemaligen Kindersoldaten im Ost-Kongo ist niedriger als unter den US-amerikanischen Kriegsveteranen", sagt Elbert.

Für psychische Erkrankungen, die durch Traumata ausgelöst wurden, sind Gefühle der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins konstitutiv. Aus diesen Gefühlen entsteht Angst. Sie wird mit einer Vielzahl sensorischer und kognitiver Erinnerungen verbunden und bildet ein unbewusstes "Netzwerk der Angst". Viele der Kindersoldaten wurden entführt, haben erlebt, wie ihre Familien ermordet wurden. Dennoch schließen sie sich den Mördern an und werden selbst zu Mördern.

Um diese widersprüchlich erscheinende Reaktion bei den ehemaligen Kindersoldaten zu verstehen, gehen die beiden Wissenschafter von der Bildung eines "Netzwerks der Jagd" aus. "Wir nehmen an, dass es ähnlich wie bei einem durch Traumata aktivierten Netzwerk der Angst ein assoziatives Jagd-Netzwerk gibt, das es Menschen ermöglicht, erfahrene Gewalt zu bewältigen und selbst ausgeübte Gewalt als attraktiv oder sogar lustvoll zu erleben", sagt Elbert. Erlebnisse, die eigentlich traumatisch sind, werden somit zu einem lustvollen Erinnerungsgewebe verarbeitet. "Bei der lustvollen Jagdaggression ist der Mensch nicht hilflos und ohnmächtig, sondern er setzt sich durch." Dies könne durchaus eine Strategie sein, um seine schier unfassbaren Erfahrungen zu bewältigen. "Während Gewalterlebnisse bei traumatisierten Opfern erneut eine Alarmreaktion auslösen können, kann dieselbe Gewalt bei den ‚Jägern‘ eine positive Erregung und Lust bewirken."

Wer jagt, fühlt sich gut, weil eine Vielzahl von Hormonen, Neurotransmittern und -modulatoren wie Testosteron, Serotonin, Endorphine und Cortisol euphorisieren und das Schmerzempfinden hemmen. Wäre das nicht so, würden Menschen erst gar nicht jagen, meint Elbert. "Das Jagen an sich muss lustvoll sein, Fleisch zu haben oder - bei jagdähnlichen Spielen - das Fußballtor zu erzielen, reichen allein als Motivation nicht aus."

Stabile Verbindung von Gewalt und Euphorie

Gewalt und Euphorie gehen im "Jagd-Netzwerk" eine weitgehend stabile Verbindung ein und verändern dabei die Hirnstrukturen. So werden die Kontrollfunktionen des präfrontalen Cortex, des Stirnhirns, die üblicherweise aggressive Reaktionen mäßigen, ausgeschaltet. Das Gehirn, ein überaus anpassungsfähiges Organ, hat sich verändert. "Wird das Töten einmal als lustvoll erlebt, ist eine Grenze überschritten", sagt Elbert: "Zu morden kann eine Art Sucht werden. Ehemalige Kindersoldaten erzählen, dass sie manchmal noch abends losgezogen seien, weil sie so einen starken Drang hatten, zu kämpfen." Es habe auch Anführer gegeben, die in regelmäßigen Abständen Blut sehen mussten.

Kann man ehemalige Kindersoldaten therapieren? "Ja", sagen die Forscher, die Verfahren dazu entwickelt haben. "Indem die Gewalt durch eine Psychotherapie im Kontext der Kriegserlebnisse verortet wird, können Gewalttaten in der zivilen Gesellschaft verhindert werden."

Info
Maggie Schauer und Thomas Elbert, Psychologen an der Universität Konstanz, führen bei der Alpbacher Seminarwoche das Seminar "Brain Plasticity and Regeneration" gemeinsam mit Christine Bandtlow von der Medizinischen Universität Innsbruck durch. Das Seminar findet vom 17.-22. August in der Hauptschule in Alpbach, Tirol, im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach "Erwartungen – Die Zukunft der Jugend" statt.

Siehe auch:
Wenn das Töten so normal ist wie Ziegen hüten
Als Sylvère das Töten lernte