Zum Hauptinhalt springen

Komplementär gegen Krebs

Von Alexandra Grass

Wissen
Wenn Schul- und Komplementärmedizin Hand in Hand gehen.
© Corbis/Elmira Amirova

Verbesserung der Lebensqualität führt zu Therapietreue und vermutlich auch zu einer Lebensverlängerung.


Wien. Das Immunsystem besitzt mit seinen Killerzellen die Fähigkeit, krankhaft veränderte Körperzellen zu erkennen und zum Wohle der Gesundheit effizient aus dem Weg zu räumen. Dies passiert tagtäglich in unserem Organismus. "Bei an Krebs Erkrankten ist es jedoch so, dass diese Fähigkeit an einem Punkt oder in einem System des Körpers versagt", beschreibt Michael Frass, Leiter der Spezialambulanz "Homöopathie bei malignen Erkrankungen" an der Klinik für Innere Medizin I im Wiener AKH den Knackpunkt der Krebsentstehung. Die natürlichen Killerzellen sind dann in ihrer Zahl und Aktivität reduziert.

Während es das Ziel der konventionellen Medizin ist, mit Chemotherapie, Strahlen und chirurgischen Eingriffen den Tumor gezielt zu treffen, bietet die Komplementärmedizin begleitend dazu unterstützende Maßnahmen, die während und nach diesen den Körper massiv belastenden Behandlungen vor allem zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen. Auch gebe es bereits Hinweise darauf, dass ein Mehr an Lebensqualität verglichen mit der erwarteten Lebenszeit eine Lebensverlängerung mit sich bringt, betont der Mediziner. Eine entsprechend umfangreiche Studie führt Frass derzeit in Zusammenarbeit mit mehreren heimischen Kliniken an der Meduni Wien durch.

Nebenwirkungen lindern

Mit komplementärmedizinischen Maßnahmen wie dem Einsatz von Pflanzenextrakten, Enzymen, Vitaminen, Spurenelementen, Traditioneller Chinesischer Medizin, aber auch der Homöopathie, ist es möglich, Nebenwirkungen der konventionellen, schulmedizinischen Therapien zu lindern. Vorwiegend sind dies Übelkeit, Müdigkeit (Fatigue-Syndrom), Hautausschläge, Gefühlsstörungen an Händen und Füßen (Polyneuropathie) sowie der Abfall der Zellzahlen im Immunsystem (Leukopenie). Auch können Schmerzen reduziert und Zweiterkrankungen schneller geheilt werden.

Ziel ist es überdies, den Körper "wieder so in die ursprüngliche Form zu versetzen, dass er imstande ist, sich wieder selbst gegen Krebszellen zu wehren", betont Frass im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Jede komplementärmedizinische Methode bewirkt dies jedoch auf unterschiedliche, oft auch ergänzende, Art und Weise.

Einen der Schwerpunkte in der Begleitung von Krebspatienten bildet die meistens hoch dosierte Verabreichung von Vitaminen, Spurenelementen, Aminosäuren und Fettsäuren - die orthomolekulare Medizin. Für einen reibungslosen Ablauf der Stoffwechselvorgänge im Körper sind diese Substanzen unentbehrlich.

Hier kommt vor allem der Selentherapie eine besondere Rolle zu. In Form von Natriumselenit ist dieses Spurenelement in der Lage, die durch Chemo- und Strahlentherapie vermehrt entstehenden freien Radikale weitgehend zu neutralisieren. In gesunden Zellen rufen diese sogenannten freien Radikale, das sind chemisch hochreaktive Sauerstoffmoleküle, die auch der gesunde Körper tagtäglich produziert, Entartung, Funktionsverlust und Entzündungsreaktionen hervor. Bestimmte durch das Selen aktivierte Enzyme können die gesunden Körperzellen davor schützen.

Selen, Vitamin C, Enzyme

Bei Tumorzellen hingegen reduziert das hoch dosiert zugeführte Natriumselenit erheblich den Schutzmechanismus und macht diese damit auch anfälliger gegenüber Chemotherapeutika und Strahlen. Der unterschiedliche Effekt liegt vor allem in den unterschiedlichen Stoffwechselvorgängen und Regenerationsmechanismen von gesunden und Krebszellen begründet, erklärt der Wiener Komplementärmediziner und Allgemeinarzt Christian Plaue. Weitere Vorteile von Selen sind die Stabilisierung des Immunsystems und die Reduktion von Nebenwirkungen.

Auch Ascorbinsäure (Vitamin C) kann eine Krebsbehandlung unterstützen. Dieses Vitamin ist nicht nur für die Wundheilung nach Operationen, sondern auch die Regeneration wichtig, betont Plaue. Es dürfe jedoch nie gleichzeitig mit Natriumselenit verabreicht werden, da Vitamin C dessen Wirkung aufhebt, warnt der Mediziner. Hoch dosiertes Vitamin C ist auch in der Lage, den durch eine Chemotherapie stattfindenden Abfall der weißen Blutkörperchen einzudämmen.

