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Vorfreude wirkt wie eine Droge

Von WZ-Korrespondent Roland Mischke

Wissen

Dopamin, der "Neurotransmitter der Begierde", gibt den Ausschlag.


St. Gallen. Wolfram Schultz staunte nicht schlecht. Der weltweit führende Dopamin-Forscher an der Universität Cambridge in England testet an Menschenaffen, wie dieser Neurotransmitter wirkt. Wie andere Botenstoffe fließt Dopamin zwischen Synapsen, die Andockstellen zur Botenweiterleitung, an Gehirnzellen. Bekamen die Affen nach einer Übung eine Belohnung, nahmen sie diese als selbstverständlich hin: Bananen oder einige Nüsse selbst brachten ihre Körper nicht in Glücksaufruhr. Ein kräftiger Glücksschub schien nur dann die Affengehirne zu befeuern, wenn sie wussten, dass die Belohnung kurz bevorstand. Dann waren die Tiere hoch erregt.

Zur Vorfreude auf den Urlaub gehört oft die Vorstellung makelloser Strände.
© © Cmon - Fotolia

Als ob ein Cocktail von Drogen das Gehirn überflutet

In diesen Wochen rüsten sich Millionen Menschen, um auf Reisen zu gehen. Der Sommerurlaub gilt traditionell als Höhepunkt des Jahres. Die sich da vorbereiten empfinden Spannung, manchmal ein Kribbeln unter der Haut, oder erhoffen sich etwas. Sie können gar nicht anders, denn die Vorfreude auf das Ereignis wirkt wie Speed, als würde das Gehirn von einem gewaltigen Cocktail an Drogen überflutet. Bilder makelloser Strände, sanft buckelnder Landschaften, Abende, die leuchtend im Sonnenuntergang versinken, von einem Abendessen in schönem Ambiente und mehr Zeit für die Liebe. Beim Gedanken an den Urlaub überschwemmen diese Bilder das Bewusstsein.

Erst seit kurzem wissen Forscher, dass Dopamin des Typs D2 diese Wirkung erzielt. Es erreicht den Nucleus accumbens, jenen Bereich im Mittelhirn, der sofort heftig reagiert auf den "Neurotransmitter der Begierde", wie Dopamin auch genannt wird. Das ist so bei der Vorfreude auf ein Wiedersehen mit einem geliebten Menschen, bei einem anstehenden Sportwettstreit, bei besonderem Essen oder erwartetem Sex.

Stesshormone im Körper werden reduziert

Der Nucleus accumbens, das zentrale Belohnungszentrum im Kopf, aktiviert die Erwartung enorm, indem er ein Hochgefühl auslöst. Das verursacht aber ein Problem. Die Dopamin-Schübe im Vorfeld des Urlaubs sind stark anhaltend, am Zielort angekommen, lassen sie augenblicklich nach, denn das Hirn hat nun nichts mehr, worauf es sich freuen kann. Gleichgültigkeit macht sich breit, oft gepaart mit Langeweile. Es ist alles nicht so toll wie erwartet, es gibt manches zu mäkeln.

"Die Eigenschaft der Dopamin-Neuronen, nur positiv zu antworten, wenn die Belohnung besser als vorausgesagt ausfällt, erklärt womöglich, warum wir ständig mehr Belohnungen brauchen", resümiert Wolfram Schultz. Der Professor empfiehlt deshalb, sich auch im Urlaub Gelegenheiten zu verschaffen - einen Ausflug, eine ungewöhnliche Tagesgestaltung, eine arrangierte Überraschung -, die Vorfreude verursachen.

Der Forscher Lee Berk und seine Mitarbeiter von der University of California haben ermittelt, dass freudige Erwartung sogar Stresshormone im Körper vermindert. Daran zu denken, dass man in einigen Tagen ein lustiges Video ansehen könne, reduzierte das Kortisol im Blut seiner Testpersonen um 39 Prozent und das Epinephrin gleich um 70 Prozent. Wird die Menge an Stresshormonen gesenkt, kann der Körper besser Infektionen und anderen Krankheiten widerstehen.

Vorfreude stabilisiert also auch die Gesundheit. Zudem kommt es auf das Urlaubsziel an. Griechenland weckt vielleicht derzeit nicht so viel Vorfreude, aber vielleicht Ziele in Nordafrika oder Asien?

Der Dopamin-Einfluss erstaunt die Forscher

Am University College in London baten Mitarbeiter der Studienleiterin Tali Sharot 61 Teilnehmer, sich 80 Reiseziele mit bunten Bildern anzuschauen und sie danach auf einer Skala von eins bis sechs zu bewerten. Danach schluckten sie eine Placebo-Tablette mit der Auflage, sich auf 40 Destinationen zu beschränken. In einem dritten Gang bekamen die Teilnehmer ein Medikament, das den Dopamin-Spiegel im Gehirn ansteigen ließ. Am nächsten Tag war die Wahl zu treffen, wohin der Urlaub gehen solle. Fast alle entschieden sich für jene Reiseziele, die sie im Dopamin-Rausch zum Schwärmen gebracht hatten. "Wir waren selbst erstaunt, wie stark der Einfluss der Dopamin-Gabe war", bekannte Tali Sharot.

Jeder kennt das Gefühl leichter bis mittelschwerer Enttäuschung im Urlaub, wenn das Wetter nicht mitspielt, die Unterkunft nicht den Erwartungen entspricht, die Partnerschaft nicht so leicht belebt werden kann oder die Kinder nerven.

Die Phantasie fördert das Urlaubserlebnis

Was kann man dagegen tun? Imaginieren. Sich klarmachen, dass sich die freien Tage unterscheiden vom Alltag, auch wenn man sich wieder mal zu viel erhofft hat. Noch wichtiger nach der Rückkehr: Schöne Urlaubserinnerungen beschwören, sich Fotos anschauen oder Bilder im Gedächtnis aktivieren. Vorfreude ist zwar die schönste Freude, aber Nachfreude enthält auch noch ziemlich viel Freude.