Zum Hauptinhalt springen

Bluff-Medizin?

Von Alexandra Grass

Wissen
Homöopathische Arzneien sind bei den Österreichern nach wie vor beliebt.
© Fotolia/Claus Mikosch

Die Homöopathie hält angeblich wissenschaftlichen Kriterien nicht stand. Heimische Mediziner sind dennoch erfolgreich.


Wien. In kaum einem Gebiet der Medizin wird die Studienlage so kontrovers diskutiert wie in der Homöopathie. Mittlerweile existieren einige Metaanalysen, die die Wirkung beziehungsweise die Nichtwirkung der teils als inhaltsleer kritisierten weißen Kügelchen beweisen wollen. Die Ergebnisse dieser Übersichtsarbeiten schwanken, zumeist scheinbar abhängig vom Verfasser, zwischen Schwarz und Weiß. Die Reaktionen darauf führen regelmäßig zu - meist in Internet-Foren stattfindenden - Schlagabtäuschen zwischen Homöopathiebefürwortern und -kritikern.

Fällt eine Studie positiv aus - wird also die Wirkung der Homöopathika höher als jene eines Placebos eingestuft -, wird von Kritikern nicht nur die Wissenschaftlichkeit der Arbeiten in Frage gestellt, sondern auch beeinsprucht, dass an der Studienerstellung nur Homöopathen beteiligt waren. Umgekehrt wird im gegenteiligen Fall der Vorwurf laut, es hätten keine diesbezüglichen Experten mitgewirkt. Die Arbeiten werden sowohl von Befürwortern als auch von Kritikern doppelt zerpflückt, um möglichst viele Verfahrensfehler aufzeigen zu können. Es entpuppt sich ein virtueller Glaubenskrieg der anderen Art.

Die Metaanalyse

Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass der Ausgang von Metaanalysen - Studien, in denen Ergebnisse vieler Einzeluntersuchungen statistisch zusammengefasst werden - vorwiegend von der Selektion der eingeschlossenen Arbeiten abhängig ist. Eine zuletzt von der australischen Gesundheitsbehörde vorgelegte Auswertung etwa hat, unbeachtet dessen, dass auch kleinere Studien klinisch relevante und valide Ergebnisse hervorbringen können, nur Studien mit mehr als 150 Probanden berücksichtigt. Das Fazit der Australier: Homöopathie ist nicht wirksam. Robert Mathie von der britischen Gesellschaft für Homöopathie hatte hingegen 2014 analysiert, dass individualisierte Homöopathie besser wirke als Placebo.

Spannend gestaltete sich die Entstehung einer Arbeit, die Robert Hahn, Forscher an der Linköping Universität in Schweden, im Jahr 2013 vorgelegt hatte. Obwohl er bis dahin nichts mit Homöopathie zu tun hatte, war ihm aufgefallen, "dass eine erstaunlich unwissenschaftliche Diskussion über die Beweislage der Homöopathie geführt wurde", betonte er in der Zeitschrift "Forschende Komplementärmedizin". Er war in seiner Arbeit zu dem Schluss gekommen, dass Metaanalysen zur Homöopathie nur dann negativ seien, wenn 90 Prozent der Daten ausgeschlossen würden.

Freilich kann die Frage nach Wirkung oder Nichtwirkung nur ein Ja oder Nein zulassen, doch die vielfach verwendeten Studiendesigns scheinen, wenn man das grundlegende Wesen der Homöopathie berücksichtigt, dieser nur schwer entsprechen zu können. Weltweit gibt es Anstrengungen, qualitativ hochwertige Arbeiten zu liefern, die sowohl der Wissenschaftlichkeit als auch der Lehre Samuel Hahnemanns, dem Begründer der Homöopathie, gerecht werden. Auch in Österreich forschen Mediziner, um die Erfolge, die die Homöopathie zweifellos vorzuweisen hat, wissenschaftlich untermauert auf Papier zu bringen.

Eine Krankheit, zwei Diagnosen

Zu den Vorreitern zählt Michael Frass, Leiter der Ambulanz für Homöopathie bei malignen Erkrankungen an der Klinik für Innere Medizin I der MedUni Wien. "In der konventionellen Medizin wird eine bestimmte Krankheit untersucht und nachgesehen, ob ein bestimmtes Medikament oder eine medizinische Behandlungsmethode im Vergleich zur bisherigen Methode oder manchmal auch zum Placebo eine Verbesserung bringt. Beim Homöopathen kann es hingegen sein, dass zwei Asthma-Patienten zwei verschiedene Diagnosen haben, weil es viele zu berücksichtigende Variablen gibt", erklärt der Mediziner die Unterschiedlichkeit der Studienvoraussetzungen.

In seinem Bereich geht es vorwiegend darum, bei Krebspatienten begleitend zur konventionellen Therapie wie Chemo oder Strahlen deren Nebenwirkungen zu reduzieren, um die Lebensqualität zu verbessern. Über diesen Umweg sei auch eine Verbesserung der Prognose möglich, betont der Mediziner.

Derzeit läuft im Wiener AKH eine diesbezügliche Studie mit Lungenkrebspatienten - randomisiert und doppelblind. Dabei werden unter Verwendung eines Zufallsmechanismus Versuchspersonen unterschiedlichen Gruppen zugeordnet. Weder Arzt noch Patient wissen, wer eine homöopathische Arznei oder ein Placebo - ein Scheinmedikament - erhält.

