Schon am Weg zur Schule versuchen sie, im aktuell angesagtesten Spiel das nächste Level zu erreichen. Unter dem Bankfach werden, sofern das Gerät nicht zuvor vom Lehrer eingesammelt wurde, heimlich Nachrichten verschickt und empfangen. Und auch den größten Teil des restlichen Tages widmen die Kids der schönen neuen Welt des Internets. Sogar nächtens ist das Handy nicht selten unter dem Kopfpolster griffbereit, um am Leben der Mitmenschen allzeit bereit teilhaben zu können. WhatsApp, Facebook, Twitter & Co. beherrschen allerdings nicht nur das Leben der Jugendlichen, auch die Erwachsenen scheinen mittlerweile dem Internet verfallen zu sein und sind kaum noch ohne Smartphone anzutreffen.
Mobiles Datenvolumen steigt
Der digitale Gruppenzwang trifft damit Jung und Alt. Hat man keinen permanenten Internetzugang, steht man im sozialen Abseits. E-Mails sollen möglichst sofort beantwortet werden, andernfalls könnte dies als Beleidigung ausgelegt werden. "Wenn wir heute an allem, was in unserer Gesellschaft passiert, teilhaben wollen, müssen wir uns wohl oder übel einem digitalen Netz anschließen", schildert der Arzt und Psychotherapeut Bert te Wildt in seinem neuesten Buch "Digital Junkies - Internetabhängigkeit und ihre Folgen für uns und unsere Kinder".
Sichtbar wird die Entwicklung auch an aktuellen Zahlen des Forum Mobilkommunikation. Während sich nämlich die Anzahl der Kurznachrichten sowie die Gesprächsminuten sukzessive reduzieren, schießt das mobile Datenvolumen in die Höhe. Verbrauchten die Österreicher im Jahr 2013 noch 113 Millionen Gigabyte, so waren es 2014 schon 182. In den deutschsprachigen Ländern haben einer deutschen Studie zufolge heute bereits weit mehr als 90 Prozent der Menschen einen Internetzugang. 72 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren besitzen ein Smartphone. Ganz ohne Netz geht es offenbar gar nicht mehr.
Kontrollverlust
Immer mehr Menschen verlieren ob dieses breiten Angebots die Kontrolle über ihre Mediennutzung. Bei jeder möglichen Gelegenheit wird über die Bildschirme gewischt. Beim Lieblingsspiel gilt es, den nächsten Highscore zu knacken. Vor allem Online-Rollenspiele befinden sich dabei nach wie vor im Vormarsch. In den unendlichen Weiten des Internets kann der Mensch seinen ureigenen Spieltrieb allzeit stillen. Nicht selten sind Erwachsene anzutreffen, die einfach mal zwischendurch ihre eigene Farm gestalten oder sich im Quizduell üben. Verschiedenste Fantasy-Abenteuer lassen den Spieler in heldenhafte Rollen schlüpfen und im wahrsten Sinne des Wortes endlose Abenteuer mit zahlreichen Spielern rund um den Erdball erleben. Computerspiele wie etwa "World of Warcraft" sind darauf ausgerichtet, dass sie den Menschen in ihren Bann ziehen und damit vereinnahmen. Häufig finden die Leute Anerkennung, die sie in der realen Welt nicht erhalten, und können damit aus dem Alltag ausbrechen.
Die Abhängigkeit von Online-Spielen ist bislang die mit Abstand häufigste Art von Internetabhängigkeit, schreibt te Wildt. Deshalb ist sie auch die erste Variante, die als Krankheitsbild - "Internet Gaming Disorder" - internationale Anerkennung gefunden hat. Die Computerspielsucht treffe fast immer Jugendliche und junge Erwachsene, die sich den Traum von einem selbstbestimmten Erwachsenenleben nicht erfüllen können. Von digitalen Netzwerken würden vor allem jene abhängig, die ein Problem mit echter Nähe zu Menschen haben und denen zwischenmenschliche Beziehungen nicht gelingen.
Die mobilen Endgeräte wie Tablets oder Smartphones - ausgestattet mit Mikrofon, Lautsprecher, Kamera und natürlich Bildschirm - machen es möglich, quasi immer überall gleichzeitig sein zu können.
Dabei könnten die Erwachsenen viel dazu beitragen, dass ihre Nachkommen nicht im Internet verloren gehen und damit der realen Welt abhanden kommen. Dabei soll es nicht darum gehen, die digitale Revolution, in der wir uns befinden, auszubremsen, sondern sie verantwortungsbewusst zu steuern. Einer deutschen Studie zufolge haben wir es allein in Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen mit mindestens einer Million Internetabhängigen zu tun.
Mit Maß und Ziel
Es bedarf gesellschaftlicher Regeln, einer gewissen technologischen Kulturtechnik, wie wir mit dem Internet umgehen, betont auch Helmut Leopold, Leiter des Digital Safety & Security Department, vom Austria Institute of Technology gegenüber der "Wiener Zeitung". "Anstatt, dass wir den Vorteil sehen, leichter kommunizieren zu können, setzen wir uns den Zwang auf, sofort antworten zu müssen." Die Technologie scheint uns zu überrennen. Während sich die Entwicklung des Autos etwa über mehr als 100 Jahre bis zur breiteren Verwendung erstreckte, sprechen wir beim Internet von nur wenigen Jahren. Die Forschung versucht, hier allgemeine Lösungsansätze zu finden.
Vor allem Eltern und Pädagogen sind gefragt, um den Digital Natives, wie die in der digitalisierten Welt Geborenen genannt werden, ein gesundes Maß und Manieren im Umgang mit elektronischen Medien beizubringen. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass sich die Suchtgefährdung eines Menschen erhöht, je früher er mit einem Suchtmittel in Kontakt kommt, betont te Wildt. "Wir setzen einerseits unsere Kinder zu großem Leistungsdruck aus und lassen sie andererseits ihre Zukunft verspielen."