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Unter Freuds Freunden

Von Klaus Stimeder

Wissen
Für sein Fotobuch "Fifty Shrinks" hat er 13 Jahre lang Kolleginnen undKollegen in der ganzen Stadt an ihren Arbeitsplätzen aufgesucht undporträtiert.
© Foto: Sebastian Zimmermann

Der in New York praktizierende deutsche Psychiater Sebastian Zimmermann hat einen faszinierenden Fotoband mit Porträts seiner Kollegen veröffentlicht.


New York. Kaum jemand kennt das Innenleben New Yorks besser als seine Psychiater und Psychoanalytiker. Die Arbeit dieser in der größten Stadt Amerikas liebevoll "Shrinks" genannten Menschen spielt sich indes nahezu im Geheimen ab. Das zu ändern schickt sich jetzt Sebastian Zimmermann an. Der 53-Jährige Deutsche arbeitet seit dem Jahr 2001 selber als Psychiater mit eigener Praxis auf Manhattans Upper West Side. Für sein Fotobuch "Fifty Shrinks" hat er 13 Jahre lang Kolleginnen und Kollegen in der ganzen Stadt an ihren Arbeitsplätzen aufgesucht und porträtiert. Heraus kamen so einfühlsame wie überraschende Einblicke in das Seelenleben derer, deren Arbeit sonst darin besteht, für das Seelenheil ihrer Patienten zu sorgen.

Wiener Zeitung: Herr Zimmermann, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihre Kolleginnen und Kollegen an ihren Arbeitsplätzen zu fotografieren?

Sebastian Zimmermann: Im Jahr 2001, als ich anfing, meine psychiatrische Praxis in New York aufzubauen. Ich fand Spaß an der Fotografie, die es mir erlaubte, nebenher künstlerisch tätig zu sein. Als Psychiater und Psychotherapeut ist mein Hauptwerkzeug die Sprache: Ich höre genau hin und nehme dabei viel in mir auf. Als Fotograf dagegen bewege ich mich in einer non-verbalen Sphäre. Nach einem langen Arbeitstag im Büro ist mein Hörsinn oft ermüdet, aber mein visueller Instinkt ist noch hellwach und will zur Geltung kommen. Als ich eines Abends meine Praxis verliess und in einem Taxi zu einem Vortrag im International Center for Photography fuhr, stellte sich plötzlich die Idee ein, Psychotherapeuten in ihren Büros zu fotografieren.

Als ich anfing nachzuforschen, fand ich Fotobücher über Künstler in ihren Ateliers, Schriftsteller in ihren Arbeitszimmern, Wissenschaftler in ihren Laboratorien. Aber ich konnte kein Fotobuch über Therapeuten finden. Auf der anderen Seite war mir schon länger aufgefallen, dass es viele Filme gibt, in denen Psychotherapeuten als fiktive Darsteller vorkommen, aber dann leider oft klischeehaft verzeichnet werden. Ich glaube, dass der Beruf des Psychoanalytikers noch immer von einer Art Aura umgeben ist, von einem Schleier der Undurchsichtigkeit.

Die Arbeit an "Fifty Shrinks" hat 13 Jahre gedauert. Wie schwer war es, die Leute vor die Kamera zu bekommen?

Die Tatsache, dass ich selber Psychiater bin, ist mir zweifellos zugute gekommen. Meine Kollegen vertrauten mir, weil sie wussten, dass ich mich in ihre Haut versetzen konnte. Ich fing also an, meine Freunde und Zimmer-Nachbarn zu fotografieren und sie hatten absolut nichts dagegen. Schon bald fand ich mich dann in den Büros von namhaften Persönlichkeiten wieder. Ich trieb mein Projekt hauptsächlich über Mundpropaganda voran. Wenn ich gerade jemand fotografiert hatte, hiess es oft: "Du solltest diesen oder jenen Analytiker aufsuchen. Der hat ein interessantes Gesicht oder sie hat ein ungewöhnliches Büro". Wenn ich allerdings jemand anrief, ohne eine Empfehlung zu haben, konnte ich mir bei der Beschreibung meines Projekt noch soviel Mühe geben und es hat nicht geklappt.

New York gilt als Hauptstadt der Psychiater und Psychoanalytiker. Leben hier mehr Leute mit Problemen als anderswo? Oder gibt es hier einfach nur genug Menschen mit Geld, die sich ihren eigenen "Shrink" nicht nur leisten können, sondern auch wollen?

Es stimmt, dass New York eine der letzten Hochburgen der Psychoanalyse ist. Die Stadt ist voll von Therapeuten. Sie wird dabei vielleicht nur von Buenos Aires übertroffen, wo angeblich selbst die Taxi-Fahrer ihren eigenen Psychoanalytiker haben. Das soll aber nicht heissen, dass die Menschen in New York mehr Probleme haben als in anderen Metropolen. Mit Sicherheit ist New York ein sehr stressiges Pflaster. Wir hatten 9/11, es gibt einen permanenten, enormen Druck und viele Menschen haben das Gefühl, dass sie gerade mal so überleben statt zu leben.

