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Die Grenzen des Nahrungswachstums

Von Heiner Boberski

Wissen
Vegetarische Kost liegt im Trend, Fleischverzicht nutzt der Umwelt.
© Persson, Per Magnus/the food passionates/Corbis

Der britische Experte Tim Benton über die Zukunft der Versorgung mit Essen und die richtige Ernährung.


Alpbach. Für den Präsidenten des Europäischen Forums Alpbach Franz Fischler ist die heute, Dienstag, zu Ende gehende Seminarwoche das "Herzstück" des Forums. Eines der spannendsten der 16 stark frequentierten Seminare war dem Thema "Globale Ernährungssicherheit und Ernährung" gewidmet. Der britische Seminarleiter Tim Benton sprach sich im Interview mit der "Wiener Zeitung" für eine faire und nachhaltige Nahrungsmittelproduktion und eine gesündere Ernährung aus.

"Wiener Zeitung": Professor Benton, welche Botschaft geben Sie in Ihrem Seminar den Studenten mit?Tim Benton: Meine Hauptarbeit an der Universität befasst sich mit der Bedeutung von Nachhaltigkeit. Wenn wir vorausschauen zur Mitte des 21. Jahrhunderts, so werden wir mehr Menschen auf diesem Planeten haben, mehr Menschen mit mehr Geld, die mehr Nahrung haben wollen, die mit mehr Intensität produziert werden muss. Und angesichts des Klimawandels wird der landwirtschaftlich nutzbare Boden knapp. Wir haben nicht nur daran zu denken, wie wir mehr Nahrungsmittel produzieren können, sondern auch daran, vor allem in der entwickelten Welt, wie wir unseren Bedarf an Essen organisieren, das wir derzeit verschwenden.

Die Botschaft, für die ich die Studenten gewinnen will, lautet: Die Welt braucht ein gerechtes und nachhaltiges Nahrungssystem, und wir in der reichen Welt haben dafür ebenso viel zu tun wie die Menschen in der armen Welt. Und das ist politisch für viele Leute eine ganz schwierige Botschaft. Denn wir leben in Zeiten mit dem Trugschluss, dass ökonomisches Wachstum ewig und beschleunigt weitergehen kann. Wir müssen begreifen, dass wir auf einem begrenzten Planeten mit begrenzten Ressourcen leben. Wenn jeder von uns immer mehr, mehr und mehr haben möchte, seien das nun Kleider oder Essen, stoßen wir an diese Grenzen.

Könnte man die ganze Erdbevölkerung, sollte sie auf elf oder zwölf Milliarden Menschen wachsen, ausreichend mit Essen versorgen?

Gegenwärtig haben wir genug Kalorien, um mehr als elf Milliarden Menschen Essen zu geben. Es ist aber etwas anderes, wenn wir über richtige Ernährung sprechen, denn die genaue Menge von Proteinen, Vitaminen, Mineralien und so weiter ist sehr schwer zu kalkulieren. Aber grob geschätzt haben wir genug Essen. Das Kernproblem ist: Wir haben viele Menschen in der Welt, die Zugang zu vielen Kalorien haben und fettleibig werden, und wir haben viele Menschen in der Welt, die keinen Zugang dazu haben und darum krank werden. Die meisten Menschen in der reichen Welt verschwenden rund 30 Prozent des Essens, das sie kaufen, und sie essen 20 Prozent zu viele Kalorien. Wenn aber die Frage lautet, ob wir Mitte des Jahrhunderts verlässlich genug Essen für neun Milliarden Menschen haben werden, so lautet die Antwort: Nein.

Ist es eine Frage der Verteilung?

Es ist beides, eine Frage der Verteilung und der Menge. Momentan ist es eine Frage der Verteilung. Aber sobald die sich entwickelnden Länder reicher werden, werden sie das gleiche Essen wie wir haben wollen. Dann nähern wir uns den Grenzen dessen, was wir nachhaltig produzieren können. Nur ein Beispiel: Wenn man die gesamte landwirtschaftlich nutzbare Fläche der Erde in bestimmte Anteile für jeden Menschen teilt, so nimmt, wenn die Bevölkerung wächst, der Anteil des Einzelnen ab. Als ich in den 1960ern geboren wurde, betrug diese Fläche 1,4 Hektar pro Person, jetzt sind es etwa 0,7 Hektar, das ist etwa ein Fußballfeld, und 2050 werden es nur noch zwei Drittel davon sein.

Nun muss man bedenken, dass auf diesem Land ja nicht nur die Jahresnahrungsversorgung wachsen soll, sondern auch Biokraftstoff oder Material für Kleidung wie Baumwolle, all das kommt von dieser Fläche, die für jeden schrumpft, und dabei wollen wir jedes Jahr mehr. Also die Fläche nimmt ab, aber unsere Ansprüche nehmen zu. Das ist die Herausforderung für die Zukunft, eine Quadratur des Kreises.

Zeigt die Zunahme von Fettleibigkeit nicht unseren falschen Umgang mit Nahrung?

Ja, genau. Wir brauchen ein neues Design des Ernährungssystems. Momentan haben wir ein System, das sowohl viele Fettleibige als auch Untergewichtige hervorbringt, das ist ungerecht. Zieht man in Betracht, wie viel Essen wir verschwenden oder zu viel zu uns nehmen, so hätten wir in Europa mehr oder weniger den halben Nahrungsmittelbedarf im Falle kluger Kauf- und Konsumentscheidungen. Damit könnten wir unsere halbe Landwirtschaftsfläche anders nutzen, zum Beispiel für Naturkost oder für Biokraftstoffe oder auf andere nachhaltige Weise. Für mich liegt die Zukunft des Nahrungssystems in neuen Wegen, mit Essen umzugehen.

Es gibt in Europa einen Trend zu vegetarischem oder sogar veganem Leben. Sollte nicht weniger Fleisch gegessen werden?

Essen produziert ungefähr 30 Prozent der weltweiten Treibhausgase, Fleischessen die Hälfte davon. Privater Autogebrauch macht neun Prozent aus, Beleuchtung drei Prozent, Heizen und Klimatisieren etwa zehn Prozent. Fleischessen produziert mehr Umweltbelastung als privater Autogebrauch und alle Beleuchtung auf der Welt. Eine vierköpfige Familie, die zwei Autos fährt und eine durchschnittliche Menge an Fleisch isst, produziert mehr Treibhausgase durch das Fleisch als durch die Autos. Den Fleischkonsum zu halbieren entspricht dem Verzicht auf eines von zwei Familienautos. Wir können durch weniger Fleischkonsum messbare Erfolge erzielen, meist mehr als beim Energieverzicht.

Tim Benton ist Biologe und Professor für Bevölkerungsökologie an der Fakultät für Biowissenschaften der Universität Leeds. Als Leiter des britischen Programms für globale Nahrungssicherheit führt er den schönen Titel "UK Champion for Global Food Security".

WZ-Blog aus Alpbach