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Vom Nobelpreis in die Apotheke

Von Eva Stanzl

Wissen

Werner Lanthaler, Vorstandsvorsitzender des pharmazeutischen Forschungsunternehmens Evotec, über neuartige Medikamente und Wirtschaftsinteressen an medizinischer Grundlagenforschung.


Täglich berichten Biologen, Mediziner und Genetiker über neuartige Ansätze zur Heilung von Erkrankungen. Doch im Vergleich zur Zahl der Resultate in der biotechnologischen Forschung werden nur wenige neue Medikamente zugelassen. Warum ist das so? Und wie kommen die Früchte wissenschaftlicher Arbeit aus dem Labor in die Testreihen der millionenschweren Pharmaindustrie und später in die Apotheken?

Die in Hamburg beheimatete Evotec AG arbeitet mit Spitzenforschern und Pharmafirmen aus aller Welt an neuartigen Therapieansätzen. Obwohl das Unternehmen noch kein eigenes Medikament auf dem Markt hat, macht es jährlich 120 Millionen Euro Umsatz und notiert im deutschen TecDAX an der Frankfurter Börse. Vorstandsvorsitzender Werner Lanthaler gibt Einblicke in ein Geschäftsfeld, in dem Grundlagenforscher und Industrie offenbar sehr eng zusammenarbeiten.

"Wiener Zeitung: Sie arbeiten an Wirkstoffen im Bereich Krebs, Stoffwechselkrankheiten, Entzündungen, Demenz und Schmerz. Diese Gebiete werden seit Jahren intensiv beforscht, dennoch bleiben sie unheilbar. Welche Ansätze verfolgen Sie?Werner Lanthaler: Es gibt Medikamente, die wirken, und Medikamente, die nicht wirken. Viele Krankheitsbilder werden heute nur auf symptomatischer Ebene bekämpft und haben somit nur eine lindernde Wirkung, aber keine heilende. Uns interessiert Heilung durch Bekämpfung der Krankheitsursachen. Dazu untersuchen wir, welche Arten von Molekülen große Veränderungen in körperlichen Systemen bewirken, und welche gar nichts oder nur wenig verändern. Die Grundlage unserer Forschungsarbeit ist eine Bibliothek von zwei Millionen kleinen Molekülen. Wir managen die Bibliothek und machen Experimente mit den Molekülen.

Was können diese Moleküle?

Sie können ganze Kaskaden von Wirkungen im Immunsystem auslösen, das die meisten Mechanismen des Gesundens und Erkrankens steuert. Oder sie können neurodegenerativeProzesse ausschalten, etwa bei Alzheimer oder Parkinson. Ein kleines Molekül als fertiges Arzneimittel wäre der effizienteste Weg, um eine Krankheit zu bekämpfen, denn es bindet an die richtigen Zellen. Wenn man sich ein Virus wie eine Krake vorstellt, könnte ein Wirkstoffmolekül an die Krake andocken und ihr die Arme abschneiden. Andere Typen von kleinen Molekülen sind wie Architekten: Sie bauen eine Brücke zwischen dem Erreger und dem Medikament. Und dann gibt es noch neuartige Formen von Gene-Editing, wie CRISPR, bei dem wie mit einer Schere einzelne Gen-Abschnitte ausgeschnitten und andere eingefügt werden.

Diese Methoden sind so neu, dass noch keine Anwendung existiert, geschweige denn Geld verdient werden kann. Zu welchem Zeitpunkt im Forschungsprozess steigen Sie ein und woran verdienen Sie?

Wir machen Auftragsforschung für Pharmafirmen, haben Umsatzbeteiligungen aus Forschungsarbeiten und erhalten Meilensteinzahlungen aus Kooperationen. Zum Beispiel arbeiten wir an der industriellen Herstellung von (nobelpreisgekrönten, Anm.) induzierten pluripotenten Stammzellen. Das kann niemand, aber wenn es uns gelingt, könnten Tierversuche in der Pharmaforschung weitgehend obsolet werden. Für unsere eigenen Forschungsaktivitäten haben wir ein weltweites Netz an Scout-Aktivitäten für radikale Grundlagenwissenschaft, die zu ursachenverändernden Medikamenten führen könnte. Hier investieren wir in Bereiche, wo wir große Chancen sehen, die ersten auf dem Markt zu sein. Weil das unbekanntes Wissenschaftsterrain ist, tragen wir ein hohes Risiko. Wir müssen daher früh im Forschungsprozess herausfinden, ob sich ein Resultat aus dem akademischen Umfeld unter industriellen Bedingungen wiederholen lässt.

Wo liegt dabei das Problem?

