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Pädagogen im Pelz

Von Kerstin Viering

Wissen

Unterricht für Kinder und Erwachsene steht auch bei manchen Tierarten auf dem Programm.


Berlin. Kleiner Trost für alle, die dem zuletzt erfolgten Start ins neue Schuljahr nicht so viel abgewinnen konnten: Ihr seid nicht allein! Anstrengende Lektionen, Wiederholungen und nervenzehrende Geduldsproben für das Lehrpersonal - das alles gehört auch bei manchen Tieren zum Alltag. Verhaltensforscher kennen Arten, die ihren Nachwuchs gezielt fürs Leben schulen. Und es gibt auch welche, die eine Art Fortbildung für ihre Arbeitskollegen anbieten.

Noch vor kurzem hätte die Vorstellung von einem tierischen Schulwesen Kopfschütteln ausgelöst. Es war bekannt, dass Tiere von ihren Artgenossen lernen können, wie man an Futter kommt, Feinden aus dem Weg geht oder eine wohlklingende Melodie zwitschert. Aber Lehrkräfte, die gezielt das Verhalten ihrer Schüler beeinflussen und ihnen das Lernen leichter machen? Das schien eine menschliche Erfindung zu sein.

Nicht die üblichen Verdächtigen

Zumal Forscher die Messlatte für solche Tätigkeiten sehr hoch gelegt hatten: Ein echter Lehrer müsse sich in andere hineinversetzen und deren Wissensstand einschätzen können - eine anspruchsvolle Leistung. "Selbst beim Menschen funktioniert das Unterrichten aber oft auch auf einfacheren Wegen", meint Alex Thornton von der University of Cambridge. Wer einem Kind das Laufen beibringen will, muss die Welt ja nicht unbedingt aus dessen Perspektive sehen. Es genügt, den Nachwuchs-Läufer zu ermutigen, zu unterstützen und auf sein Verhalten zu reagieren.

Zu dieser Form von Einsatz sind Tiere offenbar in der Lage. Dabei sind es nicht die üblichen Verdächtigen aus der Menschenaffen-Verwandtschaft, die damit auffallen. So haben Thornton und seine Kollegen das Sozialverhalten von Erdmännchen in Südafrika studiert. Diese geselligen kleinen Raubtiere leben in Gruppen mit bis zu 40 Mitgliedern, die sich gemeinsam um den Nachwuchs kümmern. Potenzielle Lehrer gibt es also genug.

Die sind auch nötig, denn auf dem Speiseplan stehen zwar auch Pflanzen und Pilze, die Hälfte ihrer Nahrung aber besteht aus Insekten und anderen Kleintieren, die nicht nur flink, sondern mitunter auch wehrhaft sind. Einen giftigen Skorpion etwa muss man erst einmal zur Strecke bringen, ohne selbst zu Schaden zu kommen.

Also bringen die erwachsenen Profis ihren unerfahrenen Schülern erst einmal einen toten Skorpion zum Üben. Als Nächstes setzen sie ihnen ein lebendes Exemplar vor, dem sie sicherheitshalber den Giftstachel ausreißen. Dabei bleiben die Trainer immer zur Beobachtung an der Seite ihrer Schützlinge. Wenn sie sich keinen Angriff zutrauen, geben sie ihnen auch schon mal einen ermutigenden Schubs. "Wenn nötig, fangen sie entkommene Beute auch wieder ein und verstümmeln sie zusätzlich", so der Forscher.

So werden die Nachwuchsjäger immer sicherer und irgendwann steht dann auch ein intaktes Beutetier auf dem Programm. Wann es so weit ist, entscheiden die Lehrer. Mit etwa 90 Tagen sind die jungen Erdmännchen reif für den Schulabschluss und können sich selbst versorgen. "Das ist ein klarer Fall von Unterricht", meint Thornton.

Klassenzimmer Ozean

Auch der Ozean kann zum Klassenzimmer werden. Courtney Bender von der Florida Atlantic University und ihre Kollegen haben das bei weiblichen Zügeldelfinen beobachtet, die am Meeresboden vor den Bahamas nach Fischen stöberten. Dabei verhielten sich alle neun beobachteten Delfinmütter im Beisein ihrer Jungen ganz anders als alleine oder mit erwachsenen ihrer Art. So richteten sie ihren Körper immer wieder deutlich auf das angepeilte Opfer aus - womöglich, um die Aufmerksamkeit der Jungen in die Richtung zu lenken. Zudem dauerte jeder Fischzug unter den Augen des Kalbes viel länger als sonst: Die Mutter nahm sich Zeit, mit dem Opfer zu spielen, es scheinbar entkommen zu lassen, um es dann demonstrativ wieder aus dem Sand zu buddeln. In vielen Fällen durfte das Jungtier auch an der Jagd teilnehmen und bekam anschließend die Beute. Praktisches Training scheint auch für junge Delfine wichtig zu sein.

Selbst wer es nur auf leichte Beute abgesehen hat, kann von erfahrenen Lehrern profitieren. Das schließen Jessie Bunkley und Jesse Barber von der Boise State University in den USA aus einem Laborversuch mit Wüstenfledermäusen. Ein Weibchen wusste, wo die Forscher schmackhafte Mehlwürmer versteckt hatten - und zögerte nicht, ein noch ahnungsloses Männchen auch dorthin zu lotsen. Innerhalb von Minuten kam der flatternde Schüler hinter das kulinarische Geheimnis. Artgenossen ohne Lehrerin benötigen dafür zwischen vier und zwölf Nächte.

Ein solches Pfadfinder-Coaching scheint nicht einmal besonders viel Grips zu erfordern. Selbst bei Ameisen, die nicht unbedingt als geistige Überflieger gelten, gibt es Beispiele. So haben Nigel Franks und Tom Richardson von der University of Bristol eine Art namens Temnothorax albipennis beobachtet, bei der sich immer zwei Tiere zu einem Team bilden: Das eine kennt den Weg zur Futterquelle, das andere lässt sich hinführen. Beide koordinieren ihr Tempo und ihre Laufrichtung dabei sehr geschickt. Das unwissende Insekt lernt die Route viel rascher kennen als auf eigene Faust und kann dann selbst andere unterweisen.

Vorteile für die Lehrenden

Ob sich eine Tierart Lehrer leistet, hängt offenbar nicht so sehr von der Gehirngröße ab, sondern eher vom Wert der zu vermittelnden Information. Wie dringend brauchen die Schüler das Wissen? Könnten sie es sich allein aneignen? Würden sie länger brauchen als mit Lehrer? Die Evolution hat offenbar recht strenge Kontrollkriterien für die Effizienz von Bildungssystemen. Schließlich muss der tierische Pädagoge seine eigenen Interessen vorübergehend zurückstellen, Zeit und Energie investieren.

Da sollte auch etwas herausspringen. Vielleicht kann er durch seinen Einsatz die Phase verkürzen, in der die Jungtiere von ihm abhängig sind. Oder er verschafft seinen Nachkommen und damit den eigenen Genen bessere Überlebenschancen. Bei geselligen Tieren kann auch die ganze Gruppe von gutem Unterricht profitieren.

"Langfristig müssen solche Vorteile die Kosten für die Lehrer überwiegen", so Thornton. Arten, bei denen das nicht der Fall ist, verzichten lieber auf pädagogische Ambitionen. Für alle anderen gilt: Schule ist lebenswichtig. Schwänzen kommt nicht infrage.