Zum Hauptinhalt springen

Mühen um Chancengleichheit

Von Heiner Boberski

Wissen
In welcher Schule man sitzt, hängt mehr von der Herkunft als von den Fähigkeiten ab.
© Luiza Puiu

Workshop in Wien zum Thema "Bildungsgerechtigkeit: ein erfüllbarer Anspruch?"


Wien. Dass Bildung ein hohes Gut ist, steht außer Zweifel. Wie weit dieses Gut in unserer Gesellschaft gerecht, zumindest aber gerechter als bisher, verteilt werden kann, diskutieren bis Dienstagmittag in Wien Experten unter dem Titel "Bildungsgerechtigkeit: ein erfüllbarer Anspruch?" Veranstalter des zweitägigen Workshops ist die von der Wiener Bildungspsychologin Christiane Spiel geleitete Arbeitsgemeinschaft Bildung und Ausbildung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft.

In einem Pressegespräch am Montag betonte Johannes Giesinger, Ethiker an der Universität Zürich, es gehe nicht um natürliche, sondern um soziale Faktoren, die Chancengleichheit im Bildungssystem behindern. Der Linzer Sozialwissenschafter Johann Bacher plädierte für eine sozial indizierte Mittelverteilung: Es wäre gerecht, soziale Unterschiede durch eine bessere Finanzierung bestimmter Schulen auszugleichen.

Frühe Weichenstellung

Christiane Spiel wies auf das Bundesverfassungsgesetz von 2005 hin, dem zufolge bestmögliche Bildung für ein Kind unabhängig von dessen Herkunft und sozialer Lage erfolgen soll. An den Schnittstellen im Bildungssystem zeige sich aber, dass dort soziale Faktoren, die nichts mit den Fähigkeiten des Kindes zu tun haben, entscheidenden Einfluss haben. In der Realität sei Bildung großteils eine Frage der Herkunft: Beim Übertritt von der Volksschule in eine weiterführende Schule sei nur zu 30 Prozent die Leistung des Kindes, aber zu 70 Prozent der Wille der Eltern maßgeblich. Und diese frühe Bildungsentscheidung wirkt weiter: Aus der AHS-Unterstufe gehen 95 Prozent weiter zur Matura (63 Prozent in der AHS, 32 Prozent in der BHS), während es aus der Hauptschule nur 37 Prozent sind.

Beim sinnerfassenden Lesen, so Spiel, hätten Schüler mit Migrationshintergrund nach neun Jahren Pflichtschule einen Rückstand von zwei Jahren auf ihre Alterskollegen. Eine neue Studie zeige, dass Österreich hier im internationalen Vergleich bei Jugendlichen türkischer Herkunft besonders schlecht abschneidet.

Ulrike Greiner von der Universität Salzburg erinnerte an einen Text des Erziehungswissenschafters Hans Pechar, wonach in Österreich bei den Kindern zu früh die Weichen gestellt werden, während im tertiären Bildungsbereich zu wenig selektiert werde.

Laut Johannes Giesinger schicken in der Schweiz viele Eltern ihre Kinder gar nicht ins Gymnasium - auch weil dort "gekifft" werde. Sie streben für sie eher eine solide Berufsausbildung an, die oft mehr Einkommen bringe. Doch absolute Top-Jobs blieben meist Akademikern vorbehalten.

Die Bildungsexperten waren sich einig, dass ein "Akademisierungswahn" nicht anzustreben sei. Tatsächlich hätten gerade Länder mit einem stark entwickelten Berufsbildungssystem - wie Österreich, Deutschland, die Schweiz, die Niederlande und Dänemark - die geringste Jugendarbeitslosigkeit. Der Wert einer Berufsausbildung sollte nicht unterschätzt, die Durchlässigkeit des ganzen Systems aber stärker entwickelt werden.

Keine "Einbahnstraßen"

Es sei keineswegs wünschenswert, so Christiane Spiel, wenn viele an die Universitäten drängen, die nicht das dafür nötige Rüstzeug haben. Auf der anderen Seite entstehe dadurch ein Mangel an qualifizierten Anwärtern für bestimmte Berufsausbildungen. Nach Spiels Ansicht ist das "negativ für beide Bereiche."

In diesem Zusammenhang plädierte der Konstanzer Politikwissenschafter Markus Busemeyer für mehr Möglichkeiten, zwischen den beiden Bereichen zu wechseln. Derzeit gebe es nur eine "Einbahnstraße" vom Beruf in Richtung einer akademischen Bildung aber nicht umgekehrt. Lorenz Lassnigg, Soziologe am Institut für Höhere Studien, ergänzte, es sei ein großer Fehler, wenn man annehme, für die Berufsbildung sei eine gute Allgemeinbildung nicht notwendig.

Zur Eröffnung der Tagung gedachte man auch des jüngst verstorbenen Bildungspolitikers Bernd Schilcher, dem Bildungsgerechtigkeit ein großes Anliegen gewesen sei. Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek unterstrich in ihrem Grußwort, dass ihr auf dem Weg zu diesem Ziel unter anderem der Ausbau der Frühkindpädagogik, der ganztägigen Schulformen und der Bildungsstandards wichtig seien.