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"Fleisch zu essen ist irrational"

Von Cathren Landsgesell

Wissen

Wir essen Fleisch, weil es (bis jetzt) unser Menschsein definiert, sagt die Philosophin Carol J. Adams im Interview.


"Wiener Zeitung": Sie haben diese Woche einen Vortrag am Messerli Institut der Veterinärmedizinischen Universität Wien gehalten. Das Institut ist noch relativ neu. Es beschäftigt sich mit der Tier-Mensch-Beziehung. Stehen solche Einrichtungen, noch dazu an einer veterinärmedizinischen Universität, für eine Veränderung der Beziehung von Menschen zu Tieren?

Carol J. Adams: Ja, ich denke schon. Wir haben etwa bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gebraucht, um uns zu fragen, was eigentlich die vielen Tiere in unserem Leben bedeuten. Heute gibt es solche Institute und Einrichtungen, wie etwa das Clever Dog Lab an der VetMed, das kognitiven Fähigkeiten von Hunden untersucht. Wir haben uns weiterentwickelt, was unsere Bereitschaft betrifft, die Fähigkeiten von Tieren anzuerkennen. Diese Fähigkeiten waren immer da, wir wollten sie nur nicht anerkennen.

Was genau erkennen wir dabei an? Ist das nicht erneut ein Zugang, der darauf abzielt, in Tieren in erster Linie das zu sehen, was sie für den Menschen bedeuten?

Es ist ein Fortschritt, anzuerkennen, dass zum Beispiel bestimmte kognitive Eigenschaften nicht exklusiv menschlich sind. Mir selbst geht es aber tatsächlich darum, dass wir unsere Rolle hinterfragen. Wir sind nicht die Krone der Evolution, sondern Teil einer Welt, die aus einer ganzen Vielzahl verschiedener Lebewesen besteht. Wir sind erst dabei, zu verstehen, dass wir in komplexen Beziehungen leben mit Tieren, mit Menschen, mit allen Lebewesen. Unsere menschliche Subjektivität haben wir darauf gegründet, dass wir Tiere zu Objekten machen, über die wir herrschen. Wir haben unsere Welt in Dualismen aufgebaut: Tier oder Mensch, Frau oder Mann, Kultur oder Natur.

Aber Fleisch zu essen, erscheint zum Beispiel den meisten Menschen wohl als das Natürlichste überhaupt. Es wirkt nicht wie eine soziale Konstruktion.

Damit sind zumindest drei Probleme verbunden - erstens: Wie definieren wir, was natürlich ist? In den 1950er Jahren war es natürlich, dass eine Frau zu Hause bei den Kindern bleibt. Zweitens: Was ist das natürliche Essen von Menschen? Während der menschlichen Evolution haben sie sich nicht von gejagten Mammuts ernährt, sondern von Pflanzen, von Insekten, von Kadavern, die von fleischfressenden Tieren zurückgelassen wurden. Und drittens sind Menschen keine Fleischfresser, sondern Omnivoren. Sie brauchen das Fleisch nicht. Das Einzige, was "natürlich" ist, ist, dass sich alles verändert. Was also wird in 50 Jahren als natürlich gelten, wenn wir gezwungenermaßen weniger Fleisch essen, weil der Klimawandel das erfordert? Unsere Welt kann ja die Fleischwirtschaft nicht mehr verkraften, denn diese ist nicht nachhaltig. Und es ist schwer, etwas, das nicht nachhaltig ist, als natürlich anzusehen.

Ökologisch bewusste Menschen finden biologische Viehwirtschaft mit Weidehaltung nachhaltig. Sie wollen wissen, woher das Fleisch kommt, oder lernen zu schlachten.

Das ist tatsächlich fast regressiv. Man kann sich selbst nicht anders vorstellen denn als fleischessendes Tier. Und so versucht man, dieses Selbstbild aufrechtzuerhalten. Es wird erweitert um den Aspekt der Fürsorge: die Tiere auf der Weide, der Kreislauf des Lebens. Wie die Ordnung der Geschlechter, ist auch die Ordnung der Lebewesen immer wieder bedroht. Sie wird in Frage gestellt und muss sich dann wieder neu definieren. Daher gibt es Wellenbewegungen: In den 1970er und 1980er Jahren kam der Vegetarismus - und in den 1990er Jahren hatten wir die Steakhäuser überall. Heute besteht die Selbstvergewisserung darin, dass man sagt, man nimmt nur Fleisch, dessen Herkunft man kennt, von Tieren auf der Weide und Ähnliches. Das ist aber nicht die Lösung. Wir haben nicht die Weideflächen, um jeden Menschen mit Biofleisch zu versorgen. Das ist aber auch gar nicht notwendig. Denn wir müssen ja kein Fleisch essen.

Das ist für viele ein Verzicht.

Das ist es auch. Fleisch zu essen ist ein Teil unserer Subjektivität, die wir darauf gründen, dass Tiere zum Essen da sind. Die meisten Fleischesser haben allerdings ein schlechtes Gewissen. Sie glauben, sie müssten jetzt lernen, "wenigstens" selbst zu schlachten. Man betrügt tief verwurzelte Gefühle der Zugehörigkeit und des Mitfühlens, weil die Kultur es einem so sagt. Aber wir brauchen nicht noch mehr glückliche Schlachter von vorgeblich glücklichen Tieren. Noch etwas zur Natürlichkeit: In der Fleischwirtschaft, auch der biologischen, müssen die weiblichen Tiere wesentlich häufiger schwanger werden, als sie es natürlichweise wären, damit der Nachschub stimmt. Man greift daher auch zur künstlichen Befruchtung, verkürzt die Stillzeit, zieht die Kälber mit Ersatzmilch auf. Ist das natürlich?

Ändert sogenanntes Fake Meat, also Truthahn aus Tofu und Ähnliches, etwas an der Fleischkultur?

Fleischesser glauben, sie essen "echt". Und damit sind wir wieder bei der Natur. Was ist echt? Fleischesser sitzen auf einer Eisscholle und das Eis schmilzt ihnen links und rechts weg. Fleischessen ist schlecht für das Klima, für die Umwelt und die Gesundheit. Und sie sagen ernsthaft: "Aber wenigstens esse ich keinen Tofu-Truthahn." Das ist vollkommen irrational.

Carol J. Adams: Die US-Theologin und Philosophin wurde durch ihr Buch "The Sexual Politics of Meat" ("Zum Verzehr bestimmt") berühmt. Sie zeigt darin eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen dem Patriarchat und dem System der Nutztierhaltung auf.