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"Ich glaube an den mündigen Bürger"

Von Elisabeth Hewson

Wissen

Ulrich Berger, Wirtschaftswissenschafter an der Wirtschaftsuni Wien und Präsident der Gesellschaft für kritisches Denken, kämpft mit Leidenschaft gegen das, was er "esoterischen Unsinn" nennt.


WZ: Wieso interessiert sich ein Wirtschaftswissenschafter für Parawissenschaften und Voodoo?

Ulrich Berger: Über gewisse Umwege. Ich war schon als Jugendlicher begeistert von Wissenschaft, speziell von Mathematik und Naturwissenschaften. Über die Mathematik habe ich die Artikel von Martin Gardner gefunden, das war ein sehr populärer amerikanischer Hobbymathematiker. Dessen Bücher habe ich gelesen, und da fanden sich Anmerkungen zur Skepsis und den amerikanischen Skeptikern. Er war ja auch Gründervater der Skeptikerszene. Ich habe dann die Zeitschrift "Sceptical Inquirer" entdeckt, das Erste, was mir in dieser Richtung untergekommen ist.
Mich hat ja schon mit 18 Jahren das Eindringen der Esoterik in den Alltag und die Wissenschaften gestört. Bereits in der Schule kursierten seltsame Behauptungen über Wahrsagen, Tischerlrücken, dass das wirklich funktioniert und jetzt auch wissenschaftlich bewiesen sei. Genauso wie Telekinese oder die Wünschelrute – Homöopathie war ja damals erst im Kommen, also noch kein großes Thema. Sogar im Biologieunterricht war von einer neuen Entdeckung, von Biophotonen, die Rede, und was die alles können. Das ist mir aufgefallen, weil es so abenteuerlich geklungen hat.
Ich habe mir damals gedacht: Schade, dass es so etwas wie die Skeptikerbewegung nur in den USA gibt. Später entdeckte ich auch in Deutschland so einen Verein, die GWUP, und sogar eine Regionalgruppe in Wien, damals noch ein Grüppchen von fünf, sechs Leuten. Dort habe ich gefunden, wonach ich jahrelang gesucht hatte: eine kritische Gegenbewegung zu dem pseudowissenschaftlichen, esoterischen Unsinn, der da über einen hereingeschwappt ist.

Was stört Sie denn so an Parawissenschaften? Was schadet es, wenn Leute an Übernatürliches glauben?

Es stört mich, wenn sich Parawissenschaften, in Wahrheit Pseudowissenschaften, zunehmend an Universitäten breitmachen. Und wenn sie von öffentlicher Hand gefördert werden, wissentlich oder unwissentlich. Moderner Aberglaube wie UFOs oder das Loch-Ness-Monster interessieren mich persönlich weniger, darüber kann ich eher lachen. Mich ernsthaft damit zu beschäftigen, fände ich zu absurd. Es stört mich auch nicht, wenn irgendwo Esoterikmessen stattfinden, denn in der privaten Wirtschaft soll jeder machen, was er meint. Ich glaube an den mündigen Bürger. Aber wenn Pseudowissenschaften in den Studienplänen der Universitäten auftauchen, dann ist für mich eine Grenze überschritten. Da bin ich dann für öffentliches Protestieren, Einschreiten, was immer man da unternehmen kann.

Was kann man als Skeptiker denn überhaupt tun?

Meine Macht ist die Feder. Ich schreibe Leserbriefe an Zeitungen, Zeitschriften, Protestbriefe, öffentlich oder privat, an Ministerien, Universitäten, Wirtschaftsförderungsinstitute, Volkshochschulen etc. Und ich versuche, die besonders krassen Sachen öffentlich zu kritisieren. Dazu gibt es den Blog "Kritisch gedacht". Der wird seit 2007/08 geführt. Diejenigen, die wir kritisieren, wehren sich leider mitunter mit sehr zweifelhaften Mitteln, oft mit persönlichen Angriffen oder mit den Vorwürfen, wir wären Dogmatiker oder Fundamentalisten, Ayatollahs der Wissenschaft und so weiter. Erwiderungen auf wissenschaftlich basierte Kritik sind meist wieder pseudowissenschaftliche Argumente, die für Laien wissenschaftlich klingen, oft aber total absurd sind. Vor allem von den Homöopathen ist man das gewöhnt. Manche geben sich besonders wissenschaftlich und meinen, wenn sie sagen können, da gibt es eine Studie, dass damit unsere Kritik schon widerlegt wäre. Oder sie ziehen sich auf Formalstandpunkte zurück und meinen, nur Mediziner dürften Homöopathie kritisieren. Da gibt es dann Abstufungen: Die einen meinen, nur Ärzte dürften Homöopathie kritisieren, die anderen, nur habilitierte Ärzte dürften Homöopathie kritisieren, und wieder andere, nur Homöopathen dürften die Homöopathie kritisieren. Völlig absurd! Unwissenschaftliches Vorgehen ist von jedem ernstzunehmenden Wissenschafter zu erkennen.

