Wien. Den Stammbaum der vielfältigsten Tiergruppe der Erde, jener der Insekten, hat ein Forscherteam mit österreichischer Beteiligung so genau wie nie zuvor gezeichnet. "Damit konnten etwa die Schlüsselereignisse der Insekten-Evolution genau datiert werden", sagt Nikolaus Szucsich vom Naturhistorischen Museum (NHM) Wien. Die Studie wurde im Fachjournal "Science" veröffentlicht.

Für das Großprojekt "1KITE" (1000 Insect Transcriptome Evolution) verglichen Forscher unter der Leitung von Bernhard Misof (Zoologisches Forschungsmuseum, Bonn, Deutschland), Karl Kjer (Rutgers Universität, USA) und Xin Zhou (Beijing Genomics Institute, China) die Sequenzen 1478 aktiver Gene in 144 Arten sämtlicher Insektenordnungen. Mit diesen Daten erstellten sie einen Stammbaum, dessen "molekulare Uhr" sie mit vorhandenen Fossilfunden kalibrierten. Unter den 131 Autoren sind neun Österreicher von der Universität Wien, der Medizinischen Universität Wien und dem NHM Wien.

Dabei verlegten sie gegenüber früheren Abschätzungen das Zeitfenster "um einiges" nach vorne, in dem die Insekten vom Meer aus Land und Süßwasser erobert hatten, so Szucsich: "Bis jetzt wurde der Landgang der Pflanzen weit vor jenem der Insekten datiert, doch es scheint, dass dies - ein paar Millionen Jahre auf oder ab - etwa zur selben Zeit passierte."

Artenreichste Tiergruppe


Die ersten Insekten entstanden laut den Analysen vor 480 Millionen Jahren im frühen "Ordovizium". Fliegen lernten manche von ihnen im Devon vor 400 bis 410 Millionen Jahren. "Die nächste Tiergruppe, die sich in die Lüfte erhob, waren 200 Millionen Jahre später die Pterosaurier, die Insekten waren bis dahin quasi die alleinigen ,Herrscher der Lüfte‘", so Szucsich. Im "Mississippium" vor rund 350 Millionen Jahren entstand schließlich ihre "indirekte Entwicklung" - also dass sie zunächst ein Larvenstadium durchlaufen, das völlig anders aussieht als das erwachsene (adulte) Tier. Das bekannteste Beispiel dafür ist wohl die Entwicklung des Schmetterlings aus der Raupe.

Da Insekten mit Abstand die artenreichste und vielfältigste Tiergruppe sind - auf jede Wirbeltierart kommen 200 Insektenarten -, seien sie ideale Modelle für evolutionsbiologische Fragestellungen, erklärte Günther Pass vom Department für Integrative Zoologie der Uni Wien. Außerdem hätten sie als Bestäuber und Überträger von Krankheiten "immense wirtschaftliche und medizinische Bedeutung". Es wäre "ein Anliegen" gewesen, die "lange Zeit vernachlässigte genetische Vielfalt der Insekten zu analysieren", so die Leiter der Studie.