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Die Weltsensation von Krems

Von Heiner Boberski

Wissen

Fast 32.000 Jahre alte Doppelbestattung von Neugeborenen wird im Wiener Naturhistorischen Museum nach zehn Jahren Vorbereitung mit modernsten Methoden analysiert.


Wien. Der Fund ist einzigartig und die Vorgangsweise der Wissenschafter ist es auch. Am Dienstag präsentierten die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und das Wiener Naturhistorische Museum (NHM) in einer Presseführung die bereits 2005 entdeckten "Zwillinge vom Wachtberg", die älteste bekannte Doppelbestattung von Neugeborenen. Die aus etwa sechs Metern Tiefe in einem kompakten, mit Gipsbandagen gesicherten Block aus den Löss-Schichten bei Krems geborgenen Skelette werden in den nächsten Wochen erstmals genauen Detailuntersuchungen unterzogen.

Das Forscherteam hat sich dem Inhalt des Blockes bisher nur vorsichtig mit Computertomografie genähert. Auf die echte Grabung wurde gewartet, um dafür neuere Methoden einsetzen zu können. Nun, nach zehn Jahren, sollen die Knochen mit modernsten Techniken freigelegt und jeder Schritt sorgfältig dokumentiert werden. Dabei kommt im NHM-Labor ein transportabler, hochauflösender 3D-Streifenlichtscanner mit integrierten Digitalkameras sowie fotogrammetrischen Tools zum Einsatz. Erstmals wird dabei auch die noch unbekannte Unterseite der Skelette sichtbar.

Älter als die "Venus von Willendorf"

Die Prähistorikerin Christine Neugebauer-Maresch vom ÖAW-Institut für Orientalische und Europäische Archäologie (Orea) berichtete bereits 2006 in "Nature" über den Fund. Er ist nicht 27.000 Jahre alt, wie zunächst die konventionelle Radiokarbonmethode ergab, sondern fast 32.000 Jahre - jedenfalls älter als die "Venus von Willendorf", deren Alter man bisher auf 25.000 Jahre schätzte. Laut Maria Teschler-Nicola, am NHM Direktorin der Anthropologischen Abteilung, hat sich das Zwillingsgrab deshalb so gut erhalten, weil man es - wie damals üblich - mit dem Schulterblatt-Knochen eines Mammuts bedeckt hat. Dieser gegen aasfressende Tiere gerichtete Schutz hat, so Neugebauer-Maresch, "den Erddruck und teilweise auch die Feuchtigkeit abgehalten."

Gräber aus dieser Zeit zu entdecken, sei schon deshalb schwierig, sagen die Experten, weil die damaligen Jäger und Sammler oft nur wenige Tage an einem Platz verweilten, also am Ort einer Grablage kaum weitere Spuren hinterließen. Die Bestattung der Neugeborenen dürfte rituell ähnlich wie bei Erwachsenen durchgeführt worden sein - darauf deutet die in solchen Fällen übliche Einbettung in Rötelstaub hin. Das zeige, so Teschler-Nicola, die "Wertschätzung", die man damals auch Kleinkindern entgegenbrachte. Die Ausgrabung wirft auch ein Licht auf die Begräbnisrituale und die Jenseitsvorstellungen der Menschen jener Zeit.

Welches Geschlecht hatten die Neugeborenen? Woran sind sie gestorben? Waren sie tatsächlich verwandt oder sogar Zwillinge? Antworten auf diese Fragen sollen im Herbst die DNA-Untersuchungen, die gerade im Ausland vorgenommen werden, geben. Dann wird man eventuell auch wissen, ob die im Grab befindliche Kette aus Elfenbeinanhängern nur dazugelegt oder ein Kind damit umwickelt worden ist.

Wie viel Neandertaler-DNA wird sich finden?

Der moderne Mensch kam erst vor rund 45.000 Jahren nach Mitteleuropa und lebte hier einige Zeit noch parallel mit den Neandertalern, von denen heutige Europäer noch bis zu vier Prozent DNA-Anteil besitzen. Insofern interessiert die Wissenschafter, welchen Anteil von Neandertaler-DNA die "Zwillinge vom Wachtberg" aufweisen.

Die Besiedlungsspuren im Umfeld von Krems zählen zu den ältesten des modernen Menschen in Europa. Der seit der Altsteinzeit bewohnte Siedlungsplatz am Wachtberg gibt vor allem Einblick in das frühe Gravettien - eine Epoche im Jungpaläolithikum vor 34.000 bis 29.000 Jahren. 2015 schließen die ÖAW-Archäologen nach zehn Jahren ihre Ausgrabungen dort ab und wenden sich anderen Plätzen in der Region zu.

NHM-Direktor Christian Köberl zeigte sich erfreut, dass dieser Pressetermin einmal hinter die Kulissen seines Hauses und die dort geleistete Forschungsarbeit vor Augen führte. Orea-Direktorin Barbara Horejs stellte fest: "Wir sind heute oft sehr schnell mit Sensationsbegriffen, aber hier gilt wirklich: Das ist ein weltweit einzigartiger Fund!"