Warum steht gerade Homöopathie so oft im Mittelpunkt Ihrer Kritik?

Das war nicht ursprünglich mein zentrales Interesse, aber es ist heute die am weitesten verbreitete und populärste pseudowissenschaftlich-esoterische Methode der Alternativmedizin. Zwangsläufig wird man daher immer wieder darauf angesprochen. Und es gibt bei diesem Thema, wie es in der Öffentlichkeit dargestellt wird, die meisten Dinge zu kritisieren. Ich habe vor sechs Jahren begonnen, mich damit zu beschäftigen, und mich so weit eingelesen, dass ich die einschlägigen Studien kenne, die wissenschaftliche Literatur, die Kritik und deren Gegenargumente, und ebenso die Protagonisten der Szene. Und so bin ich gewissermaßen spezialisiert in diesem Bereich.

Aber wie kann es sein, dass hoch angesehene Mediziner die Homöopathie vertreten, verteidigen, sogar lehren?

Da gibt es mehrere Gründe. Ich finde das ja gar nicht so überraschend. Erstens sind das oft Ärzte, denen in der Praxis klar wird, dass es eine Nachfrage nach Homöopathie gibt. Wenn sie die anbieten, haben sie ein zusätzliches Einkommen. Das ist der rein kommerzielle Aspekt. Der zweite ist folgender: Viele sind keine Betrüger, glauben selbst daran, einfach, weil sie keine wissenschaftliche Ausbildung haben. Es ist ja wenig bekannt, dass das Medizinstudium keine eigenständige wissenschaftliche Arbeit beinhaltet. Der Dr.med.univ. ist, so seltsam das klingt, kein Doktorgrad, sondern ein Diplomgrad. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Mediziner keine nennenswerte wissenschaftliche Ausbildung haben. Insbesondere, wenn es um die Interpretation und Beurteilung von wissenschaftlichen Studien geht – und das geschieht meist über Statistik –, bewegt sich die Ausbildung auf einem sehr niedrigen Niveau. Dieses Thema spielt im Studium fast keine Rolle. Wenn man sich als Mediziner nicht aus eigenem Interesse damit beschäftigt, lernt man es einfach nicht, sich kritisch mit Studien auseinanderzusetzen.

Wie steht es mit dem ständigen Gegenargument: Auch die Wissenschaft weiß nicht alles?

Es ist natürlich richtig, dass die Wissenschaft nicht alles weiß. Aber das ist für die konkreten Fragen, um die es hier geht, irrelevant. Denn wir kritisieren hauptsächlich jene Dinge, von denen die Wissenschaft bereits weiß, dass sie nicht funktionieren. Wünschelrutengeher etwa sind bereits so oft ohne Erfolg getestet worden, dass man heute mit Gewissheit sagen kann: Da ist nichts dran.

Aber werden wissenschaftliche Resultate nicht ständig auch wieder widerlegt? Worauf soll sich ein Laie dann verlassen?

Ich halte das für einen großen Mythos, der durch die Medien geschaffen worden ist. In der Wissenschaftsberichterstattung zählt immer das Spektakuläre, wenn ein Ergebnis dem widerspricht, was andere vorher gesagt haben. So wird dem Laien der Eindruck vermittelt, dass ständig Ergebnisse ins Gegenteil verkehrt werden. Als gäbe es ein ständiges Hin und Her. So ist es nicht. Wissenschaft ist natürlich fehlbar, und so ist es nicht verwunderlich, dass Erkenntnisse mitunter später korrigiert, ergänzt, teilweise auch widerlegt werden. Aber das geschieht viel seltener, als man den Eindruck hat. Das schöne Beispiel aus der Physik: Die Newton’sche Theorie ist ja, entgegen gern kolportierter Meinungen, auch nicht durch die Einstein’sche Relativitätstheorie widerlegt worden, sondern diese ist eine Verfeinerung, die derzeit gültig erscheint. Die Newton’sche Theorie ist eine sehr, sehr gute Näherung für Geschwindigkeiten, die deutlich unterhalb der Lichtgeschwindigkeit sind, und das sind die meisten im Alltagsleben. Insofern ist sie nach wie vor vollkommen praktisch in jedem Sinne und ihre Ergebnisse sind in den meisten Fällen problemlos anwendbar. Deshalb lernt man sie ja auch noch in der Schule. Ernsthafte Wissenschaft behauptet auch gar nicht, dass ihre Theorien wahr sind. Wahrheit ist ein philosophischer Begriff, der in den Naturwissenschaften vermieden wird. Man kann nur sagen, ob zum Beispiel die Relativitätstheorie Ergebnisse liefert, die mit den Messungen übereinstimmen, und das tut sie ganz exzellent. Es kann durchaus sein, dass sie einmal korrigiert wird, aber das ändert nichts daran, dass sie schon jetzt den Großteil aller Beobachtungen exzellent erklärt.