Eine weitere Begleitung stellt die Enzymtherapie dar. Die natürlichen Killerzellen werden stimuliert und das Risiko zur Entstehung von Metastasen kann damit verringert werden. Enzympräparate bestehen vor allem aus Bromelain, Papain, Trypsin und Chymotrypsin. Sie verbessern die Fließeigenschaften des Blutes, machen die Tumorzellen erkennbarer und erhöhen die Verträglichkeit von Chemo- und Strahlentherapie.

Einen wesentlichen Anteil an einer effektiven Behandlung haben auch die Bereitstellung von Nährstoffen wie Vitaminen und Spurenelementen und ihre Zusammensetzung, betont der deutsche Ganzheitsmediziner Marcus Stanton. Denn diese wirken unmittelbar auf den Zustand der Zelle und damit auf die Mitochondrien - die Zellkraftwerke - ein.

Das Kraftwerk der Zelle

Durch krankmachende äußere und innere Einflüsse werden die Mitochondrien geschädigt. Je nach Gewebe besitzt der Mensch pro Zelle 800 bis 12.000 solcher Kraftwerke. "Schwermetalle, Gifte, freie Radikale, bestimmte Arzneien und eine mangelnde Nährstoffversorgung setzen deren Funktionen herab", erklärt Stanton. Durch den richtigen Impuls könnten diese Mitochondrien jedoch wieder angeschaltet werden.

Dabei zielt Stanton auf Nahrungsergänzungsmittel ab, die der durch eine Krebsbehandlung meist gestörte Darm auch tatsächlich verwerten kann. Diese sogenannte Bioverfügbarkeit hat etwa der deutsche, 2003 verstorbene Apotheker Hans Niedermaier durch spezielle Verarbeitungsschritte - die Kaskadenfermentation - erreicht. Seinen Anweisungen zufolge werden auch heute noch für die enzymreiche Nährstoffmischung "Regulatpro Bio" Früchte, Nüsse und Gemüse stufenweise mit Milchsäurebakterien vergoren, wodurch die Stoffwechselprozesse im Körper wieder ins Lot gebracht werden können, erklärt Stanton.

Neben dem Einsatz von speziellen Nahrungsergänzungsmitteln setzt die Komplementärmedizin auch auf Maßnahmen wie die Misteltherapie. Die Mistel enthält Stoffgruppen, die im Körper einerseits zu einer Anregung des Immunsystems führen und andererseits zerstörerisch auf die Tumorzellen einwirken. Die Anwendung während einer Chemo- und Strahlentherapie verbessert das Abwehrsystem, vermindert die Nebenwirkungen der Zytostatika, verbessert die Rehabilitation und wirkt schwach schmerzlindernd.

Bonus Homöopathie

Michael Frass setzt in seiner Behandlung vor allem auf die Homöopathie. Nach einer genauen Anamnese, bei der alle akuten, früheren und Familienerkrankungen, vegetative Symptome, die psychische Situation sowie das private und berufliche Umfeld beleuchtet werden, wählt der Homöopath das geeignetste Mittel. Dadurch können vor allem Nebenwirkungen gelindert und Zweiterkrankungen (etwa auftretende Infekte) bekämpft werden. So kommt etwa das bewährte homöopathische Mittel Nux Vomica (Brechnuss) vorwiegend bei Magen-Darm-Beschwerden zum Einsatz. Mit Cadmium sulfuricum können strahlenbedingte Entzündungen der Haut sowie Schwäche und Müdigkeit gelindert werden, nennt Frass zwei Beispiele. Er spricht von einem "dualen System, das man hier zum Wohle des Patienten anwenden kann".

Bei den Betroffenen führen Behandlungen wie diese vor allem zur Verbesserung des subjektiven Befindens und damit zur Hebung der Lebensqualität. Immerhin beendet ein erheblicher Anteil der Krebspatienten wegen der Nebenwirkungen die Behandlung und riskiert damit ein schlechteres Therapieergebnis - im schlimmsten Fall den früheren Tod, wie eine zuletzt beim Europäischen Krebskongress vorgelegte britische Studie zeigt. "Aus dieser Studie geht hervor, dass die Verabreichung und Verschreibung von unterstützenden, supportiven, Therapien und ihre Befolgung durch Patienten essenziell sind", betonte Christoph Zielinski, Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie (Meduni Wien) beim Kongress.

Wenn komplementärmedizinische Methoden dazu beitragen können, die konventionelle Behandlung in optimaler Dosierung und Zeitabfolge durchführen zu können, dann haben sie wohl auch in der Krebstherapie klar ihre Berechtigung.

Websites
www.komplementaer-gegen-krebs.at
www.leben-mit-krebs.at