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Das Brett vom Kopf reißen

Von Edwin Baumgartner

Wissen
Skeptiker wissen: Es waren keine prähistorischen Astronauten, die die Pyramide von Chichen Itza erbauten.
© sunsinger/Fotolia

Die Skeptikerbewegung wendet sich gegen die Grenzwissenschaften und vergibt einen Spottpreis.


Die kleinen grünen Männchen waren’s nicht. Auf gar keinen Fall. Selbst dann nicht, wenn man keine Ahnung hat, wer das in Vorzeiten und (vor allem) wie gebaut hat. Auch Verschwörungen gibt es nicht. Und alles Unheimliche und Gruselige und Gespenstische ist sowieso entweder Betrug oder "Urban Legend", also moderne Legendenbildung ohne Bezug zur Realität. Es ist im Grunde gar nicht schwer, ein Skeptiker zu sein. Man braucht nur alles, was man nicht glauben kann, für unbare Münze nehmen, also sozusagen den eigenen Unglauben zur Religion zu erheben.

Oder ist es doch etwas komplizierter und viel seriöser?

Dann wäre auch der Spottpreis des "Goldenen Bretts vorm Kopf", der von der "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften" für den "erstaunlichsten pseudowissenschaftlichen Unfug" am heutigen Abend in der Urania in Wien verliehen wird, durchaus ernster zu nehmen, als es den Anschein hat. Denn dass sich mitunter gefährlicher, sogar lebensgefährlicher Schwachsinn als Wissenschaft tarnt oder die Behauptungen diverser religiöser Systeme den wissenschaftlichen Erkenntnissen übergeordnet werden, ist wohl unausrottbar in unserer Gesellschaft verankert.

Fakten gegen Paranormales

Die Grundlage der Skeptikerbewegung ist die Überzeugung, dass eine Behauptung nur dann den Rang eines Faktums hat, wenn sie durch wissenschaftliche Belege gestützt und nicht experimentell widerlegt ist. Dieser Ansatz erklärt sich durch den historischen Ausgangspunkt der Skeptikerbewegung, der weniger philosophisch ausgerichtet war als durchaus praxisbezogen. Die Skeptikerbewegung nämlich nahm 1947 ihren Anfang in Belgien , wo sich das "Comité pour l’Investigation Scientifique des Phénomènes Réputés Paranormaux" (Körperschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Phänomenen, die dem Paranormalen zugeschrieben werden), kurz "Comité Para", ursprünglich gegen jene Hellseher und Astrologen wandte, die behaupteten, sie könnten mit ihren Fähigkeiten Kriegsvermissten auf die Spur kommen und so Schindluder mit der Trauer trieben.

1975 unterzeichneten dann 186 Wissenschafter ein Manifest gegen astrologische Erklärungen. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen um den vom französischen Psychologen und Statistiker Michel Gauquelin behaupteten Mars-Effekt, dem zufolge Sportler statistisch eine Häufung von Mars-Stellungen aufwiesen, während die Jupiter-Stellungen für Schauspieler und die des Saturn für Wissenschafter charakteristisch seien. Paul Kurtz, Professor für Philosophie der Universität Buffalo, gründete daraufhin das "Committee for the Scientific Investigation of Claims of the Paranormal (CSICOP)", heute "Committee for Skeptical Inquiry". Unterstützt wurde und wird die Skeptikerbewegung unter anderem vom Astrophysiker und Autor Carl Sagan, vom Evolutionsbiologen Richard Dawkins und vom Zauberkünstler James Randi. Die für Deutschland und Österreich maßgebliche Organisation ist die "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften" (GWUP).

Wie es sich für Skeptiker gehört, war man anfangs auch skeptisch gegenüber eigenen Positionen. Sagan etwa hoffte auf eine gleichsam volksbildnerische Funktion der Skeptikerbewegung, um der pseudowissenschaftlichen Leichtgläubigkeit etwas gegenübersetzen zu können. Allerdings zeigte er auch ein wesentliches Problem auf, nämlich die Überzeugung, das Monopol auf die Wahrheit zu besitzen und Menschen mit anderen Positionen von vorneherein als unvernünftige Schwachköpfe zu betrachten.

Tatsächlich genügt es nicht, Verschwörungstheorien, urbane Mythen, Homöopathie und andere Waren aus dem Gemischtwarenladen der Esoterik für abgelaufen zu erklären und deren Konsumenten zu Beinahe-Analphabeten zu stempeln, man muss schon auch Begründungen und andere - wissenschaftliche - Erklärungsmodelle haben. Das fällt bei der Präastronautik eines Erich von Däniken, mit seiner Behauptung, die frühen Zivilisationen hätten nachweislich Kontakt zu Außerirdischen gehabt, naturgemäß leichter als bei Verschwörungstheorien, die ohnedies auf dem Boden der Spekulation stehen und nicht recht dingfest zu machen sind. Doch eine Verschwörungstheorie damit zu widerlegen, dass man die Verschwörung abstreitet und jeden für grenz-schwachsinnig erklärt, der an sie glaubt, ist nach den Regeln der Skeptikerbewegung auch nicht das Gelbe vom Ei.