Ich glaube, dass die Menschen in New York eher dazu neigen, sich emotionale Hilfe beim Fachmann zu holen, wenn sie erkennen, dass sie das brauchen. Es hat sich einfach herumgesprochen, dass es okay ist, und dass man sich nicht dafür schämen muss. Wenn ein Freund den anderen fragt: "Was machst du jetzt?" und die Antwort ist: "Ich geh zu meinem Therapeuten", dann wird das akzeptiert, ohne dass einer die Augenbraue hochzieht. Manchmal bin ich in New York auf einer Party und jemand erzählt mir, welche Medikamente er gegen Depression oder Angst nimmt, sobald er erfährt, dass ich Psychiater bin. Ich empfinde diese Art von Offenheit als etwas Fortschrittliches.

Sie selbst betreiben seit 14 Jahren eine Praxis auf der Upper West Side. Was haben Sie bei der Arbeit an "Fifty Shrinks" über die Rolle des Interieurs ihres Arbeitsplatzes gelernt?

Die psychotherapeutische Praxis ist ein ganz besonderer Raum. Zwei Menschen treffen sich hier regelmäßig zu einer vereinbarten Zeit. Am Anfang sind sie sich einander völlig fremd, dann erzählt der eine dem anderen vertrauliche Geschichten, enthüllt seine Gefühle und Schwierigkeiten. Der Andere hört zu und versucht mit der Zeit, heilend tätig zu werden.

Bei meinen Kollegen gab es viele Bücher und Statuetten – man denke an Freuds Büro in der Berggasse 19 –, Antiquitäten, Perser-Teppiche, afrikanische Masken an den Wänden. Allerlei Pflanzen, darunter bevorzugt Orchideen, beruhigende Landschaftsmalerei et cetera. Einige Therapeuten waren Kunstsammler, Maler oder Bildhauer und stellten ihre Sammlungen, Kunstwerke oder Mitbringsel von fernen Reisen zur Schau. Das Hauptanliegen besonders der traditionellen Psychoanalytiker ist, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich der Patient entspannen kann, aber zur gleichen Zeit dazu angeregt wird, seine Gedanken in freier Assoziation schweifen zu lassen. Die Couch ist fast immer da, aber man legt sich nur noch selten flach hin.

In manchen Praxen hatte ich ein so behagliches Gefühl, als säße ich in Mutters Schoss. Dann wiederum gab es auch sehr spartanische, funktional wirkende, fast kalte Raume. An solchen Orten hatte ich das Gefühl, ich könnte mich nirgendwo verstecken. Ich stellte mir vor, dass der Patient keine andere Wahl hat, als tief aus sich selber zu schöpfen, um den sterilen Raum mit etwas Lebendigem – seinem brodelnden Inneren – auszufüllen: Gefühle, Geschichten, Erinnerungen, Fantasien. Als ich einen dieser Therapeuten fragte, was es mit diesem Minimalismus auf sich habe, bemerkte er lapidar: "Der Patient soll durch nichts abgelenkt werden".

Wie sich in den Ihre Bilder begleitenden Geschichten zeigt, unterscheiden sich nicht nur die Möblierung, sondern auch die Zugänge und die Methodik ihrer Kollegen teilweise massiv. Was macht heutzutage einen guten Seelenklempner aus?

Für mich sind Psychotherapeuten eine Mischung von Wissenschaftlern, Humanisten, Künstlern, Dichtern und Zauberern. Manche von ihnen entfalten eine seltsame Art von zwischenmenschlicher Energie, die sich nicht definieren lässt. Diese Faszination und Neugier an dem Beruf dienten mir als Triebfedern zur Umsetzung meines Projekts. Ich glaube, dass die Voraussetzung, ein guter Therapeut zu werden, in einem genuinen Interesse am Menschen liegt. In einer empfindlichen Wahrnehmung von Emotionen, der eigenen und der des Patienten und einer Bereitschaft, die eigenen Gefühle und die von anderen zuzulassen und zu erforschen.

Die Fähigkeit zum wertfreien Zuhören ist extrem wichtig. Das berühmte Credo des brillanten Wiener Psychoanalytikers, Theodor Reik, "Hören mit dem dritten Ohr", hat nach wie vor seine Gültigkeit. Ein begabter Therapeut horcht intuitiv in seine eigenen Gefühle hinein, um die des Patienten besser zu verstehen. Dazu ist es am besten, wenn der Therapeut selber in Therapie war, damit er seine unbewussten Konflikte nicht auf den Patienten überträgt. Es ist so, wie mir ein Mentor mal erklärt hat: "Ein Therapeut, der nie selber in Therapie war, ist wie ein Schwimmlehrer, der nicht schwimmen kann."

"Fifty Shrinks"