Der Mediziner untersucht den Patienten und wählt das für ihn passendste Mittel aus. Ein spezielles Randomisierungsprogramm in der Apotheke wählt dann aus, ob der Studienteilnehmer das spezifische Verum oder ein Placebo erhält. Zwei ältere, an der MedUni Wien bereits abgeschlossene Studien würden sowohl auf eine Verbesserung der Lebensqualität als auch auf eine Lebensverlängerung hindeuten, betont Frass.

Trotz anhaltender Kritik an der Homöopathie hat sich neben einigen anderen Spitälern auch im Wiener AKH dieser Schwerpunkt etabliert. Warum, erklärt der Vorstand der Klinik für Innere Medizin I und Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie, Christoph Zielinski: "Wir wissen, dass etwa zwei Drittel aller Patienten mit Krebs alternative Behandlungsmethoden suchen und auch wahrnehmen. Es ist aus meiner Sicht daher nicht sinnvoll, an diesem Konsumentenwunsch vorbeizugehen, sondern eine Notwendigkeit, diesen ernst zu nehmen", betont Zielinski. Die Uniklinik setzt mit der Homöopathie jedoch ganz klar nicht auf ein alternatives Behandlungskonzept (ein solches würde sich zum Schaden des Patienten gegen die mittels klinischer Studien erarbeiteten Empfehlungen richten), sondern auf ein komplementärmedizinisches, also die konventionelle Therapie begleitendes Verfahren.

Ohne Rücksicht auf Vorurteile

Es sei "sinnvoll und wichtig", eine Methode in ihrer Effektivität zu erforschen, wobei Zielinski darauf hinweist, dass "wir als Uniklinik verpflichtet sind, klinische Konzepte auf ihre Validität zu überprüfen". Aus diesen Überlegungen heraus war wohl die Etablierung einer entsprechenden Ambulanz als Basis für die weitere Forschung eine Notwendigkeit.

"Wir sollten uns nicht auf das Areal von Glaubensfragen begeben, sondern unsere Handlungsweisen wissenschaftlich evaluieren. Und das ohne Rücksicht auf unsere eigenen positiven oder negativen Vorurteile", so Zielinski.

Dennoch wird nach wie vor von Kritikern die Wissenschaftlichkeit in Abrede gestellt. Als Folge wurde in Österreich die Initiative für wissenschaftliche Medizin gegründet, die die Lehre von "Scheinmedizin", wo auch die Homöopathie genannt wird, unterbinden will. Ihr Appell ist an die Ärztekammern gerichtet: "Wir fordern von ihnen einen Verzicht auf Kurse und Vergabe von Diplomen in irrationalen und oftmals esoterischen Diagnose- und Therapieverfahren, allen voran Homöopathie, Anthroposophische Medizin, Kinesiologie, Chinesische Diagnostik und Orthomolekulare Medizin, deren Wirksamkeit medizinisch-wissenschaftlich nicht nachweisbar ist. Aktivitäten auf diesem Gebiet sollten privaten Initiativen von Ärzten und Patienten überlassen und nicht von den Ärztekammern aufgewertet werden", heißt es in einem Initiativantrag mit rund 430 Unterstützern. Initiatoren sind die Mediziner Theodor Much und Viktor Weisshäupl.

20 Prozent Einsparung

Die sechs Semester dauernde Ärzteausbildung schließt mit dem Diplom der Österreichischen Ärztekammer ab. Neben der Ärztegesellschaft für klassische Homöopathie ist dafür auch die Österreichische Gesellschaft für Homöopathie zuständig. "Wir haben für die Therapie genaue Ausbildungsrichtlinien. Die erste ist, nicht zu schaden", betont ÖGHM-Präsident Erfried Pichler. Um Scharlatanen den Wind aus den Segeln zu nehmen, kann ein Zuwiderhandeln Maßnahmen der Ärztekammer mit sich bringen. Für eigene Studien fehlt der ÖGHM das Geld. Jedoch berichtet Pichler aus seiner eigenen Kärntner Kassenpraxis von Medikamenteneinsparungen.

Durch komplementärmedizinische Maßnahmen könnten rund 20 Prozent der Heilmittelkosten reduziert werden, legt Gerhard Hubmann, Leiter des Zentrums für integrative Medizin der Therme Wien Med Zahlen einer Zwei-Jahres-Analyse vor. "Wir benötigen weniger Schmerzmittel, antientzündliche Mittel, Magenschutz- und Darmschutzpräparate sowie Erythropoetin zum Blutaufbau bei Krebspatienten." Die Ganzheitsmedizin könnte das Gesundheitssystem entlasten.

Der Zulauf zu Behandlungsmethoden abseits der konventionellen Medizin ist übrigens weiterhin ungebrochen. Laut einer aktuellen GfK-Studie verwendet die Hälfte der Österreicher homöopathische Arzneien. Zu den Anwendungsgebieten zählen laut Studie vor allem Infekte, Immunsystem und Unruhezustände. 2014 wurden rund 40 Millionen Euro für Globuli und Co. ausgegeben - etwa 0,84 Prozent des gesamten heimischen Pharmamarktes.