Wie ist das mit dem Zweifel in der Esoterik?

Der Dogmatismus ist ein Charakteristikum in vielen pseudowissenschaftlichen Bereichen. Meistens gibt es einen Guru, der mit einer neuen, einer glänzenden Idee aufgewacht ist, mit einer Theorie, die er dann im Alleingang ausgearbeitet und in Stein gemeißelt hat und an der nichts mehr geändert wird. Das kann man an der Homöopathie schön beobachten: Was Hahnemann gesagt hat, ist für die Homöopathen noch genauso gültig wie vor 200 Jahren. Da gibt es keinen Fortschritt, keine Veränderung, da gibt es nur ein Wiederholen des ständig Selben, das im Grunde schon lange widerlegt ist.

Gerade in Österreich sollen ja die Geschäfte mit der Esoterik boomen, warum?

Österreich ist in der Tat bekannt für eine stark ablehnende Haltung der Wissenschaft gegenüber, wie sich in europaweiten Umfragen zeigt. Warum das so ist, darüber kann ich nur spekulieren. Vielleicht die Vertreibung der Intelligenz in den 1930er Jahren? Aber da wäre ja Deutschland auch betroffen, und dort scheint es mit der aktiven Kritikfähigkeit doch besser bestellt zu sein.

Was haben Sie und die Skeptiker bisher mit ihren Aktivitäten erreicht, zu denen ja auch die jährliche humorige Verleihung des Goldenen Brettes für besonders unsinnige oder gefährliche pseudowissenschaftliche Aktivitäten gehören?

Ein kritischer Zeitungsartikel hat wohl dazu beigetragen, dass der unsägliche Feng-Shui-Kurs an der Donau-Uni sanft entschlafen ist. Die Wiener Arbeiterkammer hat uns eingeladen, kurze Texte zu modernen Formen der Esoterik zu verfassen. Die wurden später über Umwege an sämtliche Wiener Schulen verteilt. Die Homöopathen haben getobt, das war lustig. Eine Aids-Leugnerin hatte sich bei einer Konferenz für Wissenschaftskommunikation als Rednerin eingeschlichen. Nach unserer Intervention wurde sie prompt wieder ausgeladen. Ein Hightech-Quacksalber sollte an einer Podiumsdiskussion mit dem Gesundheitsminister teilnehmen. Nach einem Hinweis, wen man da auf die Bühne holen wollte, wurde er wieder ausgeladen. Auf unsere öffentliche Kritik hin sah sich die Filmproduktionsfirma von P. A. Straubingers Lichtnahrungsfilm gezwungen, den Text auf ihrer Webseite zu ändern und sich bei einem britischen Physiker zu entschuldigen, dem sie zu PR-Zwecken ein verfälschtes Zitat in den Mund gelegt hatte. Auch die Jugendmedienkommission hat auf unsere Intervention hin ihre Beschreibung von Straubingers Film geändert und deutlich kritischer gestaltet. Herr Straubinger hat übrigens 2012 das Goldene Brett verliehen bekommen.
Der Wiener Stadtschulrat hat nach unserem Protestschreiben die Wiener Volksschulen informiert, dass er den Besuch der "Energethikerstadt" (eine esoterische PR-Veranstaltung der Energethikerbranche) durch Volksschulklassen nicht unterstützt. Die Uni Wien hat auf unsere Intervention hin einen kinesiologischen "Brain-Gym" Kurs am Universitätssportinstitut abgedreht. Einige von uns wurden zu Vorträgen, Interviews und Radio- sowie TV-Auftritten eingeladen. Etliche unserer publizierten Beiträge dienen als Literaturquellen für die Wikipedia, das esoterikkritische Wiki Psiram und für kritische Berichte in den Massenmedien. Und unser Blog hat über 1000 Hits pro Tag. Dort informieren wir, wie erwähnt, über die Pseudowissenschafts- und Esoterik-Szene, kritisieren ihre Auswüchse aus wissenschaftlicher Sicht und berichten über aktuelle Ereignisse und Kontroversen, speziell in Österreich.

Print-Artikel erschienen am 2. November 2013
In: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 9-12