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Wenn der Darm das Gehirn stört

Von Alexandra Grass

Wissen
Das Nervengeflecht sorgt für eine Verbindung zwischen Darm und Gehirn.
© Corbis/Science Photo Library

Manche neurologische Störungen wie Parkinson könnten ihren Ausgang im Verdauungsorgan haben.


Wien. Es gibt immer mehr Hinweise, dass der Darm abseits seines ureigenen Einsatzgebietes als Verdauungstrakt Auswirkungen auf viele Bereiche des Körpers hat - auch auf das Gehirn, wie Studien zu erkennen geben. Hinter dem Einfluss des Darms auf unsere Gesundheit stecken rund 100 Billionen Bakterien. In ihrer Gesamtheit stellen sie das menschliche Mikrobiom dar. Diese Bakterien helfen nicht nur, die Nahrung aufzuschließen, sondern kommunizieren über die Darmwand - und damit über das Blut-, Nerven- und Immunsystem - mit dem gesamten Organismus.

"Es gibt attraktive Indizien dafür", dass Morbus Parkinson, auch als Schüttellähmung bekannt, seinen Ursprung im Darm hat, erklärte Werner Poewe, Direktor der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck, am Montag im Vorfeld der Mitte dieser Woche stattfindenden Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie.

Falsch strukturierte Proteine

Morbus Parkinson entsteht durch einen fortschreitenden Untergang der Dopamin-produzierenden Zellen im Gehirn. Der Botenstoff Dopamin ist ein sogenannter Neurotransmitter und leitet eine Erregung von einer Nervenzelle zur nächsten weiter. Bei einem Dopaminmangel kommt es zu den typischen Symptomen der Erkrankung, wie Steifheit der Muskulatur, Zittern und Verlangsamung der Bewegung.

Als ein entscheidender Faktor zur Krankheitsentstehung konnte eine Anreicherung des synaptischen Nervenzellproteins Alpha-Synuklein im Gehirn von Parkinson-Patienten identifiziert werden. Im Laufe der Erkrankung würden sich Zusammenballungen dieses Proteins bilden, die aufgrund einer falschen Faltung von den natürlichen Abbaumechanismen nicht beseitigt werden können. Diese räumlich falsch strukturierten Alpha-Synuklein-Formen wandern im Nervensystem wie infektiöse Krankheitserreger von Zelle zu Zelle weiter, erklärte der Experte. Das allererste falsch gefaltete Synuklein entsteht übrigens im Darm, wandert dann über den Vagusnerv ins Gehirn und setzt sich in jenen Regionen fest, wo Dopamin produziert wird. Dort tritt dann die Schädigung auf, so die neueste These.

Poewe nannte zwei Studien, die diese Hypothese untermauern. So haben Dresdener Neurowissenschafter in einem Tiermodell durch einen entzündungsfördernden Stoff die Bildung solcher falschen Proteine hervorgerufen und ihren Weg über die sogenannte Darm-Hirn-Achse nachverfolgt. Die Tiere entwickelten Parkinson-ähnliche Krankheitsbilder. Durchtrennten die Forscher den Vagus-Nerven-Strang zu einer Gehirnhälfte, war nur die andere Gehirnhälfte von den Veränderungen betroffen.

Auch epidemiologische Studien aus Schweden stützen diesen möglichen Weg. Früher war die chirurgische Durchtrennung des Vagus-Nerv bei Patienten mit sonst nicht behandelbaren Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren eine Möglichkeit der Therapie. Bei Patienten mit durchtrenntem Vagus-Nerv war die Parkinson-Erkrankungsrate innerhalb von 20 Jahren wesentlich geringer.

Geforscht wird derzeit auch an einer Impfung gegen Alpha-Synuklein, um Parkinson bekämpfen zu können.

Eine Vakzine ist auch bei Morbus Alzheimer ein Ziel. Diese richtet sich gegen das bei der Erkrankung in den Nervenzellen des Gehirns entstehende Tau-Protein. Eine entsprechende Phase-I-Studie auf Verträglichkeit wurde erfolgreich abgeschlossen. Einen Beweis für die Wirksamkeit stellt dies allerdings noch nicht dar.

Die neuen Ansätze stellen die Experten auf jeden Fall vor neue Herausforderungen: "Wir hätten uns früher nie gedacht, dass wir uns als Neurologen einmal mit Veränderungen im Darm beschäftigen würden", betonte Poewe.