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Ein Leidensweg mit Aussicht

Von Alexandra Grass

Wissen
Früchte der Weißbeerigen Mistel, die man in der ergänzenden Krebstherapie verwendet.
© wikimedia

Viele Krebspatienten leben länger und leiden unter Spätfolgen ihrer Erkrankung.


Wien. Krebspatienten stehen immer wieder vor schwerwiegenden Entscheidungen. Nicht nur, dass den Betroffenen bei der Erstdiagnose der Boden unter den Füßen wegbricht, stellt sich dann auch die Frage, welchem Arzt man sein Leben anvertraut. Einige sehen sich auch vor einer Richtungsentscheidung: Schulmedizin oder doch alternative Behandlungsmethoden? Wiewohl manchmal von Einzelfällen zu lesen ist, die mit dem zweiten Weg eine Heilung ihrer Erkrankung erreichen konnten, sind das doch Ausnahmen. Dass es kein Entweder-oder, sondern nur ein Hand-in-Hand geben darf, ist der einhellige Tenor der Komplementärmediziner.

Eben darum auch der Begriff komplementär und nicht alternativ - also ergänzend statt anstelle. Die Behandlungsergebnisse der klassischen Onkologie werden immer besser und die Überlebenschancen steigen, betont Rainer Stange, leitender Arzt an der Hochschulambulanz für Naturheilkunde der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Doch mit komplementärmedizinischen Therapien wie etwa der Mistel-, Enzym- oder Selentherapie, der Hyperthermie, Traditioneller Chinesischer Medizin oder auch der Homöopathie steht eine zweite Säule zur Verfügung, um Nebenwirkungen von Chemo- und Strahlentherapie gering zu halten, aber auch deren Wirkung zu intensivieren.

Bei der Misteltherapie hemmt der unter die Haut gespritzte Pflanzenextrakt das Tumorwachstum, schützt gesunde Zellen und steigert die Abwehrkräfte. Einen großen Stellenwert räumt Stange der Hyperthermie ein. Der Wiener Spezialist und Mediziner Ralf Kleef erklärt: "Die Therapie macht den Krebs weicher - die Chemo kann besser angreifen und die immunkompetenten Zellen besser infiltrieren." Die Körpertemperatur wird dabei erhöht, um die Tumorzellen zu zerstören. Durch eine gesteigerte Durchblutung könnten die verabreichten Zytostatika besser in den Tumor gelangen. Das Spurenelement Selen wiederum soll gesunde Zellen schützen und Krebszellen verwundbar machen. Es wird auch hierzulande schon häufig in Begleitung zur Strahlentherapie eingesetzt. Für bestimmte Therapien übernimmt auch so manche Krankenkasse die Kosten.

Aufgrund der Tatsache, dass es durch die Therapierfolge auch zu immer mehr chronisch kranken Krebspatienten kommt, die in fortgeschrittenem Stadium ihrer Erkrankung noch Jahre am Leben bleiben, steigt die Zahl der Betroffenen mit Langzeit- und Spätfolgen. Therapiebedingte Folgeerkrankungen sind das Müdigkeitssyndrom (Fatigue), Nervenschädigungen (Polyneuropathien), Schlafstörungen, Depressionen oder Konzentrationsstörungen. Daher sei es gut, dass sich die Forschung immer mehr auf die Langzeitlebensqualität richtet und die Komplementärmedizin einen großen Beitrag leisten kann, betont Stange.

Welche komplementärmedizinische Therapie sinnvoll ist, hängt vom Stadium der Erkrankung, vom verabreichten Therapeutikum, von der Krebsart und vom immunologischen Gesamtbild ab, erklärt der Wiener Ganzheitsmediziner Gerhard Hubmann vom Zentrum für Integrative Medizin der Therme Wien.

Wiewohl es für den einzelnen Krebspatienten nicht leicht ist, den richtigen Arzt zu finden. In den Ordinationen finden sich zwar viele Diplome, doch wer garantiert, dass man nicht die Katze im Sack kauft? Während es in Deutschland schon Lehrstühle für Komplementärmedizin gibt, haben die Unis hierzulande bis dato nichts dergleichen zu bieten.

Dschungel von Angeboten

Aber schön langsam scheint sich etwas zu tun. So bietet etwa die Donauuni Krems ab Oktober 2013 einen eigenen Master-Universitätslehrgang für Natural Medicine an. Unter anderen wird der Wiener Ganzheitsmediziner Walter Glück sein Wissen und seine Erfahrungen an die Studenten weitergeben. Auch am FH Campus Wien wird derzeit für Herbst 2014 ein Masterstudium für Komplementärmedizin vorbereitet, so Gerhard Hubmann. Vielleicht ist mit diesen ersten Schritten an die Hochschulen der universitäre Weg und damit auch jener in die Forschung gelegt.

Höchste Zeit wird es ebenso für eine allgemeine Anlaufstelle im Bereich der Komplementärmedizin - etwa analog zur Österreichischen Krebshilfe. Nicht nur dass Krebspatienten mit ihrer eigenen Erkrankung zu kämpfen haben, müssen sie sich auch noch durch den Dschungel der seriösen, aber manchmal auch unseriösen Angebote durcharbeiten.

Für den Charité-Mediziner Stange ist auf jeden Fall klar, dass die integrativen Therapien von immer mehr klassischen Onkologen akzeptiert werden müssen. Denn sie wissen, dass sowieso 50 bis 65 Prozent ihrer Patienten zur Komplementärmedizin greifen.

Einen ausführlichen Bericht mit einem Interview der Wiener Psychoanalytikerin Bettina Reiter über ihre Krebserkrankung finden Sie in der Beilage "Das gute Leben", die am Samstag, 31. August, der "Wiener Zeitung" beiliegt.