Zum Hauptinhalt springen

Wenn Musik zur Sprache kommt

Von Eva Stanzl

Wissen

Regelmäßiger Musikunterricht verbessert Sprachfertigkeit und Lesefähigkeit von Kindern.


Evanston/Wien. Musik kann die Gehirnentwicklung von Babys im Mutterleib fördern. US-Wissenschafter haben nun herausgefunden, dass die Tonkunst auch die Sprachfertigkeit und die Lesefähigkeit von Kindern verbessern kann. Die Forscher der Northwestern University nahe Chicago im US-Bundesstaat Illinois haben die Auswirkungen von regelmäßigem Musikunterricht auf die zuständigen Gehirnregionen untersucht und dabei besonderes Augenmerk auf den Effekt einer aktiven Teilnahme gelegt.

Wie sich zeigte, machten jene Schüler, die in Musikstunden mitsangen oder Instrumente spielten, größere Fortschritte in der Sprachverarbeitung und der Lesefähigkeit als jene, die nur passiv im Unterricht saßen oder zuschauten. Das berichtet das Forscherteam im Open Access-Journal "Frontiers in Psychology". "Sogar leichte Veränderungen des Engagements im Unterricht zeichneten sich bei Messungen der neuronalen Verarbeitungszentren, die wir nach den Stunden durchführten, ab", erklärt Erstautorin Nina Kraus, Professorin für Kommunikationswissenschaften an der Schule für Neurobiologie der Northwestern University.

Wie das Rauschen im Radio

Laut den Forschern profitieren zudem jene Gehirnregionen am meisten, die bei sozial benachteiligten Kindern meist schwächer ausgeprägt sind. Kinder aus Familien von niedrigem sozioökonomischem Status verarbeiten Geräusche weniger effizient, so Kraus. Das liege unter anderem daran, dass sie oft in einem lärmigeren Umfeld aufwachsen und weniger komplexe Worte, Sätze und Konzepte zu hören bekommen. Dadurch steige auch die Gefahr, auf akademischer Ebene zu scheitern.

"Neuronaler Lärm kann mit dem Rauschen bei einer Störung im Radio verglichen werden, das die Stimme des Sprechers stört", erklärt die Kommunikationsforscherin. Musiktraining könne einen Weg durch dieses Rauschen bahnen, die Interferenzen entfernen und die Geräuschverarbeitung anspornen. Kraus zufolge ist die Sprachverarbeitung auch deswegen mit der Lesefähigkeit verbunden, weil in beiden ganze Abfolgen in ihre Einheiten zerlegt werden müssen: "Kinder, die schlecht lesen, verarbeiten oft auch Sprache suboptimal."

Auch die Art der Musikstunde scheint eine Rolle zu spielen. Laut den Forschern würden sich die Kompetenzen von Kindern, die Instrumente spielen, stärker verbessern als jene von Kindern, die nur Unterricht in Musikverständnis bekämen. "Unsere Studie zeigt, wie wichtig Erleben und aktive Teilnahme sind, um Veränderungen im Gehirn zu erzielen."

In Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Non-Profit-Organisation "The Harmony Group", die benachteiligte Kinder in Musik unterrichtet, haben sich die Wissenschafter in ihrer Untersuchung auf die unterschiedlichen Lernfortschritte im Rahmen der Musikstunden der NGO konzentriert. Anstatt - wie oftmals üblich - ihre Gehirnaktivität im Zuge des schriftlichen Ausfüllens von Fragebögen zu messen, legte Kraus ihren jungen Probanden Elektroden mit Sensoren an die Köpfe, um deren Gehirnströme direkt erfassen zu können.

Klingende Instrumente

Erst vergangenen Herbst hatte die Forschergruppe im "Journal of Neuroscience" berichtet, dass regelmäßiger Musikunterricht die Gehirne von Kindern regelrecht "umgestalten" könne, weil er die Geräusch-Verarbeitung entscheidend verbessere. Die Forscher lieferten nach eigenen Aussagen damals den ersten direkten Nachweis für die biologische Auswirkung von Musik. Allerdings sind Töne keine Schnellkur: Erst ab zwei Jahren Musikunterricht - nicht etwa einem Jahr - sei der Effekt spürbar geworden und würde sich die Fähigkeit des Gehirns, ähnlich klingende Silben auseinander zu halten, eindeutig verbessern.

Eine andere Studie gibt Kraus und ihren Kollegen Rückenwind: So hatten Forscher der Universitäten Heidelberg und Graz vor wenigen Wochen berichtet, dass Kinder, die ein Instrument lernen, beim Zuhören, Lesen und Rechtschreiben Vorteile hätten und Hyperaktivität und Impulsivität besser kontrollieren könnten.

Das US-Team will als Nächstes den Effekt von Musik, Tönen, Klang und Geräuschen auf das Nervensystem erfassen. "Ein Musikinstrument zu erlernen, kann profunde Auswirkungen auf die Arbeitsweise des Nervensystems haben", ist Kraus überzeugt.