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Das Rohmaterial der Menschheit

Von Eva Stanzl

Wissen
Genetikerin Alice Matimba sieht ethische Konflikte rund um biologische Daten.
© Michael Weinwurm

Proben aus Blut oder Gewebe sollen die Medizin verbessern. Doch was ist, wenn diese Bio-Daten in die falschen Hände geraten?


Sie sind eine Grundlage des medizinischen Fortschritts und neuer, wie man hofft besserer Medikamente: Sammlungen von biologischen Proben aus Blut, Gewebe, Speichel, Plasma, Knochenmark, Urin und sogar Haaren. Dieses Rohmaterial der Menschheit wird in sogenannten Biobanken gespeichert. Die genetische Information in diesen Bibliotheken aus tiefgefrorenen Proben ermöglicht es Medizinern, zu testen, welche Wirkstoffe an welchen Erbgut-Typen am besten funktionieren.

In der traditionellen medizinischen Forschung werden Behandlungen entwickelt, die bei allen Patienten wirken sollen. Es zeigt sich aber immer wieder, dass ein Teil der Betroffenen auf die verabreichte Medizin gar nicht anspricht oder schwere Nebeneffekte erleidet. Denn die genetische Ausstattung eines Menschen und sein Stoffwechsel wirken sich auf die Wirkung aus - teilweise gravierend. Könnte man also aufgrund der genetischen oder metabolischen Konstellation schon früher sagen, wer auf welche Behandlung anspricht, wäre viel gewonnen. Etwa stammt die Erkenntnis, dass nicht jede Frau die Rezeptoren für eine gängige Therapie gegen Mammakarzinom hat, aus der Biobanken-Forschung. Ihnen bleibt die Chemotherapie zugunsten wirkungsvollerer Ansätze erspart.

Allerdings ist die Frage, was passieren könnte, wenn biologisches Rohmaterial in die falschen Hände gerät, weitgehend ungelöst - und vermutlich nicht einmal theoretisch zu beantworten. In Europa werden mehrere 1000, in Österreich sechs Biobanken betrieben. In den meisten EU-Ländern müssen Ethikkommissionen Biobanken-Forschungsprojekte genehmigen. Auch der Datenschutz auf unserem Kontinent stellt laut Experten eine vergleichsweise hohe Hürde zum Missbrauch dar. Doch die Weiterverwendung der Erkenntnisse ist eine Geschichte mit offenem Ausgang.

Aus aller Welt in alle Welt

So berichtet das investigative US-Wissenschaftsmagazin "Pacific Standard" des Miller-McCune-Forschungszentrums in Santa Barbara von einem Fall, in dem 10.000 US-Amerikaner Blut, Urin und medizinische Daten einem Unternehmen für 10 Dollar-Gutscheine der Kette Wal Mart verkauften. "Die Hoffnung der Bewohner war, dass ihre Stadt durch die Ansiedelung des Konzerns prosperiert. Doch es gibt (in den USA, Anm.) kein nationales Gesetz, das diesen Menschen Anonymität zusichert, weil unser Datenschutz in der Praxis viele Ausnahmen kennt und kommerzielle Biobanken-Betreiber Proben austauschen und Sammlungen teilen", heißt es in dem Bericht. Nicht nur das: Es gelangen gar Proben aus aller Welt in alle Welt. Vor diesem Problem steht die Genetikerin Alice Matimba. Sie will in ihrem Heimatland Simbabwe ein Biobanken-Netzwerk aufbauen. Allerdings fehlen dafür Regulierungen und gelangen afrikanische Bio-Daten in Forschungszentren weltweit - je nachdem, wer das Projekt finanziert, sagte sie jüngst am Rande des Jahreskongresses der World Academy of Sciences in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

"Wiener Zeitung": Sie haben an der Universität Südafrika in Kapstadt bereits eine Biobank aufgebaut. Welchen Stellenwert haben die Proben-Sammlungen in Afrika?

Alice Matimba: Als ich 2005 begann, biologische Proben zu sammeln, waren Biobanken in Afrika nicht gerade oberste Priorität - man konzentrierte sich auf Infektionskrankheiten und das Aids-Virus. Es war nicht leicht, die Menschen davon zu überzeugen, warum Biobanken wichtig sind. Ich wollte eine Sammlung von Blut- und Gewebeproben von fünf afrikanischen Bevölkerungsgruppen entwickeln, um die genetischen Variationen zu erforschen, die bewirken, dass verschiedene Gruppen unterschiedlich auf Medikamente reagieren. Allerdings hatte ich ein Budget von 5000 US-Dollar aus einem Stipendium. Ich entschied mich daher für ein simples System mit Proben von gesunden Menschen.

Besteht Ihre Biobank noch?

Es gibt sie und sie wurde vergrößert. Südafrika ist auf unserem Kontinent fortgeschritten in diesem Bereich - es gibt mittlerweile mehr Biobanken. Aber es fehlen objektive Standards, Richtlinien und Abkommen zur Erforschung und Nutzung biologischer Daten. Weiters gibt es jede Menge Afrikaner, die Proben spenden, aber keine Ahnung haben, was ihnen das bringt. In einem von den US National Institutes of Health geförderten Projekt will unser Team von der Universität Simbabwe nun die ethischen und sozialen Aspekte großer Sammlungen genetischen Materials beleuchten. Die Erkenntnisse sollen in künftige Regelwerke einfließen.