40 Prozent aller Experimente, die akademisch in der Grundlagenforschung gemacht werden, sind in einem industriellen Umfeld nicht wiederholbar. Wir testen, ob es außerhalb des Labors mit hunderten Proben desselben Zelltyps und vielen Molekülen nach Qualitäts-, Reinigungs-, Geschwindigkeits-, und Wirksamkeitsstandards immer wieder funktioniert. Wenn die Antwort ja ist und wir die Wirksamkeit - zumeist im Tiermodell - nachgewiesen haben, schließen wir Partnerschaften, um bei der Entwicklung hin zu klinischen Tests am Menschen das Risiko zu streuen.

Wie oft erweist sich eine Substanz als wirkungsvoll?

90 Prozent unserer Arbeiten scheitern. Müssten wir das finanzielle Risiko alleine tragen, könnten wir nur auf ein, zwei oder drei Projekte setzen. Ein großes Portfolio mit vielen Partnern macht unabhängiger vom Kapitalmarkt und sichert uns ab, falls eine Pharmafirma die Abteilung mit unserem Projekt schließt.

Wie unabhängig können Sie forschen bei so mächtigen Partnern?

Wenn man nicht jedes Experiment mit Eigenkapital von der Börse finanziert, fällt der systematische Bias (einseitige Perspektive zugunsten des Erfolgs, Anm.) im Experiment weg. Wenn man nur ein Experiment finanzieren kann, ist die Versuchung sehr groß, eher die positiven Daten sehen zu wollen. Unsere systematische Vorgangsweise erlaubt es, härtere Entscheidungen zu treffen. Anstatt graue Daten als weiß zu interpretieren, setzen wir die Prioritäten schneller hin zu den wirklich besseren Projekten.

Wie häufig kommt dieser Bias vor?

Permanent, weil er zutiefst menschlich ist. Jeder Vater empfindet seine Tochter als die schönste der Welt und jeder Wissenschafter sein eigenes Experiment als das wichtigste und größte. Anwendungsorientierte Selektion und der profitabelste Weg zum Produkt ist nicht ein Filter, den er gerne einbaut, denn das gelungene Experiment von heute ist das Funding von morgen. Ein gescheitertes Experiment zu erklären, bringt weniger Geld, daher haben viele Forscher gelernt, Experimente schön zu reden.

Wie frei ist eine Wissenschaft, die der Pharmaindustrie nahe steht?

Alle Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, haben eine persönliche Motivation, die Welt real verändern zu wollen. Natürlich ist nicht jeder Vater diabetischer Kinder ein brillanter Forscher, aber wenn die Motivation eines brillanten Forschers mit persönlicher Betroffenheit zusammenfällt, führt das zumeist zu einer höheren Produktorientierung. Jedenfalls sind Forscher, die nicht in Medikamenten über Wissenschaft nachdenken, in unserem Feld selten. Ich glaube, es muss wahnsinnig frustrierend sein, "nur" einen Nobelpreis zu bekommen, wenn man weiß, dass dieser dazu führen könnte, Alzheimer oder Parkinson zu heilen. Natürlich sollte Grundlagenforschung nicht gemacht werden, damit etwas Bestimmtes herauskommt. Aber wenn ständig Geld hineinfließt, ohne dass je etwas herauskommt, dann sage ich: Cui bono?

Warum hat die Pharmaindustrie so einen schlechten Ruf?

Dass keine Industrie konfliktfrei ist oder nicht schon einmal ethisch grenzwertige Sachen gemacht hat, wird jeder unterschreiben, und die Pharmaindustrie hat in der Vergangenheit durch zum Teil überzogene Verkaufspraktiken einen Image-Schaden davon getragen. Aber ich wüsste nicht, was an dem Versuch, neuartige Therapien zu schaffen, ethisch verwerflich ist - so lange man mir nicht erklären kann, man hätte einen effizienteren Weg, um Epidemien von der Welt fernzuhalten. Mir ist ein Impfstoff jedenfalls lieber als Todesfälle und ein nicht ganz optimales Medikament immer noch lieber als keines.

Zur Person

Werner Lanthaler

geboren 1968 in Eggelsburg, Oberösterreich, ist Vorstandschef des deutschen Pharmaunternehmens Evotec AG, das Medikamente gegen Krebs, Demenz und Diabetes erforscht. In Wien arbeitet es in der Krebs-Immuntherapie mit der Biotech-Firma Apeiron. Zuvor war Lanthaler Finanzchef des Impfstoff-

spezialisten Intercell AG. Er promovierte in Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuni Wien und absolvierte einen Master an der Universität Harvard.