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Therapiekonzepte fruchten

Von Alexandra Grass

Wissen

Experten zählen weniger Krebstote, sehen aber die Patientenbetreuung und Forschung in Gefahr.


Wien. Trotz einer Zunahme der Diagnosen sinken die Todesraten. Diese Entwicklung haben Krebspatienten dem wissenschaftlichen Fortschritt zu verdanken. Einen wichtigen Part dabei übernimmt die Molekularbiologie. Noch nie war die Wissenschaft so komplex und die Diagnosemöglichkeit so vielfältig, betonten am Dienstag heimische Krebsexperten.

Alleine beim Brustkrebs sind mittlerweile mindestens fünf verschiedene Gruppen mit ihren Subtypen bekannt, die unterschiedliche Therapiekonzepte erfordern, skizzierte Günther Steger von der Uniklinik für Innere Medizin I am Wiener AKH. Pro Jahr würden zwei innovative Verfahren Eingang in die Klinik finden. Beim sogenannten HER2-positiven Mammakarzinom konnte die durchschnittliche Überlebensdauer von Frauen mit einer Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium von ehemals 12 bis 18 Monaten auf vier bis fünf Jahre erhöht werden. Immerhin gelinge es schon bei 70 bis 80 Prozent der Frauen, Tumore vor der Operation zu reduzieren oder ganz zu beseitigen. Mit zielgerichteten Therapien soll "so hart wie möglich gegen die Krebszelle und so harmlos wie möglich gegen die gesunde Zelle" vorgegangen werden, so Steger.

Erfolge beim Lungenkrebs

Auch in der Gruppe der hormonabhängigen Tumoren - diese haben 40 bis 60 Prozent der Brustkrebspatientinnen - konnten Erfolge verbucht werden. Durch eine Kombination aus antihormoneller Therapie mit einer immunologischen Substanz (mTOR-Inhibitor) kann die Anwendung einer nebenwirkungsintensiven Chemotherapie deutlich verzögert werden. Durch die neue, orale Therapie kann das Risiko eines Fortschreitens des Tumors um etwa 70 Prozent reduziert werden, betonte der Brustkrebsexperte.

"Unglaubliche Entwicklungsschritte" hat auch Wolfgang Hilbe, leitender Onkologe im Wiener Wilhelminenspital in Sachen Lungenkarzinom vorzuweisen. Durch die molekularbiologische Unterteilung in Subtypen ist es möglich, in bestimmten Fällen Ansprechraten von 70 Prozent zu erreichen. Die mittlere Lebenserwartung stieg dabei von neun auf 24 Monate. Er stellte einmal mehr fest, dass 85 Prozent aller Lungenkarzinome auf das Rauchen zurückzuführen sind, und forderte Antiraucherstrategien wie Screenings bei starken Rauchern.

Auch beim Hautkrebs tragen etwa Immuntherapien dazu bei, dass das Fortschreiten eines bösartigen Melanoms gebremst und die Überlebenszeit der Patienten deutlich erhöht werden können. "Die Zukunft ist die Kombination verschiedener zielgerichteter Medikamente", betonte Hubert Pehamberger von der Wiener Universitäts-Hautklinik.

Paul Sevelda, Präsident der Österreichischen Krebshilfe, pocht auf eine Verbesserung der Rahmenbedingungen. "Wir werden die Teilzeitrückführung von Krebskranken in den Arbeitsprozess zum Ziel machen." Weiters fordert er eine flächendeckende palliativmedizinische Betreuungsmöglichkeit für Patienten im Endstadium ihrer Erkrankung sowie gezielte Maßnahmen gegen das Rauchen.

Ärzteprotest

Unisono prangerten die Experten das seit Anfang des Jahres geltende Ärztearbeitszeitgesetz an, das sowohl Lehre, Forschung als auch die Patientenbetreuung gefährde, wie Christoph Zielinski, Koordinator des Comprehensive Cancer Center von Meduni Wien und AKH, betonte. "Das ist schwierig, wenn Ärzte weniger arbeiten dürfen und es keine Aufstockung der Zahl der Ärzte gibt."

"Wir haben keinen Mangel an Intellektualität. Wir haben einen Mangel an Ressourcen", erklärte Steger. Warteten Brustkrebspatientinnen bisher nach der Diagnosestellung zwei bis drei Tage auf einen Termin, so seien es heute schon zehn bis 14 Tage.

Österreich sei im Zugang zu neuen Arzneien Europameister. Aber auch diese Entwicklung sei in Gefahr. Ohne entsprechende Ressourcenausstattung würde die Sterblichkeit wieder zunehmen. "Wenn die Politik nicht versteht, die beste Versorgung zu garantieren, müssen wir die Patienten bitten, das einzufordern", kündigte Zielinski mögliche Maßnahmen an. Immerhin seien rund 100.000 Menschen direkt oder indirekt von Krebs betroffen.