Spenden für die Forschung bringen meistens keinen unmittelbaren Nutzen für den Spender. Was genau wollen Sie tun und erreichen?

Es geht weder um Bezahlung noch um den unmittelbaren Nutzen. Sondern darum, dass vielen Spendern in Afrika nicht bewusst ist, dass nicht sie, sondern die Gesellschaft etwas von ihren Proben hat und dass damit neue Medikamente für künftige Generationen zustande kommen können. Wir wollen verstehen, welche Wahrnehmung die Menschen davon haben, dass sie der Medizin ihr biologisches Material spenden und was sie davon erwarten. Da wollen wir Aufklärungsarbeit leisten. Gibt es einen Diagnose-Kit, oder bringt es den Spendern langfristig leistbare Medizin? Das Ganze ist nämlich nicht so trivial: Viele Sammlungen biologischer Proben werden außer Landes verschifft, damit Wissenschaft und Pharmafirmen dort damit forschen können. Alles geht ins Ausland, uns bleibt nichts.

Wie wollen Sie das verhindern?

Wir werden es schwer verhindern können. Aber ich möchte ein Netzwerk der Biobanken in Simbabwe gründen. Wenn wir lokale Kapazitäten aufbauen, müssen wir einen Weg finden, um zu kontrollieren, was damit passiert. Viele internationale Forschungsprogramme teilen mittlerweile Probensammlungen, indem nur die Hälfte ins Ausland geht. In anderen Situationen gehen Forscher aber Kooperationen ein, deren Bestandteil ist, dass alle Proben ins außer Landes gehen. Hier müssen wir Bewusstsein schaffen.

Gibt es internationale Abkommen zur Verwendung von Biobanken?

Ja, aber in der Praxis haben wir keine Handhabe, um sie durchzusetzen. Wenn Österreich und Deutschland zusammenarbeiten, sind sie gleichwertige, gleichberechtigte Partner. Natürlich ist Deutschland größer als Österreich, aber sie haben dieselbe Verhandlungsmacht. Afrikanische Länder sind mangels ökonomischer Macht eingeschränkter und damit unterlegen. Die Menschen und Länder, die den Rohstoff biologisches Material zur Verfügung stellen, haben weder die Macht, Nein zu sagen, noch können sie ihre Proben zurückholen. Somit verbleibt viel Information über Individuen und ganze Volksgruppen im Ausland. Was ist, wenn diese biologischen Daten mit jenen von Versicherungsgesellschaften verknüpft werden? Internationale Konzerne sind ja nicht an lokale Interessen in Afrika gebunden, sondern wollen Geld machen. Das schafft ein großes ethisches Dilemma.

Könnten Sie Ihr eigenes Forschungsprojekt aufziehen und alle Daten behalten?

Es wäre schwer. An der Universität Simbabwe etwa gibt es kaum Geld für Forschung. Es gibt Universitätsbudgets und ein meiner Meinung nach gutes Ausbildungssystem, aber keine eigenen Forschungsbudgets. Wissenschafter stellen sich dem internationalen Wettbewerb und wenn jemand sagt, ich gebe Ihnen eine Million Dollar, dann nehmen Sie sie.

Sie wollen einen Paradigmenwechsel in Afrikas Forschungswelt erreichen. Wo steht diese jetzt?

Wir haben ein Führungsproblem - nicht nur auf politischem, sondern auch auf akademischem Niveau. Es gibt keine einheitliche Sichtweise, wie wir Führung, Management und Organisation definieren. Menschen werden Dekane oder Departmentleiter, ohne eine Ahnung zu haben, was das heißt. Also machen sie, was ihnen ihr früherer Chef vorgelebt hat, und verzichten auf Innovationen. Jeder glaubt, dass jemand anderer die Initiative ergreifen müsste, aber wenn wir uns umschauen, sind wir alle die anderen und niemand führt. Viele Menschen verbinden mit Führung auch negative Dinge und wollen lieber einfache Forscher bleiben. Wenn wir Erfolg haben wollen, müssen wir das ändern. Ich möchte die Kultur verändern. Ich will Forschern zur Überzeugung verhelfen, dass sie etwas bewegen können. Und ich denke, dass wir Champions benötigen, die sich der Veränderung verpflichtet fühlen.

Alice Matimba
geboren 1978 in Bindura, Simbabwe, studierte Genetik an der Universität Kapstadt, wo sie eine Biobank afrikanischer Bevölkerungsgruppen aufbaute. Als Post Doc arbeitete sie in der Krebsforschung an der Mayo Clinic in Minnesota, USA. Alice Matimba ist Senior Lecturer in Pharmakologie und Research Scientist für Gesundheitswissenschaften der Universität Simbabwe. Auf Einladung der Akademie der Wissenschaften referierte sie beim Jahreskongress der World Academy of Sciences in Wien.