Gerade ein Preis wie das "Goldene Brett vorm Kopf" zeugt ein wenig von diesem Hochmut, der tatsächlich nicht in allen Fällen mit einer wissenschaftlichen Analyse verknüpft ist.

Skepsis gegenüber Skeptikern

In eine eng benachbarte Kerbe schlug der deutsche Sozialwissenschafter, Anomalistiker und Politiker Edgar Wunder, seines Zeichens immerhin Mitbegründer und Redaktionsleiter von des GWUP-Organs "Skeptiker": Er verließ 1999 Bewegung und Redaktion, weil er bei allzu vielen GWUP-Mitgliedern einen Weltanschauungskampf ortete, den sie seiner Auffassung nach ohne hinreichende fachliche Kenntnis führen würden bis hin zu selektiven und unsachlichen Argumenten. Ganz unbegründet ist Wunders Distanzierung in der Tat nicht.

So lässt sich, betrachtet man Anwärter und Preisträger des "Goldenen Bretts", eine gewisse Tendenz der größten Skeptiker-Aversionen feststellen: Alternative Medizin und Homöopathie etwa sind weit überrepräsentiert. Das Argument, hier würde die Unwissenschaftlichkeit ja tatsächlich die größte Gefahr für Leib und Leben verursachen, daher sei die Bloßstellung umso wichtiger, verfängt indessen nicht wirklich. Im Jahr 2014 nämlich waren nominiert: das Netzwerk Impfentscheid für die Verbreitung gefährlicher Falschinformationen zum Thema Impfen, Barbara Steffens, Gesundheitsministerin von Nordrhein-Westfalen, für ihre Forderung, Homöopathie an der Universität zuzulassen, und der Sänger Xavier Naidoo für seine "rechte Verschwörungs-Paranoia".

Zuerkannt wurde der Preis Naidoo. Nun mag dessen verschwurbelter Verschwörungsmystizismus samt dem Anstreifen an rechte Kreise unsympathisch sein. Dennoch fällt es irgendwie schwer, sie als verachtenswerter einzustufen als die Verbreitung von im Ernstfall lebensgefährlicher Pseudomedizin - denn als genau das wird die Homöopathie von den Skeptikern beurteilt. Doch der Preis an Naidoo hat noch einen weiteren Haken: Ist eine persönliche politische und/oder religiöse Überzeugung schon den Spottpreis wert, nur, weil man sie als gestandener Skeptiker nicht nachvollziehen kann? Anders gefragt: Sind Naidoos Positionen, so sehr man sich auch von ihnen distanzieren mag, tatsächlich auf wissenschaftlicher Ebene widerlegbar oder rufen sie nur eine entgegengesetzte Meinung hervor?

Ähnlich steht es um die für 2015 Nominierten: Jim Humble, der das giftige Natriumchlorit als Wundermittel unter anderem bei Krebs, Aids, Demenz und Multipler Sklerose empfiehlt, steht gewiss ebenso zu Recht auf der Liste wie der Biologe Stefan Lanka, der die Existenz krankheitserregender Viren leugnet und die Wichtigkeit von Impfungen bestreitet. Aber Susanne Winter? - Gewiss, sie leugnet entgegen der Mehrheit der Wissenschafter den Klimawandel. Man darf aber skeptisch sein, dass sie für diese Unvernunft, die sie etwa mit dem promovierten Chemiker Fritz Vahrenholt teilt, auch dann nominiert wäre, wäre sie nicht eine Repräsentantin der FPÖ, während Vahrenholt ein deutscher SPD-Politiker ist. Man erinnert sich an Wunders Abgang aus der Skeptikerbewegung, weil deren Untersuchungen und Positionen nicht nur für wissenschaftliche Auseinandersetzungen benützt, sondern auch für Weltanschauungskämpfe instrumentalisiert werden.

Das erste Brett für Däniken

Dass der erste "Brett"-Preis für ein Lebenswerk an den Schweizer Vater der Präastronautik Erich von Däniken ging, geschah indessen völlig zu Recht. Wenige haben in einem Mix aus selbstangelesener Archäologie, Mythologie und brillanter Fehldeutung ein ähnlich virtuoses Missverständnis der menschlichen Zivilisation entwickelt: Auf Außerirdische, die von unseren tumben Vorfahren als über- bis allmächtige Götter gedeutet und in Mythen und Darstellungen entsprechend verewigt wurden, muss man erst tatsächlich einmal kommen. Überhaupt hat die Skeptikerbewegung dort ihren größten Wert, wo sie nicht weltanschauliches Kleingeld münzt, sondern ganz klar die Wissenschaft von Wahn und Wunschdenken trennt. Der endgültige Schritt zur volksbildnerischen Aufklärung wäre im Sinne Carl Sagans der Verzicht auf wissenschaftlichen Hochmut und die Skepsis gegenüber eigenen Positionen.

Das "Goldene Brett vorm Kopf" wird in der Wiener Urania am Mittwoch, dem 21. Oktober, verliehen. Beginn der Veranstaltung ist um 20 Uhr.