Wien.

Darmbakterien unter dem Elektronenmikroskop. - © Imba/CSF EM
Darmbakterien unter dem Elektronenmikroskop. - © Imba/CSF EM
(ski) Der Mechanismus, der bei Mangelernährung zu Störungen des Immunsystems, Durchfall und Darmentzündungen führt, wurde nun von Forschern am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie (Imba) geklärt. Diese Erkenntnisse könnten Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen helfen. Das Fachmagazin "Nature" bringt in seiner neuesten Ausgabe diese Studie als Titelgeschichte.

Unter Mangelernährung leiden weltweit mehr als eine Milliarde Menschen, in Europa etwa 30 Millionen. Ihre dramatischen Folgen machen sie zu einer der häufigsten Todesursachen. Mangel an Eiweiß löst vor allem Störungen des Immunsystems, Durchfall und Darmentzündungen aus, die den Körper schwächen und oft zum Tod führen. Wie dabei der molekulare Mechanismus funktioniert, konnten nun Thomas Perlot und Tatsuo Hashimoto aus der Forschungsgruppe von Imba-Direktor Josef Penninger erklären.

Die Forscher arbeiteten am Enzym ACE2, das an Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Herzversagen beteiligt ist und 2005 auch als essenzieller Rezeptor bei Sars-Virusinfektionen und akutem Lungenversagen identifiziert wurde. Dabei wurde eine völlig neue Funktion von ACE2 entdeckt: Das Enzym reguliert auch die Aufnahme der essenziellen Aminosäure Tryptophan aus dem Darm. Das überraschte auch Penninger: "Seit mehr als zehn Jahren forsche ich bereits an diesem Enzym, aber dass wir hier einen komplett neuen Zusammenhang zwischen ACE2 und der Aminosäure-Balance im Darm finden würden, hat mich verblüfft. Die Biologie ist wirklich erstaunlich."

Mäuse, die den Regulator ACE2 nicht besitzen (ACE2 knock-out Mäuse), können Tryptophan kaum mehr aus dem Darm aufnehmen und entwickeln alle Symptome einer Eiweiß-Mangelernährung. Im gesunden Organismus bleibt ein Teil des aufgenommenen Tryptophans lokal in der Darmschleimhaut und fördert dort die Produktion sogenannter Defensine, die wie ein natürliches Antibiotikum zur Abwehr von Bakterien wirken. Zu wenig Tryptophan führt zu einer gestörten Darmflora, was schließlich Durchfall und Darmentzündungen zur Folge hat.

Die vermehrte Zugabe von Tryptophan konnte den Mäusen, die massiv an Darmentzündungen litten, helfen. Die Darmflora normalisierte sich wieder, Entzündungen gingen zurück, und die Mäuse zeigten sich auch weniger anfällig für erneute Darmentzündungen. Penninger sieht in den Forschungsergebnissen eine große Chance, in Zukunft Menschen, die an entzündlichen Darmerkrankungen leiden, zu therapieren. Ein Erfolg in klinischen Studien hätte große Relevanz, in Österreich leiden etwa 80.000 Menschen an einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung, zum Beispiel an Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn.