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Eine gegen (fast) alle

Von Alexandra Grass

Wissen
Der Wirkstoff hindert die Proteine Myc (rot) und Max (blau) daran, an der DNA anzudocken.
© Wikimedia

Neue Substanz im Kampf gegen den Krebs ist laut Experten sehr vielversprechend.


Wien/Innsbruck/La Jolla. Schon seit Jahren steht das sogenannte Myc-Protein als wichtiger Akteur beim Zellwachstum im Fokus der Krebsforschung. Nun ist es US-amerikanischen Forschern in Zusammenarbeit mit einem Team der Universität Innsbruck erstmals gelungen, dieses Krebsprotein zu hemmen und damit das Tumorwachstum zu stoppen. Die Forscher halten damit eine mögliche Waffe gegen fast alle Krebsarten in der Hand.

Denn anders als ein Chemotherapeutikum richtet sich die neue Substanz (KJ-pyr-9) nicht an eine spezifische Tumorzelle in Brust, Lunge oder Darm, sondern beeinflusst einen Universalgenschalter, der im menschlichen Organismus das Zellwachstum reguliert. "Gerät dieses Myc-Gen außer Kontrolle und ist damit permanent aktiv, kann es zur Entstehung eines Tumors kommen", erklärt Klaus Bister vom Institut für Biochemie an der Universität Innsbruck im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Genschalter außer Betrieb

Um in der Zelle Gene ab- und anschalten zu können, benötigt Myc jedoch ein Partnerprotein - nämlich Max. Nur wenn es sich mit diesem verbindet, kann es an das Erbgut andocken. Und genau hier setzt der neue Wirkstoff an. Er hemmt die Partnerbildung, wodurch der Genschalter quasi außer Betrieb gesetzt wird und eine Bindung an die DNA erfolglos bleibt. Weil Tumorzellen besonders viel Myc produzieren, setzt der Wirkstoff sehr gezielt in diesen Zellen an.

Gefunden wurde die neue Substanz in einer Bibliothek von hunderten von potenziell bioaktiven Molekülen, die Chemiker am Scripps Research Institute in La Jolla, Kalifornien, synthetisiert hatten. In Zellkulturstudien und Tiermodellen konnten die Wissenschafter zeigen, dass insgesamt vier verschiedene sogenannte Pyridin-Verbindungen die Interaktion zwischen den Proteinen Myc und Max stören. Eines dieser Moleküle hat sich schließlich als besonders potent erwiesen.

Hierbei gelte es jedoch, vorsichtig zu handeln. "Der menschliche Organismus benötigt den Universalgenschalter Myc, um leben zu können", betont Bister: Das generelle Ausschalten des Proteins würde bedeuten: Operation gelungen, Patient tot. Deshalb sei es jetzt Aufgabe, der Wissenschaft, die richtige Dosis zu finden, um speziell gegen Tumoren vorzugehen.

Vorteil des neuen Inhibitors (Hemmstoffes) sei eine große Wirkung bei geringer Menge, wie die Wissenschafter des Scripps Research Institute bereits an Mäusen testen konnten. Ihren Versuchstieren injizierten sie menschliche Brustkrebszellen, um Tumore zu entwickeln. Schon etwa eine Woche nach Verabreichung der vielversprechenden Substanz habe der Krebs nicht nur zu wachsen aufgehört, sondern hätte sich sogar zurückentwickelt, berichtet Bister. Davor sei sie bei Mäusen mit Lungenkrebs und bestimmten Leukämiearten getestet worden.

KJ-pyr-9 sei bereits in geringer Konzentration wirksam und damit bisher bekannten Hemmstoffen auch in der Zahl der Nebenwirkungen weit überlegen. "Der Wirkstoff ist sehr vielversprechend und wird sicher das Interesse der Pharmaindustrie wecken", ist der Biochemiker überzeugt. Die Innsbrucker Forscher haben die Substanz in speziellen Zelllinien untersucht und ihre Wirkung direkt in der Zelle nachgewiesen.

Bevor Patienten davon profitieren können, wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Doch der Schritt aus der Grundlagenforschung heraus scheint schon erfolgt zu sein, wie auch Bister zu verstehen gibt. Den Forschern zufolge ist die Basis für mögliche therapeutische Entwicklungen jetzt gelegt.

In Kombination

In der aktuellen Ausgabe des Fachblatts "Proceedings of the National Academy of Sciences" betonen die Wissenschafter allerdings auch, dass es sich dabei um eine krebshemmende, jedoch nicht krebstötende Substanz handelt. Um eine Heilung zu erzielen, werde man nicht umhinkommen, sie in Kombination mit anderen möglichen zielgerichteten Wirkstoffen einzusetzen, heißt es in der Publikation. Die US-Forscher haben bereits Tests an weiteren Tiermodellen angekündigt.