Alkohol ist eben nicht nur eine der ältesten Drogen der Menschheit, sondern auch eine "der gefürchtetsten", wie Michael Musalek sagt, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Primar des Anton-Proksch-Instituts, dessen Zentrale in Kalksburg liegt, die ehemalige "Trinkerheilstätte",  die heute als "Sonderkrankenhaus für alle Arten der Abhängigkeit" geführt wird. Auf dem Weg zu seinem Büro durchquert man den Aufnahmebereich des Krankenhauses in der Gräfin Zichy Gasse in Wien Liesing, eine Wartezone mit Tischen, auf denen demonstrativ Mineralwasserflaschen stehen, vorbei an den Schaltern, an denen sich Patienten an- und abmelden, oder an denen Medikamente ausgegeben werden. Ehe man das Direktionsbüro betritt, bekommt man zumindest eine vage Ahnung von den Schattenseiten der Droge. Die Menschen, die hier sitzen und warten, verbreiten keineswegs eine vergnügte, ausgelassene Stimmung.
"Das Problem", sagt Michael Musalek, "ist die Fähigkeit, mit der Droge umzugehen." Heutzutage werde ein großer Aufwand betrieben, um Menschen zum Beispiel in die Lage zu versetzen, ein Auto zu lenken. Der Umgang mit Alkohol wird hingegen immer noch informell erlernt und es gebe zu wenig zuverlässige Informationen, und das obwohl die Menschen in Österreich immer früher mit der Droge in Kontakt kommen, mittlerweile bereits zwischen dem elften und dem dreizehnten Lebensjahr.

Die Wirkungen von Ethanol sind vielfältig. Auf der psychischen Ebene gibt es zunächst eine angenehme Wirkung, enthemmend, angstlösend, euphorisierend, anästhetisierend. "Bei höherer Dosierung", schränkt Michael Musalek sofort ein, "ergeben sich dann aber Depression und Müdigkeit." Eine Beobachtung, die Gastwirt Anton F. Abend für Abend bestätigt sieht. Dabei entsteht ein Teufelskreis, ergänzt der Arzt. Wenn die angenehmen Kurzzeiteffekte in Depression umschlagen, dann wird diese wieder mit Alkohol bekämpft.

Auf der körperlichen Ebene "wirkt Alkohol durchaus schädigend", fährt der Primar fort. "Die Mär, dass Alkohol gesund macht, ist eine Mär, die allerdings immer wieder verbreitet wird." Auf der einen Seite würden Studien veröffentlicht, denen zufolge Männer, die regelmäßig Alkohol trinken, gesünder wären als Abstinenzler. Allen diesen Studien liegt allerdings immer derselbe systematische Fehler zugrunde, weil sie in Ländern gemacht werden, in denen Alkohol einen hohen kulturellen Stellenwert hat und daher die meisten gesunden Männer Alkohol konsumieren. Außerdem halte sich hartnäckig das Gerücht von den "kardioprotektiven Wirkungen" vor allem des Rotweins, also seiner gegen Herzkrankheiten vorbeugenden Wirkung. Die einschlägigen Stoffe seien allerdings so nieder dosiert, dass man große Mengen zu sich nehmen und sich damit allen schädlichen Nebenwirkungen des Alkohol aussetzen müsste.

Lebenselixier?

"Nein, Alkohol ist nie gesund", sagt Michael Musalek bestimmt. "Er muss aber auch nicht krank machen, so lange man bestimmte Spielregeln einhält." Dabei geht es vor allem um die Dosierung. Ein Glas Wein pro Tag oder zwei kleine Gläser Bier (siehe Kasten) gelten als unbedenklich, sofern man pro Woche an mindestens zwei Tagen gar keinen Alkohol zu sich nimmt. Ab einem Konsum von 420 Gramm Ethanol pro Woche, was etwa einer Bouteille Wein pro Tag entspricht, sind gesundheitliche Schäden unvermeidlich. (Der Umkehrschluss, den man zu Zeiten von Ludwig Prokopp, dem legendären Sportmediziner und Autor von "Lebenselixier Wein", gezogen hat, dass eine Flasche Wein pro Tag gesund wäre, ist natürlich nicht haltbar.)

Über die schädlichen Wirkungen eines höher dosierten Konsums bestehen medizinisch keine Zweifel. Und die treten ein, noch lange bevor das Stadium der Alkoholkrankheit im engeren Sinn, also der Sucht, erreicht ist. (Über diesen Teil des Problems wissen die Gäste, die sich an der Theke des Anton F. versammeln, meistens erst sehr spät Bescheid, viel zu spät.) "Alkohol schädigt alle Systeme des menschlichen Körpers", so Musalek. "Leber, Bauchspeicheldrüse, Magen-Darm-Trakt, Herz-Kreislaufsystem, Haut, Nerven, Knochen." Zu den Folgewirkungen eines Alkoholkonsums jenseits der Grenze, die als harmlos gesehen wird, gehören Gastritis,  Entzündungen der Leber und Bauchspeicheldrüse, manche Formen von Diabetes sowie ein erhöhtes Risiko, an bestimmten Arten von Krebs zu erkranken (Rachen, Kehlkopf, Speiseröhre, Magen, Leber, Brust), oft auch in Zusammenhang mit alkoholbedingtem Übergewicht. Daran kann kein Zweifel bestehen.