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Frühmenschen-Mosaik

Von Roland Knauer

Wissen
Fundament für Homo rudolfensis : Schädel des 1974 beschriebenen Fossils passt zu jetzt ausgegrabenem Unterkiefer.
© Fred Spoor

Vor zwei Millionen Jahren lebte eine bunte Mischung unserer Vorfahren.


"In Zukunft werden Forscher die heutigen Überlegungen zur Entwicklung der Menschen wohl als allzu einfach bezeichnen", orakelt Bernard Wood von der George Washington University in der US-Hauptstadt im Fachblatt "Nature". Dabei ist die Situation schon heute und selbst für Frühmenschenforscher alles andere als übersichtlich. Der Archäologe Friedemann Schrenk vom Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt am Main etwa ist überzeugt, dass der moderne Mensch keinen Stammbaum mit einer klaren Abstammungslinie hat, sondern "vielmehr eine Art Stammbusch, in dem verschiedene Typen gleichzeitig lebten".

Fast zwei Millionen Jahre alte Fossilien geben nun neue Aufschlüsse über die Evolution des Menschen. Eine wissenschaftliche Analyse von Fundstücken aus dem Osten des Turkana-Sees in Kenia belegt, dass dort damals neben unserem direkten Vorfahren Homo erectus zwei weitere Arten der Gattung Homo lebten.

Der Stammbusch wächst

Ursprünglich hatte die Archäologie einen klaren Stammbaum von den als "Australopithecus" bezeichneten Vormenschen über den "aufrechten Menschen" Homo erectus bis hin zum modernen Menschen Homo sapiens gezeichnet. Dann aber berichteten Wissenschafter um Louis Leakey, sie hätten eine Homo habilis genannte Art in der Olduvai-Schlucht im Norden Tansanias entdeckt. Vor 1,75 Millionen sei dort ein wohl 13-jähriger Junge gestorben, die Forscher bargen einen Unterkiefer und Teile der Hand.

1973 veröffentlichte eine Forschergruppe den Fund eines Schädels ohne Unterkiefer und Zähne in der Koobi Fora-Hügelkette am Turkana-See in Kenia. Diese 1,9 Millionen Jahre alten Knochen ließen ein auffallend flaches Gesicht vermuten, das sich von den anderen bekannten Frühmenschen unterschied. Die neue Art wurde Homo rudolfensis genannt. Allerdings stand der neue Menschentyp auf wackligen Beinen, weil die Forscher nur diesen einen Schädel gefunden hatten.

Jüngst berichteten schließlich Leakeys Verwandte Meave und Louise Leakey vom Turkana-Becken-Institut in Nairobi von versteinerten Knochen, die auf mindestens drei unterschiedliche Frühmenschen-Typen vor zwei Millionen Jahren schließen lassen. Zu dem Fund gehört ein Teil des oberen Kopfes eines achtjährigen Jungen, diesmal mit Unterkiefer. Er starb vor 1,91 bis 1,95 Millionen Jahren. Da sich Kinder damals schneller entwickelten als heute, ist sein Lebensalter eher mit dem eines heutigen 13-Jährigen zu vergleichen.

Die Trümmer eines Unterkiefers eines anderen gefundenen Individuums sind ähnlich alt. Der Unterkiefer eines weiteren Menschenfundes lag hingegen 1,83 Millionen Jahre in der Koobi-Fora-Hügelkette vergraben.

Als Fred Spoor vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig die neuen Funde mit dem Homo-habilis-Unterkiefer aus Tansania verglich, passten sie allerdings nicht so recht zueinander. Mit dem 1973 beschriebenen Schädel des Homo rudolfensis gibt es dagegen gute Parallelen. Der Homo rudolfensis steht somit endlich auf einem soliden Fundament.

Der Nussknacker-Mensch

Gleichzeitig ist sicher, dass vor 1,9 Millionen Jahren zumindest drei Frühmenschen-Typen lebten: Homo rudolfensis, Homo habilis und Homo erectus, dessen früheste Spuren zwei Millionen Jahre alt sind. Die neuen Funde haben die Stammbusch-Theorie bestätigt.

Doch damit ist nicht genug. In Südafrika finden sich in dieser Zeit auch eindeutige Hinweise auf die Vorfahren der Frühmenschen: Der Vormensch Australopithecus africanus lebte dort noch vor zwei Millionen Jahren. Als das Klima in Afrika trockener wurde, entwickelte sich aus ihm aber nicht nur die Gattung Homo, sondern auch eine Art Nussknacker-Mensch, der mit seinem extrem kräftigen Kauwerkzeugen die damals härter werdenden Pflanzen erfolgreich zermahlen konnte. Zuvor gab es Fossilien dieses Paranthropus robustus im Süden Afrikas aus der Zeit nur vor zwei bis 1,2 Millionen Jahren.

Wie sich dieser Stammbusch aus Vor- und Frühmenschen mit dem Seitenast Paranthropus ernährte, haben Vincent Balter vom Geologischen Labor im französischen Lyon und seine Kollegen mit Hilfe des Zahnschmelzes untersucht. Die Mengen des darin enthaltenen Strontiums, Kalziums und Bariums und verschiedener Atomsorten dieser Elemente zeigt, ob das Individuum Vegetarier war oder ob auch Fleisch auf seiner Speisekarte stand. Für die Gattung Homo konnten die Forscher prompt einen Verdacht bestätigen: Unsere Vorfahren überlebten die trockeneren Zeiten mit der härteren Vegetation, indem sie ihre vegetarische Kost mit Fleisch anreicherten.

Sie waren also wie vermutet Verfechter einer Mischkost. Paranthropus wiederum kaute vor allem auf den harten Pflanzen seiner Zeit herum. Die Überraschung aber lieferte Australopithecus africanus, weil er ein besonders breites Nahrungsspektrum aus Fleisch sowie Blättern und Früchten von Gehölzen zu sich nahm.