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Wie Gewalt in der Schule sinkt

Von Heiner Boberski

Wissen
Aggression im Klassenzimmer hat viele Gesichter - und ist reduzierbar.
© 2/SW Productions/Ocean/Corbis

Gespräch mit der Wiener Bildungspsychologin Christiane Spiel über professionelles Lehrerverhalten.


Wien. Verbale Aggression lässt sich in einer guten Unterrichtsstruktur reduzieren und in den Griff bekommen, physische Aggression hingegen kaum. Und: Eine gute Unterrichtsstruktur wirkt sich nicht nur auf die schulischen Leistungen, sondern auch auf das Sozialverhalten positiv aus. Das geht aus einer Studie von Psychologinnen der Universitäten Wien und Utrecht um Evelyn M. Bergsmann hervor, die im "Journal of School Psychology" erschienen ist. Die an der Studie beteiligte Wiener Bildungspsychologin Christiane Spiel nannte im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" die zum Teil erstmals gewonnenen Ergebnisse der Studie eine "wichtige Botschaft" für das Konzept der Ausbildung und Weiterbildung von Lehrpersonen.

Weiterbildung diene oft nur der "Reparatur", wenn Probleme schon manifest seien, so Spiel mit Bezug auf das Phänomen Gewalt in der Schule. Darum wäre es gut, wenn Lehrerinnen und Lehrer "schon in der Grundausbildung gelernt hätten: Wie verhindere ich Gewalt, wie fördere ich soziale Kompetenz, wie führe ich eine Klasse gut?"

Aus Sicht von Christiane Spiel bringt die Studie erstmals zwei verschiedene Forschungsschwerpunkte zusammen. Dass durch eine gute Unterrichtsstruktur die Leistungen der Schüler besser werden, haben Studien bereits aufgezeigt, nun wollte man in einer Längsschnittstudie mit 1680 Schülerinnen und Schülern die Hypothese überprüfen, ob dadurch auch der Umfang an Aggression zurückgeht. Dabei zog man die wahrscheinlich "schwierigste" Altersgruppe, die 10- bis 15-Jährigen, heran und ließ die Probanden zweimal, im Abstand von neun Monaten, Fragebogen ausfüllen.

Im Sinne einer guten Unterrichtsstruktur gehe es vor allem darum, Bedingungen zu schaffen, dass die Schülerinnen und Schüler selbst reguliert arbeiten können und ihre Bildungsmotivation aufrecht bleibt. Die Studie, so Spiel, orientierte sich an jenen drei Dimensionen, welche die Expertin Mary Ames 1992 in ihrem Modell für hohe Lehrqualität vorgab: Aufgabenstellung, Autorität und Bewertung/Anerkennung. Alle diese Bereiche seien als Gesamtheit zu sehen, betont Spiel, nichts davon sollte weggelassen werden.

Wenn es um Aggression geht, müsse man zwischen körperlicher und verbaler Aggression unterscheiden. Es gebe 10- bis 15-Jährige, die andere grob beleidigen oder üble Verleumdungen ins Internet stellen, und es gebe solche, die andere schlagen. Dabei ging es in der Studie, wie Spiel betont, nur um die Situation in der Klasse: "Der wesentliche Punkt ist: Kann ich trotz anderer Bedingungen außerhalb der Schule - es kann sein, dass das Kind zu Hause geprügelt wird oder was auch immer passiert - einen Effekt erzielen? Ist es trotzdem möglich, die Aggression im Klassenzimmer zu reduzieren - hier und jetzt? Das heißt, ich blende anderes aus. Und es macht Sinn, dass ich das reduziere."

Ihr Fazit der Studie: "Die verbale Aggression ist heruntergegangen. Für die, die auch physisch sehr aggressiv sind, brauche ich allerdings - das würden auch Kinder- und Jugendpsychiater sagen - spezielle Maßnahmen. Das Verbale ist jedoch etwas, wo sich alle beteiligen. Das hat schon mit der Einstellung der Klasse zu tun, wenn der Lehrer sagt: ,Wir wollen wertschätzend miteinander umgehen, und ich mag das und das nicht.‘" Das heißt, bei einer entsprechenden Unterrichtsstruktur nimmt Gewalt in der Klasse ab, ohne dass dafür noch spezielle Maßnahmen gesetzt werden müssen.

Schulklima und Lernfreude

Wesentlich dafür sei, so Christiane Spiel, "ein professionelles Lehrerverhalten: gute Vorbereitung, nachvollziehbare Aufgaben, ein wertschätzender und ermutigender Umgang mit den Kindern oder Jugendlichen, Anerkennung, wenn sich Schüler verbessern, konstruktives Feedback." Diese Faktoren müssten in der Ausbildung und Weiterbildung von Lehrern besonders berücksichtigt werden. Die Möglichkeit, Gewalt in der Schule zu reduzieren, sei "schon eine wichtige Botschaft", betont Spiel: "Denn wenn Gewalt da ist, dann muss ich mehr ermahnen und komme weniger zum Unterrichten. Und wir wissen ja auch, dass eine hohe Gewaltrate in Schulen dazu führt, dass Kinder weniger gerne in die Schule gehen, dass das Klassenklima schlechter ist und dass die Schüler dann weniger lernen."